Aber: Todesangst ist in der Todeszone nicht erlaubt. Und wahrscheinlich hatten Reinhold (Florian Stetter) und Günther (Andreas Tobias) Messner damals keine Ahnung von der Macht des Schicksalsberges Nanga Parbat. Damals als sie, noch Kinder, den Schwur abgaben, einmal den Nanga Parbat zu bezwingen. Als die „alpinistischen Lausbuben“ über die Friedhofsmauer kletterten, um umringt von den Villnößer Totengräbern, vom Pfarrer Schelte einzustecken.„Bring mir den Günther gesund zurück“ Gräber sind das Rückzugsgebiet für die Hinterlassenen. Regisseur Joseph Vilsmaier hält die Kamera darauf, kurz und doch lange genug, um sich später, am Ende des Films, an sie zu erinnern. In dem Moment, in dem Günther Messner dem Tod in die Augen blickt, von der Lawine überrollt in der Diamir-Wand begraben wird. Reinhold Messner wird immer wieder dorthin zurückkehren, als Hinterlassener, im Ohr den Satz der Mutter „Bring mir den Günther gesund zurück“. Es ist seine Wahrheit, die Vilsmaier verfilmt. Die Wahrheit von Reinhold Messner, der als Einziger weiß, was im Jahr 1970 tatsächlich passiert ist. Er ist der einzig Überlebende. Vielleicht ist das der größte und einzige Vorwurf, den man Vilsmaier machen kann. Er zeigt nur diese Wahrheit und klammert jene der Messner-Kritiker gänzlich aus. Noch mehr: Er gibt die Kritiker der Lächerlichkeit preis, weil sie scheinbar nicht verzeihen können, dass Messner trotz des Bruderverlustes gesiegt, am Berg - dem Schicksalsberg - triumphiert - hat. „Am Ende zählt der Sieg“ Reinhold und Günther, zwei Burschen, denen die Villnößer Berge bald schon zu eng werden, nur mehr „gerade hoch“ wollen. Das Credo ist: „Es muss gehen“, denn „am Ende zählt der Sieg. Günther, immer ein bisschen schmächtiger, verträumter und vorsichtiger als Reinhold. Jemand, der sich mit dem Schicksal des Jüngeren, der immer im Schatten des Älteren steht, nicht abfinden will und doch muss. Denn der Ältere ist ein Draufgänger, der er es liebt aus der Reihe zu tanzen, und weiß: „Berühmt wirst du nur, wenn du stirbst. Nanga Parbat, 27. Juni 1970, TodeszoneDennoch: Er ist ein liebender Bruder, einer der Günther die ersehnte Nanga-Parbat-Expedition ermöglicht und der Mutter das Versprechen gibt, Günther gesund zurückzubringen. Die Expedition wird von Dr. Karl-Maria Herrligkoffer geleitet, der von Karl Markovics in seiner Schwäche, Zerrissenheit und seinem Hunger nach Ruhm nicht besser dargestellt werden könnte. Und damit befinden sich Reinhold und Günther schon in der Todeszone. Sie werden zu Einzelkämpfern, gezwungenermaßen und doch gewollt. Denn: Obwohl Gemeinschaft im Basislager am Fuße des Nanga Parbat groß geschrieben wird, will jeder zuerst am Gipfel sein, jeder für sich den Sieg heimholen und damit – wie das Vorbild Hermann Buhl – in die Geschichtsbücher eingehen. Dafür wünscht man den Bergkameraden schon mal den Tod, wie es Felix Kuen (Steffen Schröder) tut, der sich zum Gipfelsieger erklärt, im Glauben Günther und Reinhold seien tot. Von diesem, von Dr. Herrligkoffer gepredigten, „Gemeinschaftssinn“ hält Günther nicht viel und Reinhold nichts. Er bricht am 27. Juni 1970 vom Lager V auf 7.350 Meter Höhe zum Gipfel auf. Günther ist eifersüchtig, will nicht nur den „Rückweg“ sichern und steigt ihm nach. In wenigen Stunden schafft er 600 Meter, holt Reinhold ein. Das Spiel mit dem TodSie erreichen den Gipfel - ohne Sicherungsseile, ohne Proviant, ohne Ausrüstung. Kurze Zeit später beginnt der Abstieg über die Diamir-Flanke und damit das Spiel mit dem Tod. Denn Günther ist schwach, entkräftet, er fleht nach einer Pause. Bei minus 30 Grad verbringen die Brüder eine zweite Nacht in der Todeszone. Die Luft ist dünn, Lawinen sind die einzigen Gefährten. Auch Reinhold beginnt zu halluzinieren: Er folgt einem Einheimischen, der ihm den Weg nach unten weist. Und plötzlich ist Günther weg, verschlungen von den Lawinenmassen. Reinhold, völlig entkräftet, wühlt im Schnee nach ihm, schreit seinen Schmerz gegen die Felswände des nackten Berges, die nur zurückhallen und ihn in ihrer weiten Todesenge allein lassen. Irgendwann gibt er auf, steigt ab, und wären nicht Einheimische, die ihn speisen, wärmen und ein Stück weit tragen, hätte der Tod auch das Spiel gegen den Einzelkämpfer gewonnen. Diese Aufnahmen sind es, die Vilsmaiers „Nanga Parbat“ abrunden, den Film reich machen. Die Momente, in denen sich Vilsmaier für die Macht der Bilder und gegen die Ohnmacht der Worte entscheidet. Wenn Reinhold mit erfrorenen und wundoffenen Füßen barfuß den Weg sucht. Wenn die Nebelschwaden um die Flanken, das Bergmassiv des Nanga Parbat ziehen und eine Menschenhand versucht, sich mit dem Eispickel ein wenig Halt zu sichern. Wenn der Nanga Parbat – umrahmt von der genialen Filmmusik Gustavo Sanaolallas – in seiner Einzigartigkeit fast schon arrogant auf seine Bezwinger blickt. Oder wenn die Hand der Mutter - während der Trauerfeier Günthers - schweigend und vergebend nach jener von Reinhold sucht, der meint als „Hüter seines Bruders“ versagt zu haben. Nur dann kann man als Normalmensch Reinholds Worte nachvollziehen, der auf die Frage von Verlags-Chef Burda, was einen jungen Menschen zu diesem Spiel mit dem Tod veranlasst, antwortet: „Warum malt ein Maler?" Weil er Künstler ist, weil er muss. Johanna Gasser