Die Freude darüber, dass sich jetzt materialisiere, was in den vielen Monaten zuvor gedacht, besprochen und organisiert wurde, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Das folgende Gespräch gibt einen Einblick in Leonie Radines kuratorische Tätigkeit und in den Prozess, den die die Installation in den nächsten Monaten durchlaufen wird.<BR /><BR />Der Künstler Asad Raza legt kurz die Schaufel weg, wischt sich den Schweiß von der Stirn, erzählt, wie es zu dieser Ausstellung und zur Zusammenarbeit mit Leonie Radine gekommen ist. Glückliche Zufälle, sagen sie. Asad Raza, der in New York und Berlin lebt, war in seiner Kindheit oft in der Nähe von Brixen bei Verwandten. Anlässlich seines letzten Besuchs in Südtirol und im Museion kam es zum Gespräch mit Leonie Radine und zu dieser Zusammenarbeit. Um Zusammenarbeit und Miteinander geht es in dieser Ausstellung in jeder Hinsicht. <BR /><BR />Vor ein paar Monaten stand auf der Website des Museion ein etwas rätselhafter Aufruf zu lesen: Es wurden Menschen gesucht mit Interesse an der Arbeit mit dem Erdboden. Die neun „Kultivator*innen“, so werden sie vom Künstler genannt, sind Künstlerinnen, studieren und lehren an der unibz. Sie proben gerade, sagt die Kuratorin. Das heißt, dass sie gemeinsam mit Asad Raza die Erde umschichten, die Bodenwissenschaftlerin Jess Chadwick gibt Erklärungen. In den kommenden acht Wochen wird jeweils nur mehr eine Person die Arbeit verrichten, mit den Besuchern in Dialog treten, Fragen beantworten.<BR /><BR />Es ist nicht irgendein Boden, sondern einer, der gute, fruchtbare Erde hervorbringen soll. Zu diesem Zweck muss er bewässert werden, der pH-Wert wird regelmäßig getestet, um die Mischung der Zutaten zu überprüfen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="880175_image" /></div> <BR /><BR />Während sich die kopflastige Winterstarre aufzulösen beginnt und sich das Gefühl ausbreitet, auf einem aufgebrochenen Acker im Frühjahr zu stehen, erklären Künstler und Kuratorin die Zusammensetzung der Erde. „Neosoil“ nennt Asad Raza seine Kunsterde. In der Ecke der Bibliothek stehen Säcke mit verschiedenen Ingredienzien, alles Abfälle: Baumschnitt, Papierschnitzel aus dem Schredder, Kaffeebohnenhülsen, Kakaobohnenhülsen, Marmorstaub, Buchweizenspreu; Traubentrester, Haare aus dem Bozner Friseursalon werden dazukommen. Sie bilden mit der Grundzusammensetzung der Erde ein regionales Porträt. Basis sind wie bei jeder Erde Sand, Lehm, Schluff und Grünkompost. <BR /><BR />Zur Installation gehört auch ein Video. Die ersten beiden „Strophen“ sind fertig. Die nächsten kommen im Laufe der Ausstellung dazu. In der zweiten Strophe mischt der Künstler mit seiner kleinen Tochter die Erde wie für ein Kuchenrezept. Auf dem Poster zur Ausstellung ist es abgedruckt, als optionale Zutat sind Würmer aufgelistet. <BR /><BR />Leonie Radine hat am Ende ihrer kleinen Führung noch ein wichtiges Anliegen: Die Ausstellung soll zum Verständnis dessen beitragen, was der Boden eigentlich bedeutet. Er ist eine Grundlage unseres Lebens, 90 Prozent unseres Essens haben mit dem Boden zu tun zum Beispiel und sind von dessen Qualität wesentlich beeinflusst. Bart von der Heide ergänzt: „Wir haben in der Sammlung viele Werke, alle müssen wir sorgfältig pflegen. Sie sind ein kulturelles Erbe, für das wir die Verantwortung tragen. Mit dieser Ausstellung möchten wir zeigen, dass der Boden und dessen Pflege ein genauso wichtiges kulturelles Erbe sind. “<BR /><BR />Das folgende Gespräch gibt einen Einblick in Leonie Radines kuratorische Tätigkeit und in den Prozess, den die die Installation in den nächsten Monaten durchlaufen wird.<BR /><BR /><b>Die Frage wurde Ihnen sicher schon oft gestellt, ich stelle sie trotzdem noch einmal. Sie waren am Kölner Museum Ludwig tätig, sie haben am KW Institute of Contemporary Art in Berlin gearbeitet, waren Assistenzkuratorin für den Beitrag von Maria Eichhorn auf der Biennale 2022 im Deutschen Pavillon, kurzum, sie hatten ein interessantes und anspruchsvolles Tätigkeitsfeld in Kunstmetropolen. Wie viel Überredungskunst brauchte es, Sie für das Museion in Bozen zu gewinnen? </b><BR />Leonie Radine: Keine Überredungskunst. Ich bin 2021 von Norden nach Süden durch Italien gereist und habe damals auch das Museion besichtigt. Ich habe gleich in der Passage gemerkt, dass es hier sehr spannende Ansätze gibt und eine Vision, die sich unmittelbar mitteilt. Bart van der Heide kannte ich als Direktor des Kunstvereins München und dann als Chefkurator für das Stedelijk in Amsterdam und habe ihn immer sehr geschätzt. Dann wurde die Stelle ausgeschrieben, ich habe mich sehr gefreut und mich beworben. <BR /><BR /><b>„Plot“ ist Ihre erste große Ausstellung im Museion. Ein Plot kann ein Grundriss sein, ein Handlungsfaden; vieles bleibt laut Konzept offen. Wie viel Offenheit und Bereitschaft für Überraschungen müssen Sie als Kuratorin mitbringen? </b><BR />Radine: Das erste Kapitel von Plot hat Asad Raza Absorption genannt. Das hat mit Aufnehmen zu tun, und zwar in vielerlei Hinsicht. Das Aufnehmen von Sinneseindrücken und das Aufnehmen von Wissen. Ich nehme sehr viel auf, lerne jeden Tag Neues: vom Künstler, von den Bodenexperten, von der technischen Leitung. Es geschieht ein großer Wissenstransfer. Wir lernen alle gemeinsam, wie sich das Material verhält. Die Ausstellung wird jeden Tag anders erfahren werden, je nach den Menschen, die hierherkommen. Sie ist wie ein Roman, wo jedes Umblättern eine neue Erfahrung bringt. <BR /><b><BR />Hat die Rolle eines Kurators, einer Kuratorin, die einer Ausstellung ihren unverwechselbaren Stempel aufdrückt, ausgedient? </b><BR />Radine: Ausstellungen entstehen immer in einem Team, zusammen mit verschiedenen Stimmen. Ich bin in einem Netzwerk aktiv, wo viele Menschen beteiligt sind. Plot ist in einem besonderen Maße eine kollektive Ausstellung. Es geht um den Austausch, den Dialog. So wie bei Asad Raza selbst, der eine neue Art des Ausstellens erkundet und das Involvieren von anderen zur Grundlage seiner künstlerischen Praxis macht. In seinen bisherigen Projekten zum Beispiel hat er einen Tennisplatz in eine Mailänder Kirche gebaut, in Frankfurt hat er das Flusswasser des Mains umgeleitet und es gefiltert den Besuchern zum Trinken angeboten, auf der Withney Biennal 2017 kümmerten sich Baumpflegerinnen um eine Pflanze ihrer Wahl. Es geht um Begegnungen und Beziehungen zwischen Menschen, Landschaften und Architekturen. <BR /><BR /><b>Stichwort „Architektur“: Das zweite Kapitel von „Plot“ wird sich mit Bauten beschäftigen, gibt Azad Raza seine Installation frei?</b><BR />Radine: Für Asam Raza ist das Konzept der Behausung wichtig, Seine Absorption, die ähnlich bereits im Gropius Bau in Berlin installiert war, in Sydney, auf der Ruhrtriennale, in Glasgow, wird im Museion ab Mai zur architektonischen Landschaft und zum Habitat für andere Künstler. Aus einem Teil der Kunsterde entstehen bereits jetzt die ersten Ziegel und werden in der Bibliothek zum Trocknen ausgelegt. Ein Architekt leitet die Herstellung an. Die Künstlerin Lydia Ourahmane hat mit dem Mailänder Designstudio BB nach vielen Recherchen in der algerischen Wüste, in der Renaissancearchitektur, der Bergwelt, Modelle für Zufluchtsbauten entworfen. Die kleinen Behausungen werden im Museion nach alter Ziegelbautechnik errichtet. <BR /><BR /><b>Diese Architekturlandschaft wird im dritten Ausstellungskapitel eine Performance im Rahmen von Tanz Bozen aufnehmen. Die multi- und interdisziplinäre Praxis scheint für die Künstler immer selbstverständlicher. Auch für die Museen selbst? </b><BR />Radine: Sie ist unbedingt notwendig. Ein Museum ist ein mit der Gesellschaft geteilter Raum. Da sich diese Gesellschaft rasant wandelt, bedarf es der Kooperation zwischen den verschiedenen Künsten, Wissenschaft, Technik und Ökologie.<BR /><BR /><b>Ausstellungen produzieren viel Abfall. Macht man sich als Kuratorin darüber Gedanken?</b><BR />Radine: Wir machen uns sehr intensiv Gedanken darüber. Für die Schutzschicht unter der Erde haben wir vorhandene Materialien verwendet. Von Plot bleibt im Haus nichts übrig: Im vierten Kapitel der Ausstellung wird die Lehmarchitektur wieder zerbröselt, zu fruchtbarer Erde verarbeitet und in einem Epilog an das Publikum verteilt. <BR /><BR /><b>Was bedeutet diese Art von Kunst für potenzielle Sammler? </b><BR />Radine: Es ist ein sehr ephemeres Werk, dazu gemacht, sich in den Gärten der Besucher und Besucherinnen auszubreiten. Es gehört in das Ökosystem einer Kunst des Teilens, nicht des Sammelns. Wenn wir ein Säckchen Erde mitnehmen, werden wir alle zu Sammlerinnen. <h3>Termin</h3>bis 3.9., feat. BB (Fabrizio Ballabio, Alessandro Bava) + Lydia Ourahmane, und Moriah Evans<BR />Kuratiert von Leonie Radine<BR />Kapitel I: Absorption, ab 25.3.Kapitel II: 20 x 10 x 5, ab 26.5.<BR />Kapitel III: Out of and Into: Plot, am 27./28.7.2023 (realisiert in Zusammenarbeit mit Tanz Bozen)<BR />Kapitel IV: Reabsorption, ab 22.8.Epilog. Die Lange Nacht der Museen