Grund genug, um mit dem Direktor <b>Bart van der Heide</b> ein Gespräch zu führen über dieses zweite Kapitel des Langzeitprojekts „Techno Humanities“, das mit zeitgenössischen Positionen die Dichotomie zwischen Gesundheit und Krankheit analysiert. <BR /><BR />Seit seiner Beauftragung 2019 versucht der Direktor, nicht nur einzelne thematisch ins sich abgeschlossene Ausstellungen anzubieten, sondern von einem gut durchdachten und mehrere Partner umfassenden Forschungsprojekt ausgehend, ein mehrteiliges Ausstellungskonzept voranzutreiben. <BR /><BR /><b>Die Ausstellung „Kingdom of the ill“ geht in die siebte Woche. Wie war der Zuspruch des Publikums bisher? Welche Reaktionen gibt es?</b><BR />Bart van der Heide: Für uns ist es eine sehr erfolgreiche Ausstellung, nicht nur, was die Besucherzahlen betrifft. Sie wird auch international sehr gut aufgenommen, und zwar nicht nur von der Kunstpresse, sondern vom Feuilleton allgemein. In der Ausstellung geht es über die Kunst hinaus um Themen, die uns alle berühren. Die Themen sind nicht einfach: Krankheit, Toxizität, medizinische Versorgung beziehungsweise Nicht-Versorgung, Auswirkungen der technischen Errungenschaften auf Gesundheit und Krankheit. <BR /><BR /><b>Hatten Sie keine Bedenken, das Publikum abzuschrecken?</b><BR />Van der Heide: Es ist uns bewusst, dass „Kingdom of the Ill“ eine Herausforderung darstellt. Die Menschen sind seit der Pandemie in Bezug auf diese Themen erschöpft. Aber wenn sie die Schwellenangst überwunden haben, machen die Besucher eine sehr unmittelbare, sinnliche Erfahrung. Das ganze Haus wird bespielt; die Ausstellungsarchitektur führt in die teils sehr intimen und persönlichen Welten von Künstlern und Künstlerinnen, die ihre Erfahrungen mit Medikamentenabhängigkeit, chronischer Krankheit oder Beeinträchtigung preisgeben. Ohne zu belehren oder zu moralisieren. <BR /><BR /><b>Die eigene Biografie rückt nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Kunst zunehmend in den Mittelpunkt. Wie sehen Sie diesen Trend?</b><BR />Van der Heide: Von den 20 Positionen in der Ausstellung sind viele autobiographisch. Aber es handelt sich nicht um Dokumentationen, sondern um das Vermitteln ästhetischer Erfahrungen. Sie stoßen weiterführende Reflexionen an, beispielsweise über die Frage: Ist der gesunde Körper heutzutage überhaupt noch ein Maßstab? Oder gibt es nicht vielmehr eine kontinuierliche Bewegung zwischen einem gesunden und einem kranken Zustand? Solche Fragen beginnen immer bei autobiographischen Erfahrungen, bei der persönlichen Konfrontation mit institutionellen Systemen, die auf der Trennung zwischen gesund und krank bestehen. <BR /><BR /><b>Sara Cluggish und Pavel S. Pys haben die Ausstellung kuratiert. Sie nehmen die Erfahrungen der Pandemie zum Ausgangspunkt, um die Trennung zwischen Gesunden und Kranken in Frage zu stellen. In der gesellschaftlichen Debatte hingegen gibt es eine auffallend rasche Rückkehr in die sogenannte „Normalität“, der sich viele Menschen, nicht nur Kunstschaffende, gar nicht zugehörig fühlen…</b><BR />Van der Heide: Die Ausstellung möchte das Binäre auflösen. Dieses binäre Denken, das „Entweder – Oder“, das „Drinnen oder Draußen“, schließt Menschen aus, die sich als chronisch krank oder beeinträchtigt identifizieren. Deshalb haben wir das Wort „Kingdom“ im Ausstellungstitel durchgestrichen. Bezug nehmend auf Susan Sonntag, die vom Königreich der Gesunden und vom Königreich der Kranken spricht, möchten wir diese Trennung aufheben. Auch ganz praktisch in der Museumsarbeit: Die Eröffnung wurde in Gebärdensprache übersetzt, die Zugänge sind barrierefrei, die Flyer gibt es auch in Leichter Sprache. <BR /><BR /><b>Die Ausstellung möchte Teil eines „größeren Einsatzes für Gleichheit, Fairness und Repräsentation“ (Kurator Pavel S. Pyś) sein. Entwickelt sich Kunst immer stärker in Richtung Aktivismus? </b><BR />Van der Heide: Es gibt verschiedene Kunstwelten, darunter eine, die stärker aktivistisch ist. Das bedeutet nicht, dass wir ab jetzt nur mehr aktivistische Kunst zeigen. Diese Ausstellung ist eine Momentaufnahme. Wir leben in einer zunehmend unsicheren und unstabilen Zeit und müssen akzeptieren, dass der Lebensstandard, den wir gewohnt sind, nicht für alle gilt. <BR /><BR /><b>Diese Momentaufnahme bildet das 2. Kapitel des größeren Projekts „Techno Humanities“...</b><BR />Van der Heide: In „Techno Humanities“ fragen wir nach dem Einfluss des technologischen Fortschritts auf die Geisteswissenschaften, und wie wir es schaffen, die Geisteswissenschaften, die in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr marginalisiert wurden, wertzuschätzen. Philosophie, Literatur und Kunst schaffen Räume für Reflexion und Kritik, setzen Standards und Wertmaßstäbe. Museen sind seit dem 19. Jahrhundert wichtige Botschafter der Geisteswissenschaften. Im Zentrum unserer Arbeit steht die Frage: Was macht mich als Mensch aus? In „Kingdom of the Ill“, lautet die Frage spezieller: Bin ich weniger Mensch, wenn ich nicht gesund bin? Der Maßstab war immer der gesunde, weiße, heterosexuelle Körper. In der Ausstellung versuchen wir diesen Maßstab neu zu schreiben und breitere institutionelle Überlegungen anzustoßen. <BR /><BR /><b>Ab heute findet das performative Symposium „Opening the Pill“ zum Thema psychische Gesundheit in Südtirol statt. Wie hängen Symposium und Ausstellung zusammen?</b><BR />Van der Heide: Thematisch hängt das Symposium mit der Ausstellung zusammen; organisatorisch und konzeptuell ist es unabhängig. Das Programm wurde vom <b>Museion Art Forum</b> vorgeschlagen und autonom erstellt. Das Forum besteht aus einer Gruppe von 9 Menschen zwischen 20 und 35, die alle unsere öffentlichen Programme jenseits der Ausstellungen gestalten. In diesem Fall war ihnen das Thema psychische Gesundheit ein großes Anliegen. Das ist etwas ganz Neues und Ungewöhnliches, ohne dieses Forum hätte sich das Museion nie mit diesbezüglichen Bedürfnissen junger Menschen in Südtirol befasst. Wir stellen der jungen Kreativszene unsere Infrastruktur zur Verfügung, sie können internationale Gäste einladen, sich professionalisieren. <BR /><BR /><b>In der Begleitpublikation zur Schau schreibt der Zukunftsforscher Artur Olesch, dass in der Medizin digitale Technologien die Herrschaft übernehmen werden, aber für die Kunst, Hoffnung zu vermitteln, brauche es weiterhin die Menschen. Gilt das auch für die Museen? </b><BR />Van der Heide: Das sollten sie. Aber Museen sind in einer Identitätskrise, kämpfen mit ihrer Bedeutung. Sie praktizieren nicht das, was sie predigen. Reden viel von Erneuerung, aber die Organisation bleibt hierarchisch und traditionell. Wenn wir die Rolle des Museums stärken wollen, muss es Stellvertreter sein einer Gemeinschaft, wie wir sie für die Zukunft möchten. Wir sind als Museion diesbezüglich auf einem guten Weg. „Techno Humanities“ lässt international aufhorchen. Man versteht, da passiert etwas. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />