Kurt Tucholsky nannte den „zaundürren, langen Gesellen mit den staksigen, spitzen Don-Quichotte-Beinen“ einen „Linksdenker“, was im doppelten Wortsinn verstanden werden darf... <BR /><BR />Der Büroschreiber Dürr bekommt ein neues Schreibpult geliefert. Geliefert wird es von einem an Pat und Patachon erinnernden Möbelpacker-Duo: dem hochgewachsenen Tischler, der das Stück angefertigt hat, und seinem winzigen Gehilfen. Beide wuchten das Möbelstück von der Straße in das Büro des dürren Sekretärs. Rasch wird dem Belieferten klar, dass das Schreibmöbel ein Stehpult ist, zum Schreiben im Sitzen denkbar ungeeignet. Dürr will sich sogleich beschweren, doch der hünenhafte Tischler setzt ein grimmiges Gesicht auf und verlangt trotz des Einwands des Sekretärs die Bezahlung, und auch der Winzling will ohne Trinkgeld nicht gehen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="646853_image" /></div> <BR /><BR /><b>Expertenmeinung</b><BR /><BR />„Der neue Schreibtisch“ ist sicherlich Valentins frühes Meisterwerk. Der Film greift ein Lieblingsthema der frühen Filmgroteske auf, das im deutsche Kino bemerkenswerterweise sonst ausgeblendet ist: die systematische Zerstörung des bürgerlichen Hauses als Inbegriff bürgerlicher Ordnung.“ <BR />(Thomas Brandlmeier in: Frühe deutsche Filmkomödie 1895-1917)<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="667193_image" /></div> <BR /><b>Filmkritik</b><BR /><BR />„Valentins Krieg gegen den eigenen Körper und die Tücke des Objekts nimmt hier extreme Formen an. Auf das Körperliche weist schon die zweite Einstellung des Films hin, wenn Valentins lange, ausgemergelte Gestalt den Riesen von Tischler mit seinem kleinwüchsigen Gehilfen konterkariert. An seinem neuen Schreibtisch sitzend, baumeln Valentins Beine überm Boden, mit den langen Armen kann er kaum das Tintenfass erreichen, und mit dem Kopf sitzt er zu tief, als dass er sehen könnte, was er schreibt.“<BR /> (Jan-Christopher Horak)<BR /><BR /><b>„Orchesterprobe“</b><BR /><BR />Regie: Carl Lamac, Deutschland 1933<BR /><BR />Die Orchesterprobe beginnt mit einem Dialog zweier Musiker, die zunächst über den Kapellmeister und dessen Unfähigkeit schimpfen, bis dieser hinter dem Rücken Karl Valentins auftaucht. Dieser schimpft zunächst seelenruhig über ihn weiter, und als er sein Erscheinen bemerkt, sucht er die Ausrede, er spreche gar nicht über den Kapellmeister, sondern über seinen eigenen Bruder. Auf die Aussage des Kapellmeisters, er habe doch gar keinen Bruder, entgegnet er, es gehe um die Schwester. Daraufhin richtet Valentin sehr umständlich und kleinlaut seine Noten und sein Instrument her.<BR /><BR /><b>Besonderheit</b><BR /><BR />Eine Besonderheit der alten Münchner Sprache ist hier auffällig: Der Kapellmeister trägt eine Fliege, welche allerdings von Valentin immer als „Krawatte“ bezeichnet wird. Tatsächlich war dies zur damaligen Zeit im Münchner Sprachraum die übliche Bezeichnung, während eine Krawatte nach heutigem Verständnis als „Binder“ bezeichnet wurde. <BR /><BR /><b>„Im Schallplattenladen“</b><BR /><BR />Regie: Hans H. Zerlett, Deutschland 1934<BR /><BR />Ein Mann (Karl Valentin) sorgt mit seinem verqueren Verhalten für Chaos in einem Schallplattengeschäft. Unter den Augen einer zunehmend verzweifelnden Verkäuferin (Liesl Karstadt) nimmt der Kunde die Vorführung eines unzerbrechlichen Tonträgers zum Anlass, das gesamte Inventar des Ladens zu demolieren.<BR /><BR />„Entstanden in dem Jahr, als die Nazis an die Macht kamen, handelt der Film von einem individualistischen Querulanten, der sich seine eigenen Meinungen nicht austreiben lässt, der inmitten des Orchesters sein eigenes Tempo spielt, und der das Wort „Marsch“ so hinterlistig wiederholt, bis es klingt wie „m'Arsch“.“ <BR />(film.at)<BR /><BR /><b>„Der Firmling“</b><BR /><BR />Deutschland 1934<BR /><BR />Firmpate (Karl Valentin) und Firmling Pepperl (Liesl Karstadt) haben schon das eine oder andere Glas über den Durst getrunken, als sie eine edle Weinkneipe betreten, in die sie eigentlich nicht richtig hineingehören. Sie stoßen aus Versehen den Tisch um und werden von der hochnäsigen Bedienung nicht freundlich behandelt. Der Pate bestellt einen Emmentaler, der hier Affentaler heißt und in einer Flasche serviert wird. So bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Schnapsflasche zu leeren. Während der Firmling die Toiletten aufsucht, da ihm nach einer Zigarre schlecht wurde, pöbelt der Pate gegen die anderen Gäste. Der Besuch in der Gaststätte endet damit, dass beide vor die Tür gesetzt werden.<BR /><BR /><b>Expertenmeinung</b><BR /><BR />„Der evangelische Valentin vermischte, unbemerkt vom Regisseur, die Begriffe „Kommunion“ und „Firmung“: Der Firmling trägt offensichtlich eine Taufkerze, wie dies zur ersten Kommunion, jedoch nicht zur Firmung üblich ist. In früherer Zeit war es im Katholizismus nicht ungewöhnlich, Kommunion und Firmung gemeinsam zu feiern. So könnte es sich in der gezeigten Szene durchaus um eine zusammengefasste Kommunion- und Firmungssituation handeln.“<BR /> (Wolfgang Till: Karl Valentin. Volks-Sänger?) <BR /><BR /><b>Fazit</b><BR /><BR />Kurt Tucholsky nannte den „zaundürren, langen Gesellen mit den staksigen, spitzen Don-Quichotte-Beinen“ einen „Linksdenker“, was im doppelten Wortsinn verstanden werden darf: „I bin koaner von der Burschoisie, i muaß mir mein Geld mit der Hände Fleiß verdienen“, umreißt Valentin in einem Film sein gesellschaftliches Erbteil, in dessen Grenzen und in dessen Mief er wütet. Als links im umgangssprachlichen Sinn erweist sich für Valentin die Ding- und Sprachwelt allenthalben – als sperrig, widersinnig, fallenreich, vollgesogen mit absurder Logik und widerstandswilliger Mechanik. Indem er sie benützt, enthüllen sich die benützten Konventionen und die Konvention der Benützung gleichermaßen als Labyrinthe und Selbstschussapparate.<BR /> (nach: Österreichisches Filmmuseum)<BR /><BR /><b>Literaturtipp</b><BR /><BR /><b>Bertl Valentin:</b> Du bleibst da, und zwar sofort! Mein Vater Karl Valentin. R. Piper & Co. Verlag, München 1971.<BR /><BR />Diese und andere Kurzfilme sind zu finden bei Youtube.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />