Wie „verfilmt“ man ein Märchen, das zwar durch und durch konkret, aber dabei äußerst knapp, zeitrafferhaft erzählt ist?<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="643145_image" /></div> <BR /><BR /><b>Premiere:</b> Filmfestival Cannes 1983<BR /><b>Genre:</b> Literaturverfilmung<BR /><b>Titel deutsch:</b> „Die unglaubliche und traurige Geschichte von der unschuldigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter“<BR /><BR /><BR /><b>García Márquez</b> ist der Drehbuchautor nach seiner eigenen Erzählung „La Increible Historia De La Candida Erendira Y De Su Abuela Desalmada“<BR /><BR /><BR /><b>Was passiert</b><BR /><BR /><BR />Es war einmal ein schönes Mädchen, ein Kind noch, das lebte in einem fernen wüsten Land im Palast seiner Großmutter. Es musste alle niedere Arbeit verrichten, die im Hause anfiel, und es verrichtete sie willig. Eines Abends aber geschah es, dass es, ermüdet von des Tages Plage, der Kerze nicht achtete, so dass ein Wind sie umwarf und die Flammen den Palast verzehrten. Da forderte die Großmutter Entschädigung von dem Kind und zog mit ihr über Land, ihren Körper zu verkaufen. <BR /><BR />Und die Betttücher wurden nass, und ihr Knochenmark fühlte sich an wie aus zermahlenem Glas, aber das Mädchen tat die ihr aufgetragene Arbeit ohne Widerrede und wurde eine im ganzen Land berühmte Hure. Es war ihr aber ein Engel erschienen in der Gestalt eines Knaben in ihrem Alter, und er liebte sie, und sie liebte ihn. Und als ihre Großmutter mit ihr eines Tages an den Rand der Wüste und ans Meer gelangt war, rief sie den Engel, dass er die Großmutter töte, und trotz all seiner Sanftmut tat er es ihr zuliebe, und ölig rann der Alten das grüne Blut aus dem zerstochenen fetten Leib.Das Mädchen aber lief noch in derselben Stunde auf und davon und ward nie mehr gesehen.<BR /><BR /><BR />So ließe sich eine der schönsten, härtesten, herzzerreißendsten Geschichten der gegenwärtigen Literatur nacherzählen – „Die unglaubliche und traurige Geschichte von der unschuldigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter“, wie ihr erschöpfender Titel lautet. Ursprünglich als Filmdrehbuch konzipiert, veröffentlichte sie der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez – sein Ruhm war noch jung und lockte die Filmfinanciers noch nicht – 1972 in einer Prosafassung. Es war eine jener seiner Geschichten, in denen die vielen in der Kindheit gehörten, im Kern irgendwo wahren Berichte sich zu bösen Märchen auswuchsen, die immerfort zu sagen scheinen: So unausdenkbar phantastisch ist die Realität bei uns.<BR /><BR /><BR /><b>Filmkritik</b><BR /><BR /><BR />Schon das Wort „verfilmen“ klingt immer so unangenehm nach „verhunzen“. Wie „verfilmt“ man ein Märchen, das zwar durch und durch konkret, aber dabei äußerst knapp, zeitrafferhaft erzählt ist. in dem es kein Wort zuviel gibt und jeder Satz eine Einladung an die Vorstellungskraft enthält?<BR /><BR /><BR />Diese Art von Literatur ist unterdeterminiert; Film ist seinem Wesen nach überdeterminiert. Was bliebe von dem Kindheitsschauder von „Hänsel und Gretel“, wenn man die Pfefferkuchen am Hexenhaus nachzählen könnte und genau sähe, dass sie aus Plastikschaum sind? Wenn man nicht umhin könnte zu bemerken, dass Gretel eine Zahnlücke hat? Ich denke gar nicht an einen „schlechten“ Film; ich denke, dass auch der beste Film mit allen seinen überflüssigen Ausmalungen hinter der Vorstellung enttäuschend zurückbleiben müsste. Immerfort lautete seine Botschaft: So ernüchternd ist selbst Phantastischstes.<BR /><BR /><BR />Der Film „Eréndira“ hätte es schwer gehabt, den Zauber der Erzählung zu bewahren; aber er hätte wenigstens ein leidlicher Film werden können. Dass er auch das nicht ist, liegt an einer katastrophalen Fehlbesetzung (mit der der Autor allerdings einverstanden war).<BR /><BR /><BR />Das Mädchen, das – wohl etwas steif – die Eréndira spielt (<b>Claudia Ohana</b>), hat immerhin den Reiz der Kindlichkeit, einer strengen, ernsten, mestizischen, mit der sie ihre Freier wie ihren Autor glaubhaft behext. Ihr engelhafter Liebster sieht zwar ein wenig so aus, als hätte die Regie ihn in der Juniorenabteilung eines Tennisclubs aufgespürt, aber weiche blonde Jungen wirken in der schwarzborstigen lateinamerikanischen Macho-Welt wohl ganz anders. Und wenn <b>Michael Lonsdale</b> als der müde, einsame, todgeweihte Senator Onésimo Sánchez auftritt, der dem Volk ohne eine Spur von wenigstens gespieltem Feuer eine schäbige Jahrmarktkulissenwelt als politische Zukunft anpreist, erreicht der Film sogar eine Suggestivkraft, die seiner literarischen Vorlage zumindest erahnen lässt.<BR /><BR /><BR />Alles dies wäre hingegangen – aber nicht diese Großmutter! In der Geschichte ist sie die Mitte, ein altes, unermesslich fettes und darum fast unbewegliches Weib, versunken in die Erinnerungen an ihre üppige Jugend als Hure und Braut eines kühnen, im Bandenkrieg umgekommenen Schmugglerkönigs, nicht eigentlich „böse“, im Gegenteil zuweilen voller Mitleid für ihre arme Enkelin und voller Hass auf die rohen Mannsbilder, die vor ihrem Zelt Schlange stehen, aber von einer ungeheuerlichen Härte, die daher rührt, dass ihr jede Spur von Unrechtsbewußtsein abgeht.<BR /><BR /><BR />Diese herzlose Großmutter wird im Film von <b>Irene Papas</b> „verkörpert“. Nicht besonders alt, nicht besonders fett, nicht besonders hart, ist sie vor allem „die Papas“, eine drahtige, agile, leicht schrullige Diva, der dunkle Altersschatten angeschminkt wurden, die ihre Unterlippe mächtig grausam vorschiebt und sich vor der Kamera überhaupt gebärdet, als bestünde ihr Ehrgeiz darin, die möglichst vollkommene Karikatur dessen zu sein, was man sich unter einer Schmierentragödin vorstellt. Streckenweise gelingt es ihr leider so gut, dass der Film nur noch „Die auf einem unglaubhaften Missverständnis beruhende Geschichte von der leider etwas dümmlichen Eréndira und ihrer lächerlich theatralischen angeblichen Großmutter“ zu heißen scheint, und dann ist er wahrhaft peinvoll.<BR />Dieter E. Zimmer (Die Zeit)<BR /><BR /><BR /><b>Expertenmeinung</b><BR /><BR /><BR />„Im Film wird zu Beginn und zum Ende eine Erzählerstimme aus dem Off eingesetzt, wonach es sich hierbei allem Anschein nach um die Stimme Erendiras handelt. Diese Off-Stimme scheint zumal dazu zu dienen, dem Zuseher mehr, im Verlauf der Handlung nicht vermitteltes Wissen zukommen zu lassen und gewährt ihm Einblick in das Innenleben der Protagonistin. Dieses bleibt dem Zuseher während des Filmes zu großen Teilen verborgen, da der Einblick in die Gedanken der Protagonistin in der Figurenbeschreibung nicht vorgesehen ist.“ <BR />(Literatur und Film: eine intermediale Analyse ausgewählter Literaturverfilmungen mit Bezug auf das Werk von Gabriel García Márquez, vorgelegt von Gudrun Hildebrand)<BR /><BR /><BR /><b>Fazit</b><BR /><BR /><BR />Wer den kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez mag, wird mit dem Film seine Freude haben. Vor allem sind die Rollen super besetzt, so spielt Irene Papas die Großmutter. Der portugiesische Filmemacher Ruy Guerra ist Mitbegründer des brasilianischen „cinema novo“ und erhielt seinen zweiten Silbernen Bären auf der Berlinale 1978 für A Queda (Der Fall), den ersten für „Os Fuzis“ (Die Gewehre) auf der Berlinale 1964. <BR /><BR /><BR />Der Filmklassiker <a href="https://www.youtube.com/watch?v=WaB0GEplblg" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">„Erendira“ </a>ist zu finden bei Youtube.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />