Unerträglich ist das Leben geworden: Femizide, Gewalt, Hass, Ausschluss, Ausbeutung, Diskriminierung, Entfremdung, Sexismus und Misogynie. Und weil nichts von allein passiert und die gesamte Geschichte der Menschheit patriarchal geprägt ist, braucht es beharrliches Weiterkämpfen und Wachsamkeit. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="683729_image" /></div> <BR /><BR />Aufgrund der Pandemie-Einschränkungen mussten die Organisatorinnen sehr flexibel sein; nun ist mit der Schirmherrschaft der Stadtgemeinde Bozen folgende Aktion möglich: Ein Marsch durch die Stadt (ab 9.30 Uhr) und eine Kunstinstallation am Waltherplatz (ab 10.30 Uhr). Damit soll ein sicht- und hörbares Zeichen gegen jede Form von Diskriminierung, Benachteiligung und Gewalt gegen Frauen gesetzt werden. Die Organisatorinnen wollen Südtirol wachrütteln und durch die Protestform die Gewalt gegen Frauen politisieren. Die Aktion vom <b>25. September</b> zeigt sich als Prozess, nicht als Ereignis; sie gibt einen organisatorischen Rahmen und Horizont, räumt den Forderungen Platz ein, schärft und aktualisiert sie. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="683732_image" /></div> <BR />„Frauensolidarität beginnt mit meiner Entscheidung, die andere zu hören, von ihrer Erfahrung Kenntnis zu nehmen, ihre Geschichte so wahrzunehmen, wie sie es mir erzählt. Das heißt, dass ich mich bereit erklärt habe, die Erfahrung jeder Frau als gleichwertig zu erachten.“ So die serbische Aktivistin Lepa Mladenovic. <BR /><BR /><BR />Im Appell, den es auch in leichter Sprache auf Deutsch und Italienisch gibt, daneben – um möglichst viele zu erreichen – Ladinisch, Englisch, Spanisch, Französisch und Russisch, heißt es: <BR /><BR /><BR />Was wir NICHT LÄNGER TOLERIEREN:<BR /><BR /><BR />-</TD><TD>dass ohne uns entschieden und gestaltet wird<BR />-</TD><TD>dass wir aus dem öffentlichen Blickfeld gerückt werden<BR />-</TD><TD>dass wir in die Care-Rolle gedrängt werden<BR />-</TD><TD>dass wir gesellschaftlich entmündigt werden<BR />-</TD><TD>dass wir sprachlich und gedanklich nur mitgemeint sind<BR />-</TD><TD>dass wir unsichtbar gemacht aus dem Raster fallen (Gender Data Gap)<BR />-</TD><TD>dass auf uns herumgetrampelt wird, mit Worten und Taten onLIFE und onLINE<BR />-</TD><TD>dass wir aufgrund unseres Geschlechts abgewertet, erniedrigt und benützt werden<BR />-</TD><TD>dass wir geschlechtsbasierte Gewalt erfahren und Opfer von Femiziden werden<BR />-</TD><TD>dass toxische Männlichkeit und Gewalt gegen Frauen (auch medial) verharmlost und gesellschaftlich geduldet wird.<BR /><BR /><BR />Ab sofort nehmen wir uns den Raum, der uns zusteht. <BR /><BR />Wir FORDERN<BR /><BR />-</TD><TD>Respekt<BR />-</TD><TD>Teilhabe <BR />-</TD><TD>Fairness, auch in Berichterstattung<BR />-</TD><TD>eine Männerquote von bis zu 50 Prozent<BR />-</TD><TD>Gerechtigkeit im Alltag<BR />-</TD><TD>Gerechtigkeit in der Rechtsprechung<BR />-</TD><TD>Schule als Ort der Emanzipation und Sensibilisierung <BR />-</TD><TD>gleiche Chancen, gleiche Entlohnung für gleichwertige Arbeit, menschenwürdige Renten<BR />-</TD><TD>Gewaltlosigkeit<BR />-</TD><TD>Freiheit, auch in der Entscheidung über unseren Körper<BR />-</TD><TD>unsere Menschenrechte.<BR /><BR /><BR />Solange wir den Kuchen NICHT gerecht aufteilen,<BR />solange Männer NICHT mit uns Frauen aufbegehren,<BR />solange Männer NICHT ihren Teil der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit übernehmen,<BR />solange Frauenfeindlichkeit NICHT zum absoluten No-Go wird,<BR />solange die Istanbul-Konvention von 2011 nicht umgesetzt ist,<BR />solange fordern wir auf … zum kollektiven Aufmarsch!<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="683735_image" /></div> <BR />Am Samstag, 25. September, wird es ganztags eine performative Installation mit Stühlen geben, die den Titel „On Remembrance“ trägt. 50 weiß bemalte Stühle werden aufgestellt; einige davon tragen die Namen der Opfer von Femiziden in Südtirol, andere werden mit Forderungen, mit Slogans und Zitaten versehen sein. Gleichzeitig wurde eine Mitmach-Aktion lanciert: „Bring deinen eigenen Stuhl mit!“, damit die Installation am 25.9. wachsen kann. <BR /><BR /><BR />„Wir vergessen nicht!“ hieß der Slogan am vergangenen Internationalen Frauentag, an welchem mit einer Liste der ermordeten Mädchen und Frauen in Südtirol, der Femizide von 1992 bis 2021, erinnert wurde. Italienweit gab es seit Jahresbeginn 2021 bereits 77 Femizide; 2018 waren es 133, im Jahr 2019 111 und 2020 112. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="683738_image" /></div> <BR /><BR />Wer erinnert sich? Die Kulturwissenschaftlerin <b>Aleida Assmann</b>, neulich bei den Literaturtagen Lana, spricht vom weiblichen Erinnern und männlichen Vergessen und zeigt in ihrer Arbeit die geschlechtsspezifische Konnotation zur Bewertung von Erinnern und Vergessen im philosophischen Diskurs, in der Sprache und in der gesellschaftlichen Bewertung auf. Frauen fällt die Rolle der „remembrancer“ zu. Sie tragen neben Trauer, Leid und Anklage auch Hass und Wut mit sich herum und erleben, wie schwierig es ist, als Frau Gehör zu finden, weil sie nicht als wichtig und würdig genug gelten, nicht sichtbar sind, verschwiegen werden.<BR /><BR /><BR />Die Stadt Bozen ist die Schirmfrau dieser feministischen Aktion und unterstützt „On Remembrance“ zum Gedenken an die Frauen, die Gewalt nicht überlebt haben. Als Zeichen für Nulltoleranz bei Gewalt an Mädchen und Frauen. Als Aufschrei gegen die Unterdrückung von Frauen weltweit und für Gendergerechtigkeit. Die Organisatorinnen wollen durch diesen feministischen Aktionstag auf jede Form der geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlungen aufmerksam machen, um aufzurütteln und die Zukunft gerechter zu gestalten. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="683741_image" /></div> <BR /><BR /><BR />„50 weiße Stühle am Waltherplatz – Platzhalter für die Frauen, die von Männern ermordet wurden. Ein Ausdruck eines wachsenden Widerwillens in der Zivilgesellschaft, jegliche Form der geschlechtsbasierten Gewalt wörtlich „auf sich sitzen zu lassen“, sagt <b>Laura Volgger,</b> die die Kunstinstallation konzipiert hat. „Weiß ist die Farbe der Unschuld, aber auch die Farbe der Unsterblichkeit und Unendlichkeit. Wir vergessen nicht! Erst, wenn erinnert wird, wenn wachgerüttelt und hingezeigt und aufmerksam gemacht wird, kann langfristig eine gesellschaftliche Veränderung passieren – und dass diese über kurz oder lang erfolgen muss, daran besteht kein Zweifel.“ So Volgger.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="683744_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Einige Stühle sind mit Namen versehen und damit den Femizidopfern in Südtirol gewidmet; ein zentraler Stuhl ist den Mädchen und Frauen in Afghanistan gewidmet. Die Anordnung der Stühle auf dem Waltherplatz folgt keinem klar erkennbaren Muster, viel eher sind die Stühle in einem gleichmäßigen Abstand willkürlich über den Bozner Platz verteilt, so wie auch Gewaltstrukturen nicht symmetrisch verlaufen, sondern verschiedenste gesellschaftliche Bereiche durchwachsen. Nur durch eine breite gesellschaftliche Partizipation können ungewünschte Strukturen beseitigt und zum Einsturz gebracht werden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="683747_image" /></div> <BR /><BR /><b>Drei Fragen an Laura Volgger</b><BR /><BR /><BR /><b>Die Kunstinstallation trägt den Namen „On Remembrance“. Dein Anliegen schwingt schon im Titel mit.</b><BR />Laura Volgger: Ja, die Installation ist ein Mahnmal im Gedenken an jene Frauen, die von einem Mann umgebracht wurden: Femizidopfer. Das Phänomen ist viel zu lange schon ein sozialer Notstand: Neun Frauenmorde in den letzten zwölf Tagen lautet die traurige gesamtstaatliche Bilanz. Im letzten Jahr wurde jeden dritten Tag eine Frau in Italien umgebracht, meist von einem Mann aus dem direkten familiären Umfeld. <BR /><BR /><BR /><b>Das urbane Kunstprojekt ist anlässlich des Aktionstages „Frauenmarsch Donne in marcia“ entstanden. Was möchtest du damit verdeutlichen?</b><BR />Volgger: Der Stuhl ist Platzhalter für die Opfer, gleichzeitig drückt er einen wachsenden Widerwillen in der Gesellschaft aus, geschlechtsbasierte Gewalt und Sexismus „auf sich sitzen zu lassen“. Dabei gilt: Wenn wir uns als Zivilgesellschaft der Auseinandersetzung mit diesem Thema entziehen, sind wir mitverantwortlich am Fortbestehen dieser ungesunden Dynamiken. <BR />Die Installation ist nicht etwas in sich Geschlossenes, vielmehr soll sie wachsen durch das Dazustellen eines eigenen Stuhls (ob gestaltet oder nicht). Wichtig ist die Interaktion, das Teilwerden. Wir alle müssen uns als Teil einer Bewegung begreifen, die Sexismus, sexueller Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende setzen will: Wir brauchen eine feministische Politik, um diesem gesellschaftlichen Problem Einhalt gebieten zu können. Wir müssen Bewusstsein und Unabhängigkeit schaffen, Polizei und Justiz schulen, Gewalt gegen Frauen im Internet richtig verfolgen. Es braucht mehr Therapieangebote und Wohnungsmöglichkeiten, mehr Prävention im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule; die Rechte von Minderheiten müssen gestärkt werden. Ich frage mich, wie viele Frauenmorde noch begangen werden müssen, um die Durchsetzung dieser Forderungen zu erreichen.<BR /><BR /><BR /><b>In einer Zeit, in der eine mobile Demonstration für Frauenrechte covidbedingt nicht möglich ist und Begegnung durch äußere Zwänge unmöglich gemacht wird, schafft die Installation so unverhofft einen Raum, um über Gewalt an Frauen, Femizid, Frauenrechte nachzudenken.</b><BR />Volgger: Dazu fällt mir ein Zitat einer deutschen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin ein, Hedwig Dohm. Sie meinte: „Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne. Schaffen wir Möglichkeiten!“ Eine Pandemie kann demnach keine Ausrede sein, den Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung zu vertagen. <BR />Eine künstlerische Intervention kann einen Perspektivenwechsel einleiten, starre Denkmuster aufbrechen und zum Nachdenken anregen. Insofern bin ich davon überzeugt, dass durch das Aufzeigen von Problemen, durch das Beobachten, Informieren und Protestieren (auf vielen gesellschaftlichen Ebenen, nicht nur der Kunst!) die kritisierten Systeme in die Enge getrieben werden: Sie müssen sich verändern, reformieren und aktualisieren, um ihre Macht nicht zu verlieren. Insofern ist Kunst wohl auch ein geeignetes Mittel, um „politisch“ zu agieren. Dies gelingt am besten dann, wenn wir uns in einem interdisziplinären Netzwerk bewegen und austauschen. Insofern finde ich die Arbeit mit den Südtiroler Feministinnen, die sich zur Initiative „Action Day Frauenmarsch – Donne in marcia“ zusammengeschlossen haben, unglaublich wertvoll. Und eine wunderbare Frauensolidarität. <BR /><BR /><BR /><b>Zur Person:</b><BR />Laura Volgger, geb. 1994, arbeitete zuletzt für diverse Frauenvereine mit Migrationsbezug. In ihrer künstlerischen, wissenschaftlichen und lehrenden Tätigkeit beschäftigt sie sich vielfach mit vulnerablen Gesellschaftsgruppen. Aktuell arbeitet und lebt sie in Berlin.<BR /><BR /><BR /><b>Das Programm</b><BR /><BR /><BR />Ein Marsch, eine Kunstinstallation und die aktive Beteiligung von Vereinswelt und Zivilgesellschaft<BR /><BR /><b>Start um 9.30 Uhr:</b> Schlachthofstraße 38 (Nähe Cineplexx) Parcours: Schlachthofstraße, Loretobrücke, Verdiplatz, Kapuzinergasse, Poststraße, Waltherplatz<BR /><b>10.30 Uhr:</b> Ankunft Waltherplatz, Installation „On Remembrance“ – Bring deinen eigenen Stuhl mit und erweitere die Installation<BR /><b>Bis 18 Uhr:</b> Aktionen und Flashmobs von verschiedenen Frauenvereinen, -organisationen oder engagierten Einzelpersonen. Mit dabei ein großer Teil der Jugend- und Kulturarbeit, das Frauennetz in den Gewerkschaften, die interkulturelle Mediation, die Gewaltprävention und Frauenhäuser bis hin zu einschlägigen feministischen Vereinen und Frauen-Organisationen.<BR /><BR /><BR /><b>„EineVonUns.“ Nachdenken über Femizide</b><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Es folgen:</b><BR />Teil 1: #EineVonUns. Nachdenken über Femizide – Mehr Kulturarbeit notwendig <BR />Teil 2: „Solidarisch sein heißt: Die Wärme auf die Straße tragen.“ Nachdenken über Sexismus, die Logik des Frauenhasses und den Südtiroler Frauenmarsch<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />