Annemarie Laner präsentiert sich mit ihren Arbeiten zur Literatur, zu Geschichten und Mythen, zum Menschen und zur Gegenwart in ihrer Vielschichtigkeit wie ein Speicher, wie eine „Seismographin“, hellwach und immer gegenwärtig. Ein Gespräch.<BR /><BR /><b>Herzlichen Glückwunsch zum „Walther von der Vogelweide-Preis“, eine Auszeichnung, die immer an herausragende Kulturschaffende des Landes geht. Überrascht? </b><BR />Annemarie Laner: Ja.<BR /><BR /><b>Ihr vielschichtiges Werk umfasst ganz unterschiedliche Techniken und Themen: Grafische Arbeiten, Malerei, die Auseinandersetzung mit Literatur, Raumobjekte und Installationen...</b><BR />Laner: Meine Arbeit gründet in der zweidimensionalen Zeichnung. Im Laufe der Jahre hat sich die Arbeitsweise von der reinen Fläche hin zum räumlichen Denken entwickelt. Die Wahl der Mittel, also Technik, Ausarbeitung, Umsetzung usw. richten sich am Thema/Inhalt aus. Die Be- und Ausarbeitungszeit spielt dabei eine wesentliche Rolle, Zyklen etwa sind oft Langzeitprojekte.<BR /><BR /><b>Kunst berührt unser Denken und unsere Wahrnehmung. Bei Ihren Werken geht es nie um die Nachahmung der sichtbaren Wirklichkeit. Was möchten Sie vermitteln? </b><BR />Laner: Interessant für eine künstlerische Auseinandersetzung, einen Werkzyklus etwa, ist meistens das, was ich nicht oder noch nicht verstehe, begreife. Wie ein Werk dann später rezipiert wird, habe ich als Künstlerin nicht in der Hand. <BR /><BR /><b>„Die Kunst ist zu mir gekommen“, haben Sie einmal gesagt... Wie können wir uns das vorstellen? </b><BR />Laner: Ich habe früh in eine nicht verortete Heimat gefunden: ins Lesen als Zustand und Aufenthalt, wo innere Bilder eine andere Welt entstehen lassen. Und ins Zeichnen als selbstvergessen-fokussiertes Tun.<BR /><BR /><b>Sie leben in Sand in Taufers, arbeiten im Atelier in Ahornach, weit oben, im alten Schulhaus: Beeinflusst die abgeschiedene Umgebung Ihre Arbeiten? </b><BR />Laner: Ja, die abgeschiedene Atmosphäre im alten Schulhaus von Ahornach hat eine besondere Qualität. Die Stille dort ist in meinem Empfinden ein physisches Ereignis, so als hätte dieser Ort das alte Wissen um Geomantie, Einklang, Energiefelder usw. in sich gespeichert. <BR /><BR /><b>Schrift, geschriebene Zeichen und Chiffren sind in Ihrem gesamten Werk von besonderer Bedeutung. Ihr tiefes Wissen über Literatur und die künstlerische Verarbeitung begleitet Ihre künstlerische Karriere. Welche Möglichkeiten des Ausdrucks faszinieren Sie daran? </b><BR />Laner: Im Aufschreiben und Zeichnen visualisiere ich, untersuche Gedankengänge und Vorhaben auf ihren Gehalt. Zeichnen und Schreiben sind körperliche Vorgänge: Die Fließbewegung, der Rhythmus, die Wiederholung, führen in ein Gleichmaß des Tuns, das mich der Zeit enthebt. Schrift, Geschriebenes, Zeichen und Zeichnen, die Linie, den Strich, die schraffierte Fläche usw. sind wie ein zusammenhängendes System, das Hand, Kopf, Gefühl auf einfache Weise zusammenführt. So gehen Zeichnen und Schreiben in den Arbeiten oft fast nahtlos ineinander über. Manchmal legen sich Schichten übereinander und entheben eine Arbeit ihrer ursprünglichen Absicht. <BR /><BR /><b>Eine große Ehre wurde Ihnen erst kürzlich zuteil. Sie waren Artist in Residence in Solothurn und haben sich dort intensiv mit dem Werk des Schweizer Autors Peter Bichsel auseinandergesetzt. Was ist daraus entstanden?</b><BR />Laner: In seinen Kurzgeschichten umkreist Peter Bichsel das vordergründig Unbedeutende, das leise Alltägliche – und zeigt darin seine ganze Meisterschaft. Die wöchentlichen Treffen mit PB im „Cutz“, die Gespräche, seine Erzählungen während der Porträtsitzungen waren für den Entwicklungsprozess der dort entstandenen Arbeiten von Bedeutung (Abschlussausstellung Kunsthaus S11, Solothurn). Das Ergebnis des Arbeitsaufenthaltes waren mehrere Werkserien zu Peter Bichsels Kurzgeschichten, Installationsarbeiten und großformatige Porträtstudien.<BR /><BR /><b>Ihr Werk schlägt Brücken von der Innenwelt zur Außenwelt, ist geprägt von Erinnerungen, auch von existentiellen Fragen und Erfahrungen.</b><BR />Laner: So wie im Leben sind auch in einem Kunstwerk Innen- und Außenwelt nicht deckungsgleich, es werden oft mehrere Bedeutungsebenen generiert. Oft bleibt etwas ungesagt, und doch ist es im Werk spürbar. Der Rezipient oder die Rezipientin wird nie genau wissen, was während des Entstehungsprozesses eines Werkes in einem Künstler oder Künstlerin vorgegangen ist. Zum Potential von Kunst gehört, dies nicht als Lücke, sondern als Spielraum für Interpretation und Assoziation zu begreifen.<BR /><BR /><b>Eine große Rolle spielt auch die Kunst im öffentlichen Raum, mehrere Arbeiten wurden mit Preisen bedacht und Sie haben den öffentlichen Bauten durch Ihre Intervention ein ganz besonderes Gepräge gegeben. Welche künstlerischen Voraussetz- ungen sind gefragt, um Kunst und Raum in der Öffentlichkeit in einen Dialog treten zu lassen?</b><BR />Laner: Ich möchte anmerken: mehrere Erstplatzierungen bei Wettbewerben für Kunst am Bau waren Gemeinschaftsprojekte. Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum sind „heikle“ Bereiche. Ob ein angestrebter Dialog zwischen Kunst und Raum/Umfeld gelingt bzw. gelungen ist, zeigt sich oft erst nach „Inbetriebnahme“. Auch was gefragte künstlerische Voraussetzungen angeht, ist Zurückhaltung angebracht. Das Feld ist von spezifischen Situationen und Konstellationen geprägt.<BR /><BR /><b>Stichwort Zyklen, Serien. Ich denke da an Sisyphos, an Ihre Pfauenserie, an die Carnaubawachs-Serie...</b><BR />Laner: Viele Jahre lang war die Radierung, neben der Zeichnung, mein ausschließliches Ausdrucksmittel. Repetitive, rhythmische Arbeitsabläufe und das Denken in Zyklen und Serien sind wesentliche Merkmale der Druckgrafik und kennzeichnen auch meine heutige Arbeitsweise. <BR /><BR /><b>Und wie wichtig ist der Herstellungsprozess für Ihr Werk? </b><BR />Laner: Der Herstellungsprozess ist mir wichtig. Auch sieht man einer Arbeit an, ob handwerkliches Können und Materialgespür da sind, ob die Balance zwischen Idee und Umsetzung stimmt. <BR /><BR /><b>Wer sich mit Ihrer Arbeit auseinandersetzt, merkt, dass es Ihnen dabei auch sehr um das Haptische geht. Sie arbeiten mit Wachs, in Stilfs Haus 59 haben Sie das Werk „Schiachlan und so“ präsentiert, in der Karthause in Schnals waren es auch installative Arbeiten...</b><BR />Laner: Ja, das Haptische spielt eine erhebliche Rolle. Relevant ist auch, wie eine Arbeit in und mit dem Raum kommuniziert. Manche Arbeiten „funktionieren“ in bestimmten Räumen, bringen etwas zum Klingen, andere hingegen nicht. Die damit verbundene Konzeptarbeit im Vorlauf einer Präsentation gehört zur Künstlerinnen-Praxis.<BR /><BR /><b>Tiere begleiten Ihre Arbeiten, spielen eine große Rolle. </b><BR />Laner: Tierdarstellungen sind wie Boten eines fernen Gedächtnisses und zählen zu den ältesten Beschwörungsformeln der Menschheit. Sie ziehen sich durch alle großen Kulturen und haben mich stets fasziniert. Ihr Rätsel vergegenwärtigt das komplexe Zueinander zwischen Mensch und Tier und führt ins Innerste des eigenen Fremden in uns. Die Vögel, Ziegen, Fische und Hybridwesen durchwandern immer wieder meine Arbeiten.<BR /><BR /><b>Wenn Sie auf Ihre lange Karriere zurückblicken, gibt es Entwicklungslinien in Ihrem Werk?</b><BR />Laner: Ich meine ja, aber wahrscheinlich sind sie von außen weniger sichtbar, erkennbar als in meiner eigenen Wahrnehmung. <BR /><BR /><b>Das Künstlerinnen-Dasein ist schwierig, auch oft entbehrungsreich. Vielleicht, weil Sie nie eine angepasste Netzwerkerin waren und Anbiederei Ihnen vollkommen fremd ist. Woher nehmen Sie trotz Schwierigkeiten den Antrieb für Ihr Schaffen?</b><BR />Laner: Wenn ich im Atelier arbeite spüre ich, dass es mich zutiefst erfüllt. Das ist wohl am ehesten der Nährboden, der mir hilft, auch schwierige Zeiten durchzustehen.<BR /><BR /><b>Ich würde Sie als kämpferisch und poetisch in gleichem Maße bezeichnen, manchmal abgeklärt und doch sehr kritisch und vor allem kompromisslos, in Ihrer Arbeit ungemein professionell. Wie sehen Sie sich selbst? Was wünschst Sie sich für Ihr zukünftiges Schaffen? </b><BR />Laner: Ich glaube, wir überblicken heute kaum mehr, was über den eigenen Lebens- und Zeithorizont hinausgeht. Die Widersprüchlichkeiten und komplexen Realitäten sind zur gesellschaftlichen und individuellen Überforderung geworden. Dies seismographisch wahrzunehmen und zu filtern ist für Künstlerseelen eine Herausforderung. Da hilft oft nur der kompromisslose Rückzug. Und je stiller es um mich herum wird, umso mehr hört das Wünschen auf.<BR /><BR /><b>Mit diesem wichtigen Preis wird diesmal eine bildende Künstlerin ausgezeichnet: Deshalb abschließend eine Frage zum Sinn der Kunst. </b><BR />Laner: Sinnlich zu berühren, um Freiheit zu atmen.<h3> Zur Person</h3>Die Künstlerin stammt aus Sand in Taufers und fand bereist in Kindertagen „meine Heimat“ in der Kunst. Von 1990 bis 1995 besuchte sie die Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und beendete mit Auszeichnung ihre Ausbildung. Sie wurde mit dem Hochschulpreis des Landes Tirol geehrt. Seit Beginn der neunziger Jahre nahm die Künstlerin an zahlreichen Ausstellungen teil, ihre erste Einzelschau hatte sie in Wien 1993. Viele ihrer Kunst am Bau-Projekte wurden mit dem 1. Preis ausgezeichnet, u.a. ihre Wege zum Museum, die Fassadengestaltung des Athesia Buch- u. Medienhauses und die Dreifachturnhalle in Bruneck, der Kulturweg in Gais, der Kanonikus Michael Gamper Platz in Prissian. Seit dem Jahr 2000 erschienen zahlreiche Künstlerbücher/Unikate zur klassischen und zeitgenössischen Literatur. Besonderes Anliegen war und ist der Künstlerin der kulturelle Austausch und so nahm sie seit dem Jahr 1997 immer wieder an „Artist in Residence“ Programmen teil. <Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><h3> Der Preis</h3>Die Stiftung „Walther von der Vogelweide Preis“ vergibt alljährlich einen Walther-Preis, im 3-Jahres- Rhythmus wechseln sich Haupt- preis (5000 €), Förderpreis (4000 €) und Jugendpreis (1000 €) ab.