Sein Land ist 1959 von den Chinesen widerrechtlich besetzt worden. Und doch glaubt er an den Wert der Demokratie und an eine friedliche Lösung für Tibet nach dem Muster Südtirols.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="706187_image" /></div> <BR /><b>Wichtig für das friedliche Beilegen des Konflikts mit China, sowie für einen Besuch Seiner Heiligkeit in China ist Vertrauen. Wie kann die Exilregierung China vertrauen?</b><BR />Penpa Tsering: Bislang herrscht ein Vertrauensmangel, weswegen keine Gespräche stattfinden. Zwischen 2002 und 2010 gab es 8, 9 Gesprächsrunden. In den letzten 11 Jahren gab es jedoch keinerlei Fortschritt. Die Chinesische Regierung hat militärische, politische und wirtschaftliche Macht. Das Einzige, was ihr fehlt, ist moralische Macht. Um Vertrauen aufzubauen, braucht man moralische Macht und muss sich verantwortlich zeigen für diejenigen, die man beherrscht. Vertrauen kann aufgebaut werden, wenn es von beiden Seiten die Bereitschaft dazu gibt. Wenn der politische Wille der chinesischen Regierung da ist, kann es sicher eine Lösung des Chinesisch-Tibetischen Konflikts geben.<BR /><BR /><BR /><b>Was gibt Ihnen dazu Hoffnung?</b><BR />Tsering: Als Buddhisten glauben wir auch an die Vergänglichkeit: Die Kommunistische Partei kann nicht immer bleiben, wie sie jetzt ist. Sehen Sie sich an, was der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas Xi Jinping derzeit macht: Die Rückkehr zum Sozialismus, Handelskonflikte mit den USA, eine Verschlechterung der Beziehungen mit der EU, die Streitlust an der Grenze zu Indien und die Invasionsdrohungen gegenüber Taiwan und die Konflikte im Chinesischen Meer… Da wirkt es unwahrscheinlich, dass sich die Lage bessert. <BR /><BR />Hoffentlich kann sich das ändern, sich Vernunft in der chinesischen Führungsriege durchsetzen. Xi Jinping hat sämtliche Macht. Einerseits erhält man bei einer solchen Machtkonzentration Anerkennung für alles Gute, das man macht, andererseits erhält man die Schuld, für das, was man falsch macht. Einige Schritte, die er derzeit setzt, könnten schlechte Auswirkungen auf seine Herrschaft und China als Ganzes haben. Wenn Xi Jinping realistisch ist, muss er bessere Beziehungen mit der internationalen Gemeinde pflegen und sich das Vertrauen all seiner Bürger verdienen, ob diese nun Südmongolen, Uiguren, Tibeter oder die Einwohner Hongkongs sind. Vertrauen kommt nicht von Macht, sondern vom Glauben, dass Konflikte friedlich beigelegt werden können.<BR /><BR /><embed id="dtext86-51538530_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sie haben davon gesprochen, dass Sie nach einer beidseitig vorteilhaften Lösung des Konflikts suchen. Von Außen ist es einfach zu verstehen, was die Tibeter davon hätten. Was wäre der Vorteil auf chinesischer Seite?</b><BR />Tsering: Die chinesische Regierung ist die einzige, welche mehr Geld für interne als externe Sicherheit ausgibt. Da ist wieder der Faktor des Vertrauens: Man vertraut dem eigenen Volk nicht. Man sieht aber überall in Tibet Bilder von Xi Jinping: Er möchte respektiert werden. Respekt entsteht aus dem Gefühl, dass Probleme gelöst werden. Wie Sie sagen, hätten die Tibeter das Recht, ihre Sprache und Kultur zu bewahren, wogegen die chinesische Regierung für Stabilität sorgen könnte. Stabilität ist wichtig für jede Regierung. Mit so viel Feindseligkeit wie es sie derzeit gegen China gibt, könnte die Lösung des Konflikts ein globales Zeichen sein, das zeigt, dass man sich um nationale Minderheiten kümmert und diese Probleme anerkennt, was der Regierung dann vielleicht Respekt einbringt.<BR /><BR /><BR /><b>Welches ist die Position der CTA zur Bekämpfung des Klimawandels und wie viel Konfliktpotential herrscht hier gegenüber China?</b><BR />Tsering: Der Klimawandel ist eine der größten Sorgen der Welt. Wenn man China von außen betrachtet, hat man das Gefühl, dass sie viel, etwa zur Förderung erneuerbarer Energien oder zur Wiederaufforstung tun. Es fehlt aber an unabhängigen Stellen, die das bestätigen können. Im Falle Tibets sprechen Umweltwissenschaftler vom dritten Pol. Warum man Tibet als dritten Pol bezeichnet? Weil es dort weitläufige Gletscher und Permafrostgebiete gibt, welche die großen Flüsse in zehn verschiedenen Ländern Asiens speisen. Es fehlt hier an Transparenz, einer unabhängigen Agentur, die ermittelt, wie man die Umwelt in Tibet besser schützen kann. Niemand weiß genau, welche konkreten Schritte China in dieser Hinsicht macht. Leider ist China nach wie vor der größte Verschmutzer der Umwelt. China kann im Umweltschutz keine Führungsrolle für sich beanspruchen.<BR /><BR /><BR /><b>Welche Stationen gibt es auf Ihrer Reise? Welches war das letzte und welches wird das nächste Ziel sein?</b><BR />Tsering: Um diese Zeit organisieren wir jedes Jahr ein großes Forum in Genf, bei welchem europäische Politiker und junge Tibeter aus Europa zusammentreffen, was Hauptgrund meiner Reise war. Es gibt außerdem ein Zusammentreffen der „Inter-Parlamentary Alliance on China“ in Rom. Daher war es eine gute Zeit, um nach Bozen zu kommen, welches eine Inspiration für die Tibeter in Sachen Autonomie war. Aktuell gilt es zu beobachten, wie Europa seine Beziehungen mit China neu gestaltet, da es große Entwicklungen gab: Die Wahlen in Deutschland sind vorbei und in Frankreich stehen sie an. Ich werde Anfang nächsten Jahres nach Europa zurückkehren, um mich mit Regierungsoberhäuptern über ein weiteres Vorgehen und eine europäische Antwort auf den Konflikt zwischen Tibet und China zu unterhalten.<BR /><BR /><BR /><b>Welche Rolle spielt Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, für die im Exil lebenden Tibeter nach Abgabe seiner weltlichen Ämter, und wie bereitet man sich auf den drohenden Bruch in der Suche nach seinem Nachfolger vor?</b><BR />Tsering: Der Dalai Lama ist nach wie vor das Symbol Tibets. Er repräsentiert alle Tibeter – in und außerhalb Tibets – und ist die einzige Person, die von beiden Gruppen, sowie von der internationalen Gemeinschaft respektiert wird. Wir glauben daran, dass Seine Heiligkeit sehr lange leben wird und 113 Jahre alt werden wird. Bis dahin dauert es noch lange. Als Seine Heiligkeit 2011 die politische Verantwortung abgab, sagte er auch, dass er das nicht tue, weil die Tibeter ihm egal seien, sondern weil es an der Zeit sei, dass die Tibeter selbst Verantwortung übernehmen. <BR />In Krisenzeiten, sagte Seine Heiligkeit, werde er immer da sein. Sofort nachdem er ins Exil ging, etablierte Seine Heiligkeit unter ausgesprochen schwierigen Umständen die Demokratie. Von 1959, 1960 an war es seine Vision, dass die Tibeter Verantwortung für sich selbst übernehmen. In den letzten 60 Jahren haben wir viel gelernt, und die tibetische Gemeinschaft ist sehr vielfältig. Während Wahlen sieht man viele Meinungsunterschiede, was natürlich ist in einer Demokratie, aber wir finden immer einen Weg aus Krisen heraus. Seine Heiligkeit ist noch da, in Dharmsala, aber wir müssen jetzt die Arbeit verrichten. Es wird ein großer Schlag sein und eine Übergangsphase geben, bevor sein Nachfolger zurückkehrt und es wird auch die Erziehung und das Heranwachsen Zeit in Anspruch nehmen. Das wird schwierig werden, aber Seine Heiligkeit hat uns sicher vorbereitet, um diese Herausforderungen zu meistern.<BR /><BR /><embed id="dtext86-51538531_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sie sprechen damit auch die persönliche Akteurschaft der Tibeter an, welche über die der Regierung hinausgeht. Was können Tibeter in aller Welt tun?</b><BR /><?Schrift Spationierung="1ru"> Tsering: Wir durchlaufen große soziale und demographische Umwälzungen: Viele Tibeter verlassen Indien, Nepal und Bhutan. Das ist gerade für den Erhalt kompakter tibetischer Gemeinschaften in Indien eine Herausforderung: Wir haben es geschafft, dort unsere Sprache, Kultur und Religion, sowie unseren Lebenswandel zu erhalten. Gleichzeitig bietet sich eine Chance, nun, da wir Tibeter in mehr als 20 Ländern finden. Die Tibeter in Italien sprechen italienisch, andere sprechen deutsch oder spanisch. Sie sprechen die Sprachen, verstehen aber auch die Systeme der Länder, in denen sie leben. <BR />Es ist an der Zeit, das Potential der tibetischen Stammzellen zu optimieren, sich nicht nur auf die internationale Gemeinschaft für Unterstützung zu verlassen. Gerade junge Tibeter können überall Interessenvertretung betreiben. Wir haben eine Interessenvertretung für Tibet lanciert, für welche wir Freiwillige aus der tibetischen Gemeinschaft suchten, die bereit sind, eine, zwei oder vier Wochen im Jahr für Tibet zu arbeiten. Diese Vertreter kontaktieren die Politiker vor Ort und wenn Tibeter das überall machen, gibt es am Ende vielleicht im Parlament eine Anzahl von Mitgliedern, die Tibet unterstützen.<BR /><?_Schrift> <BR /><BR /><b>Da es große Sympathie auch von Außerhalb gibt: Was können Nicht-Tibeter tun?</b><BR /><?Schrift Spationierung="1ru"> Tsering: Sie genießen Freiheit und Demokratie. Heute haben Sie diese Güter, morgen kann das anders sein. Eine autoritäre Regierung kann das ändern. Verteidigen Sie diese Werte, nicht nur vor Ort, sondern in der ganzen Welt. Die Welt ist verbunden und was im Osten passiert, spielt auch im Westen eine Rolle. Wir sind alle Mensch und miteinander verbunden, was es wichtig macht, menschliche Werte und Rechte zu stärken. Alle Menschen, die diese Gerechtigkeit lieben, müssen zueinander finden, sonst wird die Welt vielleicht eines Tages vom Autoritarismus überrannt. Südtirol selbst hat darunter gelitten und schließlich seine Autonomie erhalten. Wenn wir von gemeinsamen Bestreben sprechen, muss dies von allen wesensgleichen Ländern kommen. Das Problem in Europa ist, dass es hier keine gemeinsame Außenpolitik oder Handelspolitik gibt. Die Zuckerbrot- und Peitsche-Taktiken der Kolonialmächte in Asien sowie das Prinzip „Teile und Herrsche“ werden nun von China gegen Europa angewendet. <BR /><?_Schrift> <BR /><BR /><b>Beim letzten Gespräch haben Sie davon gesprochen, dass Seine Heiligkeit zum Potala-Palast hinaufsteigen wird. Halten Sie das noch für möglich?</b><BR />Tsering: Alles ist möglich. Ohne Hoffnung hat der Gegenspieler gewonnen. Eine Einzelperson, eine Organisation oder ein Land, sie alle müssen in Hoffnung leben. Nur Hoffnung allein ist aber nicht genug, man muss auch entsprechend handeln. Aktuell ist die Situation überall auf der Welt ausgesprochen wandelbar. Wer weiß, ob nicht in ein, 2 Jahren die chinesische Regierung zusammenbricht. Alles ist möglich. Deswegen tut China, in meiner Vorstellung, all diese Dinge, weil die Regierung vielleicht das nahende Ende des Kommunismus fürchtet. Wenn es ein Problem gibt, greifen sie Indien oder einen Krisenherd im Chinesischen Meer an, um den Nationalismus in China zu stärken. All diese Aktionen könnten aber auch zum Sturz der Partei führen.<BR /><BR /><BR /><b>Vita</b><BR /><BR />Penpa Tsering ist im März 2021 zum Ministerpräsidenten der Exilregierung (Central Tibetan Administration CTA) in Dharamshala (Nordindien) vereidigt worden. Seit 1959 besteht die tibetische Exilregierung, die offiziell zwar nicht anerkannt, aber von vielen Ländern unterstützt wird. Er ist der 2. Präsident (Sikyong), der von allen Tibetern im Exil demokratisch in das 17. Exilparlament gewählt wurde. Er folgt auf Lobsang Sangay. Zuvor war Penpa Tsering bereits 2 Legislaturperioden lang – zwischen 2008 and 2016 – der Sprecher des Parlaments (CTA).<BR /><BR /><BR /><b>Südtirol</b><BR /><BR />Südtirol hat in den letzten 30 Jahren ca. 40 Hilfsprojekte in tibetischen Siedlungen in Indien unterstützt. Seine Heiligkeit hat mehrmals Südtirol besucht. Politische Delegationen sind zu Gast in der EURAC in Bozen, um mit dem Minderheiteninstitut eine Lösung für Tibet zu erarbeiten. Der Dalai Lama erstrebt eine friedliche Lösung für Tibet und plädiert für eine Autonomie Tibets – ähnlich unserer – unter der Vorherrschaft Chinas. Die Volksrepublik will aber die Assimilation.<?Uni SchriftStil="0" SchriftArt="QuadraatSans" SchriftGroesse="7pt" Vorschub="10,2pt" SchriftWeite="100ru" SatzArt="0"> <?TrVer> <?Uni Kapitaelchen="100ru"> <?_Uni> <?PH PHFormat="$($IptcQue$/)"_> <?PH PHFormat="$($IptcAN)"_> <?_Uni> <BR /><BR /><BR /><b>Tibet</b><BR /><BR />ist ein „autonomes“ Gebiet unter Chinesischer Herrschaft. In der Region, die aufgrund ihrer Hochplateaus und Berge oft „Dach der Welt“ genannt wird, leben knapp 6 Millionen Tibeter und mittlerweile in ganz China 1,4 Milliarden Chinesen. Ca. 150.000 Tibeter leben im Exil. Die Haupt- und größte Stadt ist Lhasa. Vor der kontroversen Eingliederung in den Staat Chinas war Tibet (ein 10-tel Europas ca.) weitgehend isoliert von der Außenwelt. Die Eingliederung wird von vielen Tibetern als Besetzung und Invasion eines souveränen Staates gesehen. Heute ist Tibet Teil des Chinesischen Staatsgebietes. Viele Tibeter setzen sich für die Autonomie ihrer Heimat ein. Der derzeitige 14. Dalai Lama und die Exilregierung Tibets treten international für eine friedliche Lösung des Konfliktes ein, nach einem autonomen Südtiroler Modell.<BR /><BR />Das Video-Interview mit Penpa Tsering gibt es hier. <BR /> <video-jw video-id="Fh8t3NqG"></video-jw> <Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />