Der Meraner kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken: In einer Obervinschgauer Bergbauernfamilie geboren, wurde er vom Kameramann Mario Deghenghi adoptiert, der ihm das Handwerk beigebracht hat. Deghenghi dreht eigene Produktionen und Dokus. Er ist Inhaber der Produktionsfirma Telefilm. Ein Gespräch.<BR /><BR /><b>Was hat Sie bewogen, diese Konferenz zu organisieren?</b><BR />Gottfried Deghenghi: Zu allererst möchte ich festhalten: Ich bin kein Journalist. Ich bin Filmemacher. Ich habe aber viele kennengelernt und mit ihnen gearbeitet. In unseren Reportagen hat uns immer wieder die Gratwanderung des Journalisten zwischen aktueller, spannender Nachricht und dem Einhalten der ethischen Prinzipien beschäftigt. Einer dieser Journalisten, dem das Thema unter den Nägeln brannte, war Hans Benedict. Beim ORF damals besser bekannt als „Big Ben“. Als Spezialist für Nahostfragen in Jerusalem und Beirut, gestaltete er legendäre Reportagen. 1989 wurde er Chefredakteur der Abteilung Dokumentation im ORF. Vor 50 Jahren sind mein Vater (Anm.d.Red. Filmemacher Mario Deghenghi) und Hans im Wohnzimmer gesessen. Sie haben über den Krieg gesprochen und wie schwer es ist, ausgewogen zu berichten, die Wahrheit zu suchen und das Publikum zu informieren. Nach 50 Jahren stelle ich fest, dass sich bis heute daran nichts geändert hat – weder am Krieg in Nahost noch an den Problemen mit denen Journalisten konfrontiert werden. Blogger und Leute die im Internet ihre Meinung verbreiten, genießen manchmal mehr Glaubwürdigkeit als professionelle Journalisten. Was läuft da schief in der Gesellschaft? Diesen Fragen muss man auf dem Grund gehen.<BR /><BR /><b>Sie sprechen in Ihrer Einladung von Ethik und Wahrheit in der journalistischen Berichterstattung – 2 dehnbare Begriffe. Was verstehen Sie darunter?</b><BR />Deghenghi: Gerade weil beide Begriffe dehnbar sind, resultiert die Problematik. Unter Ethik im Journalismus verstehe ich dessen beruflichen Kodex, wie Einhaltung von Privacy, gerade bei Minderjährigen, Menschenwürde und Unschuldsvermutung, um nur einige Begriffe zu nennen. Die Wahrheit hat mit der Sorgfalt der Recherche zu tun. Der Philosoph Sokrates hat gesagt: „Die Wahrheit kommt durch den Dialog zum Vorschein“. Genau das ist der Zweck dieser Konferenz. Es ist nicht immer einfach für Journalisten, gerade unter Zeitdruck, Informationen gegenzuchecken. In dieser Konferenz sollen Journalisten ins Gespräch kommen und ihre Probleme erörtern. So wird zum Thema „Was ist Wahrheit“ etwa Andreas Pfeifer, ORF Journalist in Berlin, sprechen. <BR /><BR /><b>Medien werden auch als „Vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet, weil sie einen kontrollierenden Einfluss auf das politische Geschehen nehmen...</b><BR />Deghenghi: Gerade weil diese so viel Einfluss haben, müssen sie damit verantwortungsvoll umgehen. Faire Berichterstattung und Information, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, sind Voraussetzungen dafür, dass Medien ihrer Rolle in der Gesellschaft gerecht werden. <BR /><BR /><b>Haben Medien diesbezüglich versagt?</b><BR />Deghenghi: Dies ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich.<BR />Vor einigen Tagen habe ich den Philosophen David Precht, als er in Bozen zu Gast war, gefragt, in welchem europäischen Land er das Verhältnis zwischen Journalismus und Ethik am problematischsten empfinde. Darauf hat er geantwortet: In „Deutschland“. Ich glaube, dies hat auch mit der eigenen Wahrnehmung zu tun.<BR /><BR /><b>Lassen sich Medien – gerade wenn man die Situation in Italien beobachtet – heute zu sehr von der Politik steuern? Mit der Pressefreiheit steht es schlecht laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“, erreicht Italien 2023 nur Platz 41…</b><BR />Deghenghi: Mit der Pressefreiheit in Italien schaut es nicht rosig aus, hauptsächlich weil Journalisten und Journalistinnen bedroht werden. So berichtet Reporter ohne Grenzen: „Wegen Mordversuchen oder Drohungen der Mafia oder extremistischer Gruppen stehen in Italien etwa 20 Journalisten und Journalistinnen unter ständigem Polizeischutz. Immer wieder treffen zum Beispiel Brandanschläge und Wohnungseinbrüche investigative Journalisten... In der Corona-Krise ging die größte Bedrohung für Journalisten von Corona-Leugneren aus, die bei Demonstrationen viele Reporter und Reporterinnen bedrohten oder tätlich angriffen.“<BR /><BR /><b>Und wie empfinden Sie die Berichterstattung in Südtirol?</b><BR />Deghenghi: Wir haben in Südtirol in den letzten Jahren mehr Medienpluralismus als vor 30-40 Jahren. Die Möglichkeit, sich über mehrere Medien und Quellen zu informieren, ist aus meiner Sicht gegeben. Südtirol ist ein kleines Land. Kritik wird nicht immer konstruktiv aufgenommen, und das Gleichgewicht ist schnell gestört. Während der Konferenz an der Cusanus Akademie in Brixen ist der letzte Teil den lokalen Medien in Form einer Podiumsdiskussion gewidmet. Die Moderation dazu wird die Journalistin Anita Rossi übernehmen. <BR /><BR /><b>Grundsätzlich erheben heute Populisten am lautesten ihre Stimmen und finden Gehör über die sozialen Netzwerke. Müssen Medien diesem Trend folgen, um heute überhaupt noch gelesen, gehört oder gesehen zu werden?</b><BR />Deghenghi: Nein, Medien sollten nicht jedem Trend folgen. Printmedien, Radio, Fernsehen usw. basieren auf Vertrauen und darauf sollten sie weiter bauen. Auch sind Medien schlechte PR-Manager von sich selbst. Wie wäre es, wenn sie die Öffentlichkeit öfter über ihre schwierige Arbeit informieren würden. Wie und warum Fake News entstehen? Wie findet man die Wahrheit heraus und wie kommt man zu Informationen? Ich glaube, Leser, Zuhörer oder Zuschauer wären an solchen Inhalten interessiert.<BR /><BR /><b>Sie haben in Ihrer Einladung zur Konferenz geschrieben, dass Sie am Ende eine Beobachtungsstelle einrichten möchten. Es gibt bereits den Landesbeirat für das Kommunikationswesen, der die Aufgabe hat, zu beobachten, ob Medien gemäß ethischem Kodex berichten. Ein weiteres „unabhängiges“ Kontrollorgan der Medien also?</b><BR />Deghenghi: Nein, wir wollen nicht ein Kontrollorgan werden. „Beobachtungsstelle“ – das ist symbolisch gemeint. Wir wollen das Thema der „Ethik im Journalismus“ nicht loslassen, am Thema dran bleiben. Dabei geht es in erster Linie nicht um Südtirol. Die Konferenz in Brixen will die aktuelle Situation – besonders in Europa, aber auch international – beobachten und Journalisten auffordern, noch stärker und öfter zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Ziel ist es, den Status quo zu erfassen und sich einmal jährlich zu treffen, um zu diesem Thema zu diskutieren – auch kontrovers. Die Inhalte dieser Konferenz sollen für alle kostenlos zugänglich sein. Wichtig ist, auch die Öffentlichkeit einzubinden. Wir wollen in Südtirol gerade auf Grund unserer Mehrsprachigkeit und unserer Kulturenvielfalt ein Signal setzen.<BR /><BR /><b>Sie sprechen auch von einer „Charta von Brixen“, die auf europäischer Ebene als Bezugspunkt zum Thema Ethik im journalistischen Beruf dienen und das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit stärken soll. Wie stellen Sie sich das vor?</b><BR />Deghenghi: Unser „Brixen-Charta-Projekt“ hat das ehrgeizige Ziel, ein Dokument zu erstellen, das die ethischen Grundsätze noch einmal definiert, welche Journalisten und Kommunikatoren auf europäischer Ebene einhalten sollen. Deshalb ist dieser Kongress auch in Zusammenarbeit mit dem „Büro des Europäischen Parlaments in Italien“ entstanden.<BR /><BR /><b>Wenn das alles gelingt, dann würden Sie die Welt ein wenig besser machen…</b><BR />Deghenghi: Die Welt wird da durch nicht besser werden, aber vielleicht schaffen wir es, dass dadurch Menschen den Medien wieder mehr Glauben schenken und auf sie vertrauen, statt den Fake News im Netz.<h3> Termin</h3>7.11., 8.30 Uhr bis 18.30 Uhr, Cusanus-Akademie, Seminar-platz 2, Brixen <BR /><BR />Referenten: Gian Maria Bedendo, Sonja Kretzschmar, Marco Magheri, Martin Slater, Christiana Mastronicola, Gabriele Cruciata, Nona Mikhelidze, Christoph Bläsi, Vincenzo Varagona, Andreas Pfeifer, Raffaele Fiengo <BR /><BR />Ab 17 Uhr: Podiumsdiskussion mit Vertretern und Vertreterinnen der lokalen Medien.<BR /><BR />Infos: <a href="https://www.cusanus.bz.it/de/cusanus-akademie/1-0.html" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.cusanus.bz.it</a><BR />