„C'è ancora domani“ („Morgen ist auch noch ein Tag“) erzählt von einer Frau in Rom im Nachkriegsjahr 1946, die sich aus der Abhängigkeit von ihrem gewalttätigen Mann zu befreien versucht. Delia ist wertlos, das hat hat man ihr eingebläut. Aber ein mysteriöser Brief mit ihrem Namen auf dem Umschlag und die Liebe zu ihrer Tochter lassen plötzlich den Mut in ihr aufkeimen, Dinge zu ändern. Warum das Drama zum Kassenschlager geworden ist, erzählt Cortellesi im Gespräch. <b>Von Micaela Taroni<BR /></b><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1038099_image" /></div> <BR />Der Film hat sogar den Kultfilm „Barbie“ an den italienischen Kinokassen übertrumpft und in den Schatten gestellt. 5 Millionen Kinokarten wurden für das Schwarz-Weiß-Drama verkauft, das sich mit Fragen rund um die Frauenrolle und die Beziehungen zwischen Männern und Frauen auseinandersetzt. Gleich 6 Auszeichnungen erhielt Cortellesis Film bei der Verleihung des 69. „David di Donatello“, dem italienischen Oscar. Die 50-jährige Regisseurin wurde unter anderem als beste Hauptdarstellerin prämiert. Im Ausland stößt „C'è ancora domani“ ebenfalls unerwartet auf großes Interesse und auf Netflix löste er einen Boom an Aufrufen aus. <BR /><BR /><BR /><b>Nach dem Erfolg Ihres Films in Italien haben Sie ihn jetzt auch im Ausland vorgestellt. Was fällt Ihnen dabei auf?</b><BR />Paola Cortellesi: Obwohl es sich um einen stark italienisch geprägten bzw. römischen Film handelt, wecken die thematisierten Fragen, vor allem die Rolle der Frau, ihre Rechte und das Thema der Gewalt großes Interesse aus – auch in Ländern wie Schweden, wo die Emanzipation der Frau im Vergleich zu anderen Ländern weit fortgeschrittener ist. Ich habe zu meiner Überraschung festgestellt, dass das Thema der Frauenmorde in vielen anderen europäischen Ländern auch ein großes Problem darstellt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1038102_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was hat Sie dazu inspiriert, ein Schwarz-weiß-Drama zu drehen, in dem nicht nur das Thema Gewalt an Frauen, sondern auch die Geschichte des Wahlrechts der Frauen in Italien angeschnitten wird?</b><BR />Cortellesi: Als ich eine von RAI gesendete Doku-Serie „Le ragazze del '46“ (Die Mädchen des Jahres 1946), die 2016 gedreht wurde, gesehen habe, war ich besonders beeindruckt. In Interviews kamen Frauen zu Wort, die 1946 21 Jahre alt waren, also zum ersten Mal wählen durften. Damals ging es um das Referendum Monarchie oder Republik in Italien. 13 Millionen Frauen wählten zum ersten Mal in der Geschichte, einige von ihnen erzählten mit Stolz und Freude von diesem historischen Tag. Das hat mich richtiggehend bewegt. Daraufhin habe ich begonnen, über das Thema zu recherchieren.<BR /><BR /><BR /><b>Wir stehen vor den Europawahlen, doch leider wächst heute auch unter den Frauen das Desinteresse an Wahlen. Die Wahlbeteiligung sinkt in Italien seit Jahren. Ist das ein Rückschritt?</b><BR />Cortellesi: Auch die kleinsten Errungenschaften der Frauen müssen verteidigt werden, wie Nilde Jotti, die erste Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, zu sagen pflegte, denn sie sind nichts Selbstverständliches. Das Wahlrecht, das die Italienerinnen 1946 errungen haben, war ein epochales Ereignis. In meinem Film zitiere ich die Journalistin Anna Garofalo, eine Zeitzeugin, die die Frauen 1946 aufforderte, ihren Wahlzettel „wie Liebesbriefe ans Herz zu drücken“.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1038105_image" /></div> <BR /><BR /><b>Hätten Sie jemals damit gerechnet, dass Ihr Film eine landesweite Diskussion zum Thema Patriarchat und Machismus auslösen würde?</b><BR />Cortellesi: Natürlich erwarte ich mir nicht, zum Abbau einer eingefleischten Macho-Kultur groß beizutragen, es freut mich aber, wenn ich in den Zuschauern etwas bewegen und Hoffnung wecken konnte. Die Hälfte der Zuschauer, die den Film gesehen haben, sind Männer und das freut mich sehr, denn „C'é ancora domani“ ist nicht gegen die Männer gerichtet, im Gegenteil. Neben dem gewalttätigen Mann Delias gibt es im Film auch viele positive Männerfiguren, wie zum Beispiel den Ehemann der Freundin der Protagonistin, den US-Soldaten und den Jugendfreund, mit dem Delia an ein neues Leben träumt...<BR /><BR /><BR /><b>Haben Sie auch Frauen getroffen, die sich noch an jene Nachkriegsjahre erinnern?</b><BR />Cortellesi: Ja, bei einer Filmvorstellung habe ich eine 90-jährige Dame getroffen, die sehr bewegt war, weil sie selbst an dem Referendum 1946 teilgenommen hat. Viele Frauen haben mir erzählt, dass sie im Film Erzählungen aus dem Leben ihrer Mütter oder Großmütter entdeckt haben, in einer Zeit, in der es selbstverständlich war, dass einer Frau nur in der Familie eine Rolle zugewiesen wurde und Vätern, Schwiegervätern, Brüdern und sogar ihren Kindern untergeordnet war.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1038108_image" /></div> <BR /><BR /><b>Auch Freundschaft unter Frauen spielt im Film eine Rolle...</b><BR />Cortellesi: Delia findet in ihrer Freundin Marisa, der Gemüsehändlerin, eine wichtige Stütze. Im Gegensatz zur Protagonistin ist sie nicht resigniert, sie hat einen liebenswürdigen Ehemann und führt ein besseres Leben. Sie spornt Delia an, auf ihre schwierigen Lebensumstände zu reagieren. Im Grunde ist dies ein Film über die Liebe, unter anderem über die Liebe zwischen Mutter und Tochter und zwischen Freundinnen. <BR /><BR /><BR /><b>Sie haben auch behauptet, dass Ihr Film im Grunde ein „Betrug“ ist, warum?</b><BR />Cortellesi: Weil der Zuschauer sich eigentlich einen Liebesfilm erwartet. Das Publikum rechnet damit, dass Delia mit dem Jugendfreund durchbrennt, sich für die Liebe entscheidet und ihren gewalttätigen Mann und ihre Familie verlässt. Am Schluss entschließt sie sich für eine andere Form der Befreiung. Doch im ganzen Film sind kleine Zeichen verstreut, die auf das überraschende Finale hinsteuern.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1038111_image" /></div> <BR /><b>Haben Sie selbst Erfahrung mit Machtmissbrauch gemacht?</b><BR />Cortellesi: Zum Glück habe ich keine Erfahrung mit Gewalt an Frauen, aber es gab Momente in meiner Karriere, die ich als diskriminierend empfunden habe. Mein erstes eigenes Drehbuch war eine Reaktion darauf, sozusagen ein Akt der Selbstermächtigung. Auch die Tatsache, dass in meinem Beruf Frauen weniger bezahlt werden, ist diskriminierend.<BR /><BR /><BR /><b>Sie schreiben seit 10 Jahren selbst Komödien und treten seit fast 30 Jahren als Komödiantin auf. Werden Sie nach diesem überwältigenden Regiedebüt weitere Filme drehen?</b><BR />Cortellesi: Im Moment habe ich noch keine Pläne diesbezüglich geplant. Bei meinen Projekten aber beschäftigte ich mich immer mit Themen, die mir besonders am Herzen liegen, wie jenem der Rolle der Frau.<BR /><BR /><b>Termin:</b> Der Film ist auf Netflix abrufbar. <BR /><h3> Vita Paola Cortellesi</h3><BR /> Die Schauspielerin, Drehbuchautorin, Sängerin und Komödiantin wurde 1973 in Rom geboren. Sie hat u.a. das Festival von Sanremo moderiert. Sie wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit 6 Preisen beim Festival „David di Donatello. Ihr Regiedebüt „C'è ancora domani“ brachte über 5 Millionen Menschen in Italien in die Kinos.