Filmkritiker Helmut Groschup durchstöbert für Sie YouTube und stellt wöchentlich hier einen Klassiker vor. Heute: „Uccellacci e uccellini“ <BR />(Große Vögel, kleine Vögel) von Pier Paolo Pasolini (Italien 1966).<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="649139_image" /></div> <BR /><BR /><b>Pier Paolo Pasolini</b><BR /><BR /><BR />Geboren 1922 in Bologna. Arbeitet zunächst als Lehrer und engagiert sich bei der Kommunistischen Partei Italiens. 1955 veröffentlicht er sein Romandebüt „Ragazzi di Vita“. 1961 dreht er seinen ersten Film ACCATTONE. Seine frühen Filme (MAMA ROMA, 1962) stehen dem italienischen Neorealismus nahe, vom dem er sich jedoch im Laufe der Jahre zusehends entfernt. Er wird 1975 in Ostia bei Rom ermordet. Filme (Auswahl): IL VANGELO SECONDO MATTEO (1964), TEOREMA (1968), IL DECAMERON (1970)<BR /><BR /><BR /><b>Sound:</b> Ennio Morricone<BR /><b>Internationale Premiere:</b> 13.Mai 1966 Filmfestspiele Cannes</TD><TD><BR /><b>Genre:</b> Komödie, Roadmovie, Allegorie<BR /><BR /><BR /><b>Was passiert</b><BR /><BR /><BR />Ein sprechender Rabe – aus dem Land „Ideologie“, wie er sagt – versucht, einen unbedarft und unbekümmert durchs römische Umland wandernden Mann (der große italienische Komiker Totò) und dessen Sohn auf die ungerechte soziale Ordnung aufmerksam zu machen. Dazu erzählt er ihnen auch die Legende vom heiligen Franziskus und regt sie an, den Falken und den Spatzen das Evangelium zu predigen. Ungeachtet jahreszeitlicher Unbilden gelingt es Totò, erst die Falken, dann die Spatzen zu bekehren. Doch dann stürzt sich ein Falke auf einen Spatzen.<BR /><BR /><BR /><b>Pier Paolo Pasolini über den Film</b><BR /><BR /><BR />„Es geht um das Ende des Neorealismus als einer Art Zwischenstadium, und der Film beschwört den Geist des Neorealismus, vor allem der Beginn, der zwei Charaktere zeigt, die ihr Leben leben, ohne darüber nachzudenken, d.h. zwei typische Helden des Neorealismus, einfach dumpf, sich ihrer Lage nicht bewusst. Der gesamte erste Teil ist eine Beschwörung des Neorealismus, natürlich eines idealisierten Neorealismus. Es gibt andere Stellen, wie die Szene mit den Clowns, die an Fellini und Rossellini erinnern sollen. Einige Kritiker haben mir vorgeworfen, dass diese Szene aus einem Fellini-Film sein könnte, weil sie nicht verstanden haben, dass es ein Fellini-Zitat ist – gleich im Anschluss spricht doch die Krähe zu den beiden und sagt: 'Die Zeit von Brecht und Rossellini ist zu Ende.'“ <BR />(Aus einem Gespräch mit Jon Halliday)<BR /><BR /><BR /><b>Filmkritik</b><BR /><BR /><BR />„Sie sind Menschen und sie sind komisch: Totò, der legendäre Komödiant des italienischen Volkstheaters und Films, mit seinem Hütchen und dem Regenschirm und dem oft unbewegten Gesicht, eine Mischung aus Chaplin und Keaton, und Ninetto Davoli, die Entdeckung Pasolinis, ein listiges, aber ungelenkes Energiebündel, das wie ein Vogel hüpft und flattert, nur nicht weiß wohin. Ihr zielloser Weg ist nicht mehr, wie Accattones in Pasolinis Debüt, eine Passion, eine Tragödie, sondern eine Farce.“ <BR />(Bernd Kiefer, arte Filmklassiker)<BR /><BR /><BR /><b>Expertenmeinung</b><BR /><BR /><BR />Ohne Umschweife entwickelt „Uccellacci e uccellini“ gleich zu Beginn einen Hunger nach eskalierendem Nonkonformismus, einem schelmischen Spiel mit dem Unberechenbaren. Wer den Vorspann mit der Nennung der wichtigsten Namen stumm schaltet, wird gar nicht mitkriegen, was er verpasst. Es gibt unter den famosesten Vertretern besonders kreativ gestaltete Creditsequenzen, welche mit viel Liebe und Aufwand angefertigt wurden und teilweise schon eine künstlerische Form an sich erreichen – und dann gibt es eben die ersten Minuten von „Uccellaci e uccelini“. <BR /><BR />Was? Ja, genau. Die Aufzählung des Stabes wird nämlich gesungen (von Domenico Modugno) und bereits an diesem Punkt geht der Film der Gewöhnlichkeit aus dem Weg. Wäre Pasolinis Werk ein junger Mensch, dann würde man die Diagnose anstellen, dieser sei auf die schiefe Bahn geraten. Falsche Freunde, Drogen, so was in der Art. „Uccellaci e uccelini“, sein Ansehen gefährdete dabei Produzent Alfredo Bini und seine Reputation aufs Spiel setzte Regisseur Pier Paolo Pasolini. <BR /><BR />In dieser Neigung, sich außerhalb der Normalität, den Schablonen, zu positionieren, steckt auch ein Versprechen. Überraschenderweise wird dieses ohne Einschränkungen eingelöst und so bekommt der Vorspann etwas zutiefst Programmatisches. Man hätte den Zuschauer kaum besser auf diesen Film vorbereiten können, welcher sich zwischen Komödie, Roadmovie, Allegorie und vielleicht gar Satire bewegt, dabei nebenbei Pasolini-typische Betrachtungen über Marxismus, Christentum und die Klassengesellschaft streift. Für platteste Albernheiten ist sich dieser Film aber nie zu schade, weshalb hier mehr als nur einmal Menschen wie in den abgedroschensten Slapsticknummern aus der Stummfilmperiode hin- und herflitzen. <BR /><BR />Der kompositorisch strengste Filmemacher war Pasolini ja nie, aber das hier? Totò und Ninetto Davoli verkörpern das wandernde Vater-Sohn-Paar mit einer guten Portion humoresker Leichtigkeit und der sie begleitende Rabe, dessen Laufstil bei dem ein oder anderen Zuschauer bereits Lachkrämpfe auslösen könnte, wird im Verlauf zum heimlichen Hauptdarsteller, der die geistige Aufmerksamkeit durch seine Reden von politischen Ideologien ganz auf sich zu lenken weiß. So sehr „Große Vögel, kleine Vögel“ einen oberflächlich eingängigen Eindruck macht, so sehr ist er auch durch seine reichhaltige Nutzung von Symbolen, Metaphern und politisch-kulturellen Verweisen schwer entschlüsselbar. Warum wählte Pier Paolo überhaupt diese populär-humoristische Form, um seine Standpunkte zu vertreten? Ideologiekritische Betrachtungen verdeckte er damit jedenfalls keineswegs und es schien auch gar nicht seine Absicht gewesen zu sein. (Filmtagebuch)<BR /><BR /><BR /><b>Fazit</b><BR /><BR /><BR />Wer ernste Komödien mag, wer sich für Franz von Assisi interessiert, wer Totò und Ninetto Davoli mag, wer ein Pasolini Fan ist und diesen Film noch nicht gesehen hat, muss diesen Film gesehen haben. Aber man kann ihn auch nochmals anschauen und nochmals und er wird nicht langweilig, das ist Pasolini. Zu verstehen gibt es nichts. (gro)<BR /><BR /><BR /><b>Literaturtipp</b>: Pasolini über Pasolini, folio Bozen 1995<BR /><BR />Der Filmklassiker <a href="https://www.youtube.com/watch?v=YDF6ODBbKgA" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">„Uccellacci e uccellini“ </a> ist zu finden bei Youtube.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />