Donnerstag, 29. Februar 2024

Trockene Augen der Trauer

BLICK INS KINO: „The Zone of Interest“ ist kein historischer Film, sondern einer über die Gegenwart.“ Das sagen Hauptdarstellerin Sandra Hüller und Regisseur Jonathan Glazer über ihr verstörendes Werk, das in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde.

Großartig: Sandra Hüller als Hedwig Höss. - Foto: © filmverleih

Es ist eine Familiengeschichte über ein Ehepaar und ihre 5 Kinder. Wenn der Vater am Morgen zur Arbeit geht, seine schwarzen Reitstiefel und seine Uniform anzieht, wartet eine SS-Eskorte auf ihn.


Von Marian Wilhelm - Foto: © privat


Er ist Rudolf Höß, Kommandant des Vernichtsungslagers Auschwitz-Birkenau, einer der führenden Köpfe des Holocaust. Der britische Regisseur Jonathan Glazer widmet dem Ehepaar Höß nun seinen ersten Film seit seinem immersiven Sci-Fi-Horror „Under The Skin“ vor 10 Jahren. Bei der Verfilmung des gleichnamigen Martin-Amis-Romans ist er sich seiner Verantwortung bewusst. Den industriellen Massenmord im Lager lässt er nur indirekt als schwarzes Loch im Film vorkommen, gemäß dem Bilderverbot, das „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann einst eingefordert hat.


Glazers Porträt des Ehepaares Höß kreist darum herum. Im Fokus steht die oft zitierte These von der Banalität des Bösen, von Hannah Arendt in Bezug auf einen anderen Bürokraten des Holocaust, Adolf Eichmann, aufgestellt. Die Alltäglichkeit, parallel zum Ungeheuerlichen, ist das Thema. Handlungsort ist die Villa der Familie Höß, direkt an der Lagermauer gelegen, im von den Nazis „Interessengebiet“ genannten Bereich. Entfernte Geräusche und der Rauch am Himmel sind fast die einzigen Zeichen dessen, was wir als Zuschauer ohnehin im Kopf ergänzen. Und das genügt.


Glazer und sein Team drehten in Auschwitz, in einer Rekonstruktion nur knapp 200 Meter vom echten Anwesen der Familie Höß entfernt. Um die Alltäglichkeit einzufangen wurde parallel, teils mit versteckten Kameras gedreht, nach dem Prinzip „Big Brother in der Nazi-Villa“. Die beiden deutschen Hauptdarstellenden Christian Friedel und Sandra Hüller spielen die Emporkömmlinge, die sich hier im Paradies befinden, das nur auf Grund der Hölle daneben existiert. Hedwig pflegt ihren Garten, lädt ihre Mutter zur Poolparty ein und organisiert die vielen Angestellten. So erzählt Glazer intelligent und ohne Langeweile von der Normalität und der Alltäglichkeit rund um das Böse herum. Mit der Musik von Mica Levi ergibt sich daraus ein kraftvoller Film der nachwirkt. Jonathan Glazer nennt das, in den Worten der Philosophin Gillian Rose, „einen Film, der uns mit den ,trockenen Augen einer tiefen Trauer' – im Gegensatz zu sentimentalen Tränen – zurücklassen könnte.“


Termin: Filmclub Bozen

Hüller goes to Hollywood


Unaufhaltsam steigt Sandra Hüller in den Filmolymp.



Sandra Hüller (im Bild) hat gerade ihren internationalen Durchbruch. Während man die 45-jährige Deutsche hierzulande schon aus vielen Filmen kennt, entdeckt Hollywood sie gerade erst.
Und zwar mit den beiden Filmen, die sie beim Filmfestival von Cannes vorstellte und die nun im Oscar-Rennen sind. Justine Triets französischer Thriller „Anatomie eines Falls“ (Goldene Palme 2023) und „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer. Diese beiden so unterschiedlichen Rollen zeigen die ganze Spannweite, zu der Sandra Hüller fähig ist: eine erfolgreiche Schriftstellerin unter Mordverdacht und eine SS-Hausfrau. Eine dritte, komödiantische Richtung bewies sie 2016 in Maren Ades „Toni Erdmann“ an der Seite von Peter Simonischek.


Doch es wäre nicht Sandra Hüller mit ihrer ostdeutschen Gelassenheit, wenn sie sich von all dem Trubel um ihre neue internationale Bekanntheit aus der Ruhe bringen ließe. Dem Reporter vom Branchenblatt Hollywood Reporter verrät sie nicht einmal den Namen ihres Hundes und erzählt stolz von ihrem Plan-B, falls es mit der Schauspielerei doch nicht klappen sollte. Denn sie hat einen Stapler-Führerschein in der Tasche, den sie für ihre Rolle in Thomas Stubers Supermarkt-Komödie „In den Gängen“ mit Franz Rogowski gemacht hat.


Ob sie den in Hollywood brauchen kann? Wir werden sehen. Als nächstes soll sie zuerst einmal als „Rose“ im gleichnamigen Film des Wieners Markus Schleinzer zu sehen sein.


eva

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