Der Britische Berufsverband RICS, Royal Institute of Chartered Surveyors, ist weltweit für eine Reform der Stadtplanung tätig. Schon seit dem 19. Jahrhundert greift der Verband bewährte System der Erweiterung der Altstädte durch verdichtete und mit Läden, Büros, Fabrikation und den verschiedenen sozialen Ständen durchmischte Blockrandbebauungen auf. Zunächst sollte damit der Wohnungsnot der arbeitenden Bevölkerung entgegengewirkt werden, aber im Laufe der Jahrzehnte wurde das Wohnen, Arbeiten und städtische Leben in diesen Quartieren (z.B. Berlin, Prenzlauer Berg oder München, Maxvorstadt/Schwabing) zu begehrten Wohn-, Einkaufs-, Dienstleistungs- und Kulturdistrikten. <BR /><BR /><b><BR /><BR />4000 Mitglieder – Südtiroler auch dabei</b><BR /><BR />RICS hat nun mit seiner Organisation in Deutschland, Sitz Frankfurt, fast 4000 Mitglieder, darunter auch den Stadtplaner <b>Christoph Kohl</b>. Der Architekt stammt aus Bozen, wo er das Humanistische Gymnasium besucht hat. Studiert hat er an der Universität Innsbruck, der TU Wien und der Universität Venedig. 1989 zog er nach Berlin, wo er in der Architektengemeinschaft Rob Krier zu arbeiten begann, deren Geschäftsführer er seit 2004 ist. Seit 2018 hat er eine Vertretungsprofessur für Städtebau/Urbanism am Department Architecture (DIA) der HS Anhalt-Dessau inne. Erst vor Kurzem hat er den Bebauungsplan für das gesamte Gelände und den Plan für den Depotneubau des Potsdamer Filmmuseums entworfen. Mit dem Ausnahmetalent haben wir über die ideale Stadt und über Visionen für Südtirol gesprochen.<BR /><b><h3><embed id="dtext86-46889003_quote" /> </h3> </b><BR /><b><BR />Sie wählten den schwierigen Beruf Architekt, der viel idealistische Arbeitsintensität erfordert. Warum?</b><BR />Christoph Kohl: Zum Architekten fühlte ich mich früh berufen. Die besonderen Bauten des „razionalismo“ als Fortführung der altösterreichischen Lauben in Bozen haben mich begeistert – ein Baukulturerbe! Besonders aber Bauten der Zwischenkriegszeit, von Lois Welzenbacher und Clemens Holzmeister, eine Tiroler Moderne, deren Qualität ich folgen wollte. An ihnen habe ich meinen Idealismus entwickelt, den man bei den Schwierigkeiten als Architekt bewahren muss.<BR /><BR /><b><BR />Welche Visionen konnten Sie bewahren und im Beruf entwickeln?</b><BR />Kohl: Meine Vision ist die wertkonservative Tradition, das Weitergeben von Bewährtem in heutiger Form. Gegen einseitigen Formalismus wende ich mich mit dem Erfüllen vielfältiger Anforderungen des Lebens. Deshalb wechselte ich vom architektonischen Gestalter zum Stadtplaner im weitesten Sinne. Meine Visionen sind menschenwürdig gebaute Lebensräume.<BR /><BR /><b><BR />Sie haben sich nicht einschränkend spezialisiert, sondern sehen die Aufgaben des Architekten ganzheitlich?<BR /></b>Kohl: Der Architekt muss ganzheitlich arbeiten und gegen eine Aufteilung des Berufsbildes sein. Als Universalist konzentriere ich mich auf das Zusammenspiel planerischer Disziplinen. Meine Arbeit zielt auf die großflächige Siedlung für ein funktional und gesellschaftlich gemischtes Zusammenleben. <BR /><BR /><b>Die jetzige Pandemie beschleunigt die bereits angebahnte Verödung der Innenstädte durch Aufgabe des Einzelhandels. Was ist da zu tun?</b><BR />Kohl: Diese Entwicklung kann positiv sein. Die Vorstellung, dass die Erdgeschossbereiche der Innenstädte nur mit Geschäften als Fußgängerzone leben, ändert sich. Die Menschen sind nur mit Shopping unzufrieden. Es wird vielmehr um die Qualität des Angebots im öffentlichen Raum gehen, der zu Begegnung und Aufenthalt zwischen unterschiedlichen Funktionen geeignet ist. Der heute durch Konsum monotone öffentliche Raum ist nicht zeitgemäß, seine Kleinteiligkeit ist weitgehend abhandengekommen, beziehungsweise überall bis zur Ödnis gleichartig und nicht mehr ortsbezogen, überall das gleiche Angebot. Wegen der überhöhten Mieten ergeben sich keine Standorte für kreative Funktionen von kultureller, künstlerischer oder bürgernaher Art. Die Immobilieneigentümer müssten bei preiswertem Flächenangebot nicht auf Rendite verzichten, wenn sie in den Obergeschossen zusätzliche Flächen als Bonus erhalten könnten. Für StartUp-Kultur könnten solche Angebote im Baugesuch Förderung darstellen. Die Urbanität findet für die Bewohner auf der Straße und den Plätzen statt, nicht nur über eintöniges Shoppen.<BR /><BR /><b>Ergeben sich vernünftige Mieten über mehr Wohnungsbau oder könnten nicht andere Vorgaben wie Pacht statt Grundstückspekulation möglich sein?</b><BR />Kohl: Wenn dazu die entsprechende Politik entwickelt würde. Baugrund im Umland bereit zu stellen, kann keine dauerhafte Lösung sein. Die gängige Grundstückspekulation zielt fast ausschließlich darauf, die entstehenden Wertsteigerungen mitzunehmen. Das ist asozial und gesellschaftlich nicht länger tragbar. Eine zeitlich definierte Entwicklungsverpflichtung statt ständiger Weiterverkauf und Erbpachtmodelle könnten gegen die Vermarktung de begrenzten Gutes Boden wirksam sein.<BR /><BR /><b>Sie kommen aus Südtirol. Dort spielt die Landschaft für das Bauen eine große Rolle. Wie beeinflusst das völlig andere Berlin Ihre Arbeit?</b><BR />Kohl: Berlin ist als stets unfertige Stadt ein Eldorado für Architekten und Stadtplaner. Zehn Prozent Berlins sind Wasserflächen und noch mehr große Parks und Grünflächen. Maßgebend ist vielmehr die „politische Landschaft“ bei einer Stadtregierung, die Investoren als „Kapital“-Verbrecher ansieht und sogar glaubt, dass weniger neuer Wohnraum durch Mietpreisbremsen zu niedrigeren Mieten führen könnte. Da muss der Architekt regelmäßig auf der „falschen“ Seite dagegen argumentieren. Dabei soll er doch als Baurechtsbeschaffer Moderator zwischen Behörde und Investor einen Bezugspunkt in diesem schwierigen Geschehen sein. Die Niederländer etwa bestimmen ihr Bauland selber – der klassische Städtebauer ist dort der Landschaftsplaner. Die eigene Scholle dem Wasser abringen, Trockenlegen und Aufschütten – und das alles in einem beispielhaften gesellschaftlichen Miteinander zwischen Naturgewalt und Baukultur für die Gemeinschaft. Die Niederlande sind für ein besseres Zusammenwirken von Mensch und Natur ein Jahrzehnt voraus, und ich freue mich über meine kontinuierlichen Aufgaben in diesem Land.<BR /><BR /><b>Die jetzige Pandemie scheint den Klimawandel und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch in den Hintergrund zu drängen. Was muss sich da ändern?</b><BR />Kohl: Pandemie und Klimawandel sind keine Gegensätze. Vielmehr kann Covid-19 zu bisher ungeahnter Verständigung führen über die Globalisierung mit katastrophaler Ausbeutung der Welt unter der Führung von Großkonzernen. Ich spüre das bei meinen Studenten im Masterlehrgang der Hochschule Anhalt-Dessau – bekannt als Next to BAUHAUS – wie sehr die Teilnehmer aus aller Welt sich gegen den ungebremsten Turbokapitalismus stellen und für eine Umorientierung eintreten. Dabei geht es auf keinen Fall darum, westliches Know-How als Problemverursacher zu empfehlen, als vielmehr sich einer Ethik geistiger Veränderung zuzuwenden. <BR /><BR /><b>Ist es Architekten möglich, die Menschen gestalterisch-ästhetisch zur Baukultur zu führen oder bleibt wirtschaftlicher Funktionalismus Grundlage lohnender Investitionen?</b><BR />Kohl: Architekten allein können die Welt nicht retten. Verbesserung in baukultureller und gesellschaftlicher Richtung kann nur mit gleichgesinnten Auftraggebern gelingen. Die gibt es, und ich bin glücklich über solche Zusammenarbeit. Als Architekt bleibt man Moderator zwischen Baukunst, menschlichen Bedürfnissen, sozialen Bedingungen und gesellschaftlicher Übereinkunft – eine Sisyphosaufgabe. Ich sehe mich als Partner meiner Bauherren, die einen Beitrag zur Baukultur im umfassenden Sinne erwarten, jenseits gestalterischer, bisweilen modischer Akzentuierungen durch sogenannte „Stararchitekten“. Sie haben ein Anrecht auf ein funktionelles Bauwerk, das die Investition lohnt und dennoch auf kreativer Vorstellungskraft des Architekten beruht.<BR /><BR /><b>Wie könnte Stadtplanung eine neuartige Verkehrsbewältigung vorgeben?</b><BR />Kohl: In den Städten könnte eine radikale Verkehrswende stattfinden. Die Innenstädte müssen vom Individualverkehr frei sein – das bedarf aber „nur“ der Entscheidung mutiger Politiker. Die Steigerung städtischer Lebensqualität wäre sofort spürbar und diese Politiker garantiert in 4 Jahren wiedergewählt. Aber wie mit dem bergigen bzw. platten Land außerhalb der Städte umgehen? Dafür braucht es neuartige mutige Ideen und andere Investitionen statt Straßenbau.<BR /><BR /><b>Wie kann Überzeugungsarbeit für künftige strukturelle Entwicklungen geleistet werden, die zu politischen Programmen werden müssen?</b><BR />Kohl: Das ist die wichtigste Frage und Aufgabe für uns Planer. Arbeiten in dieser Richtung scheitern vielfach an den so hochgelobten Bürgerbeteiligungen, die in Wahrheit die fehlende Entscheidung der Politiker kaschieren. Persönliche Verantwortung wird nicht mehr gewagt, heute kommen Politiker aus Angst vor einem „Shitstorm“ nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Diese basisdemokratischen Verhältnisse aus mangelnder Verantwortung oder Vorstellungskraft zukunftsfähiger Konzepte führt nur zu auf Ästhetik reduzierte Renderings zur Beruhigung Betroffener. Erforderlich für neue zukunftsfähige Strukturen sind Persönlichkeiten mit Charisma, Mut und Entschlossenheit zu wichtigen Entscheidungen in einer Stadt, einer Region oder einem ganzen Land, wenn es mit nachhaltiger Entwicklungspolitik Geschichte schreiben möchte.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />