Im Gespräch mit s+ erklärt die bereits mehrfach ausgezeichnete Regisseurin, was eine MeToo-Beauftragte vor und bei den Dreharbeiten macht, ob sie bei Szenen mit Joe, Gäbbi, Pasquale & Co. einschreiten musste und was sie vom Männer- und Frauenbild hält, das der kultige Spielfilm zeichnet. <BR /><BR /><b>Warum braucht „Joe der Film“ eine MeToo-Beauftragte?</b><BR />Lisa Maria Kerschbaumer: Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe sind in der Filmbranche keine Seltenheit. Ich persönlich habe auf mehreren europäischen Low-Budget-Sets, aber auch für amerikanische Millionen-Produktionen gearbeitet und hatte das Glück, nie selbst betroffen zu sein. Doch ich habe einige Freunde und Kollegen, die mir von ihren Erfahrungen erzählt haben. Dabei geht es vielleicht nicht immer um grobe Missbrauchsfälle wie im berüchtigten Fall Weinstein, doch auch unpassende und beleidigende Aussagen gegenüber Kollegen am Set können ein ungesundes, als nicht sicher empfundenes Arbeitsklima kreieren und das Opfer psychologisch belasten.<BR /><BR /><b>Bei „Joe der Film“ war das sozusagen eine Vorsichtsmaßnahme.</b><BR />Kerschbaumer: Es war in diesem Fall tatsächlich nicht so, dass wir das Gefühl hatten, es braucht eine Me-Too-Beauftragte, weil wir solche Übergriffe vermuteten. Dennoch haben wir uns entschieden, dass ich die Rolle der Beauftragten übernehme, um ein Zeichen zu setzen; und am Ende man weiß ja auch wirklich nie, was passiert. <BR />Mir liegt als Regisseurin – im Fall von „Joe der Film“ als Co-Regisseurin – immer am meisten daran, ein gesundes Klima zu schaffen, das auf gegenseitigen Respekt aufbaut. Eine Me-Too-Beauftragte am Set zu haben, ist nicht nur wichtig wenn effektiv auch Fälle auftreten, sondern es gibt den Menschen im Team vorab eine Sicherheit, dass – sollte etwas passieren – jemand da ist, an dem sie sich wenden können.<BR /><BR /><b>Also haben Sie diese Zusatzrolle aus Überzeugung übernommen?</b><BR />Kerschbaumer: Ich muss sagen, ich habe mich sehr gefreut, als mich Matthias Keitsch fragte, ob ich die Rolle der Me-Too-Beauftragten übernehmen will. Ich habe oft genug mitbekommen, wie Machtpositionen im Film-Business ausgenutzt werden. Und erst im vergangenen Jahr habe ich an einem Kurs teilgenommen, in dem einer der bekanntesten, amerikanischen Drehbuch-Experten so horrende und sexistische Aussagen gemacht hat, dass ich mir geschworen habe, in Zukunft alles in meiner Macht stehende zu tun, um hier etwas zu verändern.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-57808083_quote" /><BR /><BR /><b>Wie haben Sie sich auf diese Aufgabe vorbereitet?</b><BR />Kerschbaumer: Ich habe mir vorab natürlich alle Richtlinien durchgelesen und welche Schritte ich im Fall einer Beschwerde einleiten muss. Außerdem haben wir zu Beginn des Drehs allen Crew-Mitgliedern kommuniziert, dass ich die Me-Too-Beauftragte bin und sie sich jederzeit an mich wenden können. Mir war dabei wichtig zu erklären, dass sich dieses Angebot an alle wendet – Frauen und Männer. Denn jeder kann in eine schwierige Lage geraten. <BR /><BR /><b>Gab es Situationen, in denen Sie aktiv wurden und einschreiten mussten?</b><BR />Kerschbaumer: Gottseidank gab es bei Joe der Film keinerlei Zwischenfälle, die mir gemeldet wurden. Natürlich habe ich auch während des Drehs immer die Augen offen gehalten. Doch ich muss sagen, „Joe der Film“ war auch deshalb ein so außergewöhnlich tolles Projekt, weil alle Team-Mitglieder wunderbar harmoniert haben. Vom obersten Director of Photografie bis zum Praktikanten – jeder wurde mit demselben Respekt behandelt, was meiner Meinung nach der Schlüssel zu einer guten Zusammenarbeit ist. <BR /><BR /><b>Was wäre im Ernstfall passiert?</b><BR />Kerschbaumer: Hätte ich eine Meldung von jemanden bekommen, hätte ich als ersten Schritt das Gespräch mit den Beteiligten suchen müssen, um klarzustellen, ob das Ganze vielleicht ein Missverständnis war. Der nächste Schritt wäre dann gewesen, die beschuldigte Person zu verwarnen beziehungsweise im schlimmen Fällen den Produzenten zu sagen, dass die Person vom Set entfernt werden und mit jemand anderem ersetzt werden muss. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="854612_image" /></div> <BR /><BR /><b>Das Männer- und Frauenbild in diesem Film ist nicht gerade auf der Höhe der Zeit: Reichlich breitbeinige, machohafte Mannsbilder, auf der anderen Seite etwas naive Frauen wie Joes Freundin Gäbbi. Wie sehen Sie das?</b><BR />Kerschbaumer: Stimmt, „Joe der Film“ zeigt sicherlich nicht das emanzipierteste, modernste Frauenbild. Ich habe mich mit Thomas Hochkofler auch in der Vorbereitung darüber unterhalten. Wir waren aber beide der Meinung, dass dieser Film als ein Ganzes gesehen werden muss. Denn, ja die Frauenbilder sind von vorgestern, aber auch die Männer stehen im Film nicht gerade gut dar. <BR /><BR /><b>Aber das passt dann doch.</b><BR />Kerschbaumer: Ja, „Joe der Film“ ist eine Komödie, in der die Figuren überspitzt dargestellt werden und über deren Handeln und Tun man einfach lachen muss, weil sie in gewisserweise doch Charaktereigenschaften darstellen, die man in unserem Land immer wieder antrifft. „Joe der Film“ nimmt den Südtiroler ein bisschen auf dem Arm – doch er tut es mit Männern und Frauen. Diese Art der Charakterstilisierung ist Thomas Hochkoflers Stärke und deshalb finde ich, passen die Figuren im Film auch dazu. <BR /><BR /><b>Die Filmbranche ist nicht erst seit dem Weinstein-Skandal bekannt bis berüchtigt für Machtmissbrauch und Übergriffe: Was muss sich hier ändern?</b><BR />Kerschbaumer: Wie gesagt, habe ich es mir wirklich zu einem meiner Ziele gemacht, diese Missstände – wenigstens auf den Filmsets, auf denen ich die Regie führe und wo ich etwas ausrichten kann – aktiv zu „bekämpfen“. Im Film-Business herrscht eine strenge Hierarchie. Das ist nötig, um ein Filmprojekt pünktlich und erfolgreich auf die Beine zu stellen. Doch es bringt eben auch negativen Folgen mit sich. <BR />Ich habe die Erfahrung, dass viel von den Personen abhängt, die im Film das „Kommando“ haben – also die Produzenten, die Regisseure. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn diese Menschen offen nach außen Kommunizieren, dass sie Wert auf einen respektvollen Umgang legen und diesen auch selbst an den Tag legen, sich das auch auf eine Crew überträgt. Außerdem kann ich als Regisseurin entscheiden, wen ich in mein Projekt hole bzw. an welche Produzenten und Schauspieler ich mich richte. Doch das allein ist natürlich nicht genug. Ich glaube, es braucht auch bessere Anlaufstellen für die Opfer. Eine Me-Too-Beauftragte ist daher in meinen Augen ein wirklich wichtiger, erster Schritt in die richtige Richtung. <BR />