Der Sandwirt gilt allgemein als besonnen bis behäbig und gemütlich, aber der Quellenfund zeichnet ein etwas anderes Bild. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Gemeinsam mit Matthias Egger, der die Mappe mit den Schreiben Andreas Hofers entdeckte, haben sie den Quellenfund ausgewertet. Was erzählt er Neues über den Tiroler Helden?</b><BR />Andreas Oberhofer: Andreas Hofer wird beispielsweise immer als Mensch mit „Handschlagqualität“ und als ruhiger, besonnener Mensch dargestellt. Die Verhandlungen mit den Innsbrucker Stadtvätern aber, die sich in den Dokumenten niederschlagen, lassen manchmal einen ungeduldigen und realitätsfremden Hofer durchscheinen, der z.B. nicht einsehen wollte, dass eben nicht genug Geld, Brot oder anderer Nachschub für seine Landesverteidiger aufzubringen waren. Er forderte teilweise Unmögliches und drohte der Stadt mit „militärischer Exekution“, der Strafe des Kaisers und sogar der Rache Gottes, sollten er und sein Vorhaben nicht genügend Unterstützung finden. Zum anderen zeigt sich einmal mehr eine gewisse Hybris, eine Selbstüberschätzung etwa in dem Moment, als er sich steuernd in die Wahl des Innsbrucker Bürgermeisters einbringen will. Schließlich ist aus den Schreiben, die eigentlich dem Verwaltungsschriftgut angehören, hin und wieder ein Augenzwinkern herauszulesen, etwa in den eigenhändigen Beisätzen, die er dem einen und anderen Text hinzusetzte. <BR /><BR /><b>Dieser alles fordernde, sich selbst überschätzende Hofer klingt wohl auch im Titel Ihres Buches durch: „Machen Sie also Mittel oder ich gehe“.</b><BR />Oberhofer: Ja, der Kern der Aussage, die wir auch zum Titel des Buches gemacht haben, ist: Hofer und seine Landesverteidiger waren nicht nur selbstlos unterwegs und wollten sich für die Rettung des Vaterlandes aufopfern. Hofer war durchaus bewusst, dass er ohne Geld und Unterstützung durch die Stadtväter wenig ausrichten und auch den Sold für die Landesverteidiger nicht aufbringen konnte. Er befürchtete – ebenso wie die Innsbrucker Bürgerinnen und Bürger – Unruhen und Plünderungen der marodierenden Landesverteidiger, falls diese nicht für ihre Dienste entschädigt werden könnten. Es hatte bereits Ausschreitungen und Plünderungen gegeben, sowohl die Stadtkasse als auch die „Kanzleierfordernisse“ waren in den Wirren beim Einfall von Schützen und Landsturm in die Stadt abhanden gekommen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-52948835_quote" /><BR /><BR /><b>Was sticht für Sie in den neuen Quellen besonders hervor?</b><BR />Oberhofer: Dass Hofer weniger freiwillig als vielmehr dem Drang der Umstände geschuldet die Position eines Oberkommandanten des ganzen Landes und schließlich eines interimistischen „Landesregenten“ in Innsbruck übernahm, ist in der Forschung nicht neu. Bereits in der Rede, die er am 15. August in Innsbruck gehalten haben soll (!), bringt dies zum Ausdruck, die sinngemäß etwa lautete: Da ihr mich als Oberkommandanten wolltet, bin ich halt da. Alle, die meine Waffenbrüder sein möchten, müssen für Gott, Kaiser und Vaterland streiten. Die es aber nicht tun wollen, die sollen heimgehen. <BR />Dass Hofer gerade in der Endphase des Aufstandes zwischen Enttäuschung und Frust, zwischen Unsicherheit und Sturheit, zwischen Waffenruhe und immer neuen Aufgeboten hin- und hergerissen war, ist mittlerweile ebenfalls anerkannt und akzeptiert. Neu ist am ehesten die innere Unruhe bereits im August und September 1809, das Unterbreiten utopischer Forderungen, auf denen Hofer stur beharrte, obwohl er es wohl besser wusste. Die Drohungen und Erpressungen gegenüber der Stadtregierung, die in den Schreiben wiederholt zum Ausdruck kommen, sind unzweifelhaft ein wenig sympathischer Zug des eigentlich als recht behäbig und „gemütlich“ bekannten Sandwirts.<BR /><BR /><b>Wo werden die in Innsbruck gefundenen Briefe künftig verwahrt?</b><BR />Oberhofer: Die Schreiben verbleiben im Stadtarchiv. Ob sie weiterhin am Ort ihrer Auffindung verwahrt werden oder ob eine Handschriftensammlung, der sie offenbar von einem heute unbekannten Archivar zugeordnet wurden, neu eingerichtet wird, wird sich zeigen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="737564_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie haben im Jahr ein Buch über den „Menschen hinter dem Mythos“ Andreas Hofer geschrieben: Wo haben wir immer noch ein verklärtes Hofer-Bild?</b><BR />Oberhofer: Unser Hofer-Bild ist ein Produkt von mittlerweile 210 Jahren Rezeptionsgeschichten und Heldenerzählung, das auch durch die Initiativen des Museums Passeier – Andreas Hofer stark hinterfragt und relativiert wird, während etwa am Bergisel in Innsbruck mit dem Riesenrundgemälde oder anderen Initiativen, die der weiteren Glorifizierung der historischen Person Hofer dienen, der Mythos fortgeschrieben wird. Ich habe Hofer als Menschen seiner Zeit untersucht und versucht, ihn in seinen Rollen und Handlungsräumen als Bauer, Wirt und Händler im Tirol des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu verorten. Gezeigt hat sich dabei, dass wir nur wenig über den Hofer aus der Zeit vor 1809/1810 wissen. Er war weder prominent noch aus der Masse besonders herausragend. <BR /><BR /><b>Was heißt das konkret?</b><BR />Oberhofer: Seine Bildung entsprach jener eines Wirts und Bauern der Zeit, er war Mitglied der lokalen Schützen und in die Talgemeinschaft durch Freundschaft und Verwandtschaft gut integriert. Für meine Forschung war er insofern sehr interessant, als aufgrund der Bildung des Mythos um „Anno neun“ die physischen Lebenszeugnisse gesammelt, quasi als Reliquien verehrt wurden und deshalb erhalten blieben. <BR /><BR /><b>Wer hat dieses verklärte Hofer-Bild „gemalt“?</b><BR />Oberhofer: Die Rezeption entdeckte Hofer als Figur, die sich als Projektionsfläche für Vieles eignete, angefangen beim romantisierten „wilden“, selbstbewussten alpinen Mannsbild über den „deutschen Helden“ bis zur Reklamefigur und dem Vorkämpfer für ein „Heiliges Land Tirol“. Auf der einen Seite wird Hofer bis heute als Heerführer und Militärstratege dargestellt, obwohl es Stimmen gibt, die immer noch behaupten, er hätte auch während der Gefechte viel lieber im Wirtshaus gesessen und (viel) Wein getrunken. Die Wahrheit liegt sicher irgendwo dazwischen, es fehlen aber schlichtweg eindeutige Hinweise, die der einen oder anderen Gruppe Recht geben würden. Während Hofer im Vorfeld des Gedenkjahres 2009 als Tiroler Taliban bezeichnet und zu einem Gotteskrieger stilisiert wurde und dies zu einer Welle der Empörung führte, gibt es nach wie vor Vertreter der Meinung, dass er ein willenloser Getriebener gewesen sein, der zu schwach war, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – auch hier gilt es genauer hinzuschauen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="737567_image" /></div> <BR /><BR /><b>In den vergangenen Monaten tauchte immer wieder der Hinweis auf, dass Hofer vehementer Impfgegner gewesen sei.</b><BR />Oberhofer: Möglich, ja, aber es gibt einfach keine Quelle, die dies belegen würde; dasselbe gilt für einen übertriebenen Alkoholkonsum oder religiöse Bigotterie – Zeitgenossen notierten, dass Hofer mit den Seinen täglich den Rosenkranz gebetet habe, eine durchaus übliche Praxis, die wohl auch in den allermeisten Bauernstuben und Bürgerhäusern gepflegt wurde. Sicher ist, dass Hofer kein Militärstratege, sondern ein einfacher Schützenhauptmann war. Er war kein Staatsmann und Diplomat, sondern ein Wirt und Pferde- und Weinhändler, der offenbar aber ein bestimmtes Gespür im Umgang mit Menschen aus allen Landesteilen und sozialen Schichten hatte – zumindest auch ein großes Netzwerk von Bekanntschaften unterhielt. <BR /><BR /><b>Er war aber prädestiniert als Anführer des Tiroler Aufstandes?</b><BR />Oberhofer: Hofers Vormachtstellung im Aufstand bildete sich erst während der Ereignisse von 1809 heraus – sie war keineswegs vorgegeben. Erst sein gewaltsamer Tod in Mantua, der ohne Zweifel bereits für die Zeitgenossen ein mediales Ereignis darstellte, machte ihn im wahrsten Sinne des Wortes unsterblich – bereits eine Zeichnung aus dem Jahr 1810 stellte die „Apotheose“ des Sandwirts – also seine gottgleiche Himmelfahrt – bildlich dar. Vor allem mit der Verlegung der sterblichen Überreste in die Innsbrucker Hofkirche 1823 begann die Konstruktion eines neuen Hofer als Landesheld, die mit dem eigentlichen Sandwirt aus dem Passeier nicht mehr viel gemeinsam hatte. <BR /><BR /><b>Sehen Sie ihn persönlich als Vorbild für die heutige Zeit?</b><BR />Oberhofer: Die Rollenbilder der Zeit um 1800 sind längst überwunden, der Patriarch, der in erster Linie danach trachtete, alles Neue und Fremde aus dem Land zu jagen, kann nicht mehr als Vorbild dienen. Auch die Zeit nationaler Helden ist – zumindest in Europa – vorbei, nicht nur die Geschichtsforschung ist von der Verherrlichung „großer Männer“ längst abgerückt. Dass sich Andreas Hofer dennoch nach wie vor großer Beliebtheit erfreut und selbst von politischen Vertreterinnen und Vertretern immer wieder zitiert und gerade in der Zeit um den 20. Februar zelebriert wird, ist eine gleichsam skurrile wie für viele seiner Anhänger „Heimat“ stiftende Facette der Erinnerungskultur der 3 Landesteile der Europaregion Tirol. In dieser Hinsicht hat der „Hofer-Komplex“ doch auch etwas recht Sympathisches an sich.<BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="737534_image" /></div> <BR /><BR />Andreas Oberhofer, in Brixen geboren, studierte Geschichte und Deutsche Philologie an der Universität Innsbruck (Abschluss 2022); er ist seit 2013 Archivar der Stadt Bruneck. Im Jahr 2008 erschien sein Buch „Der Andere Hofer: Der Mensch hinter dem Mythos“; Ende März/Anfang erscheint im Verlag Tyrolia das gemeinsam mit Matthias Egger verfasste Buch „Machen Sie also Mittel oder ich gehe: Andreas Hofer und die Innsbrucker Stadtpolitik im Jahr 1809“, das die neue gefundenen Schriften auswertet. <BR /><BR /><BR /><BR />