Kinoexperte Marian Wilhelm kommentiert nachfolgend die Oscarnacht und meint: „Hollywood ist in der Defensive, politisch und kreativ“.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1136799_image" /></div> <BR /><BR />Regisseur <b>Sean Baker</b> hat in seinen Filmen schon mehrmals von Sexarbeit erzählt und sich für die Entstigmatisierung eingesetzt. Nun hat er mit seiner Tour-de-Force durch den trügerischen amerikanischen Traum den Hollywood-Jackpot geknackt, nachdem er im Mai bereits die Goldene Palme in Cannes gewonnen hatte. Als Drehbuchautor, Regisseur, Co-Produzent zusammen mit seiner Partnerin <b>Samantha Quan</b> und sogar als sein eigener Schnittmeister ging Baker mit 4 eigenen Oscars nach Hause. Dazu noch der Darstellerpreis für den jungen Star <b>Mikey Madison.</b> Lediglich der Nebendarsteller <Fett></Fett> ging leer aus. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1136802_image" /></div> <BR />Dabei ist „Anora“ immer noch ein kleiner Independent-Film und das befeuert eine alte Oscar-Debatte, woher die frische kreative Energie kommt. Während die Academy aufgrund sinkender Zuschauerzahlen seit Jahren daran arbeitet, dass die Kassenschlager des Jahres sich auch in der Nominiertenliste wiederfinden, zeichnen die Mitglieder immer wieder die gewagteren Projekte mit Preisen aus. Darin spiegelt sich die Sehnsucht nach einer Erneuerung, die die Großprojekte der Studios der Kreativbranche nicht bieten wollen. Das war in der Krise der 1970ern noch anders. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1136805_image" /></div> <h3> Erneuerung siegt</h3><BR />Auch der zweite Favorit des Abends, das Epos „The Brutalist“, ist ein günstiger Independent-Film. Er ging mit 3 Oscars nach Hause – Hauptdarsteller <b>Adrien Brody</b>, Musik und Kamera – hätte aber durchaus mehr verdient. Im Gegensatz zu „Anora“ wirkt er aber alles andere als klein, hat den Look eines alten Hollywood-Epos, das auf den ersten Blick wenig Zeitgeist atmet. Regisseur <b>Brady Corbet</b> rührt aber, ebenso wie Sean Baker, die Werbetrommel für kleinere Projekte wie die ihren und das Kino als Gemeinschaftsort des Filmgenusses.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1136808_image" /></div> <BR />Während das alte Hollywood-System und die Kinos wieder einmal unter Druck sind, diesmal u.a. durch die Streaming-Konkurrenz aus der Techbranche, suchen die Studios ihr Heil in immer noch größeren Blockbustern. Die amerikanischen Autorenregisseure aus der Sundance-Ecke kämpfen derweil unabhängig davon ums Überleben oder weichen nach Europa mit seiner Filmförderung und seinen Festivals aus.<BR /><h3> Frauen im Abseits</h3>Die Oscars, das alte Hollywood und die amerikanischen Liberalen befinden sich auch politisch in einem Dilemma. Während das Land mit dem gewählten Disruptor <b>Donald Trump</b> weit nach rechts rückt und bedrohliche protofaschistische Wege einschlägt, suchen sich die kleinen und großen Stars erst mal selbst. <BR /><BR />In einem antifeministischen Backlash mit dem Verlust von Abtreibungsrechten überall in Amerika wirken die nach wie vor wenigen nominierten Frauen bei den Oscars wie ein Nebenschauplatz. <BR /><BR />Dabei hätte <b>Coralie Fargeat</b> mit ihrer Horror-Vision „The Substance“ eine passende Antwort gefunden. Auch das Transfrauen-Musical „Emilia Pérez“ war bis zum Auftauchen der Tweets von Hauptdarstellerin <b>Karla Sofía Gascón</b> ein perfekter Mittelfinger für die Trans-Angstmache aus dem Trump-Lager.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1136811_image" /></div> <BR /><BR />Der internationale Film nahm immerhin den Nebendarstellerinnen-Oscar für Zoe Saldaña sowie den besten Song mit nach Hause, direkt aus den Händen von Mick Jagger, der sich den besten Witz des Abends auf Kosten von Bob Dylan leistete. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1136814_image" /></div> <h3> Kaum Reden auf Politik</h3><BR />Politische Schmähs und ernste Statements in den Dankesreden waren heuer insgesamt spärlich. Hollywood hat begriffen, dass schöne Worte und Spenden nichts nützen, wenn die Bevölkerung sich ökonomisch abgehängt fühlt. Die Stars sind dann nur der Spiegel der Privilegien, was sich zuletzt auch in den teils schadenfrohen Reaktionen auf die Brände in Los Angeles niederschlug. Die waren gestern u.a. mit dem Auftritt von Feuerwehrleuten Teil der Oscar-Verleihung. Moderator <b>Conan O’Brien</b> wohnt angeblich noch immer im Hotel, viele unbekannte ärmere Arbeitende in Hollywood hat es vermutlich schlimmer getroffen. <BR /><BR />Die hausgemachten Probleme verengen den Blick auf die großen Themen der Welt. Lediglich der Dokumentarfilm-Oscar für „No Other Land“ rief den Nahostkonflikt in Erinnerung. Das Regie-Quartett, das bereits bei der Berlinale-Premiere vor einem Jahr für Kontroversen sorgte, gab sich beim Besuch im Dolby-Theatre diplomatisch. Vom jüdischen und vom palästinensischen Regisseur kam diesmal ein klarer Aufruf für Versöhnung und Gleichberechtigung – es müssen nicht immer harte Worte sein. <BR /><?Schrift SchriftWeite="97ru"> <BR />Einen Moment der Reflexion bot wie immer das In Memoriam für verstorbene Mitglieder der Filmwelt, heuer präsentiert von Morgan Freeman. Mit Regisseur David Lynch, dem Musiker Quincy Jones und der erst vor wenigen Tagen tot aufgefundenen Schauspiellegende Gene Hackman waren 3 Männer dabei, die Hollywood daran erinnern sollten, woher die Lebensenergie der kreativen Genies kommt: von den Außenseitern und Underdogs.<?_Schrift> <BR /><BR /><BR />„Anora“ war im Herbst in den Südtiroler Kinos. „The Brutalist“ (Film- club Bozen ), „Emilia Perez“ (Filmclub Brixen) und „A real Pain“ (Cineplexx) sind noch sehen.