So hat der Kurator der Biennale Gherdëina, Lorenzo Giusti auch passend seinen Titel für diese Kunschschau gewählt: „The Parliament of Marmots“. Nun geht diese am Sonntag zu Ende, ein Gespräch mit der Initiatorin Doris Ghetta und ein Rundgang durch die Biennale.<BR /><h3> Margit Oberhammers Blick auf die Biennale Gherdëina</h3><BR />Lorenzo Giusti haben es die überlieferten Geschichten angetan. Vor allem jene vom Pakt des Volkes der Fanes mit den Murmeltieren in archaischer Vorzeit. Eine Vorzeit, von der die Rede geht, dass das Volk der Fanes in Wohlstand und Frieden lebte, solange es den Pakt einhielt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066299_image" /></div> <BR /> So hat sich Giusti bei der Auswahl der ausgestellten Arbeiten von dieser archetypischen Allianz zwischen Menschen und Tieren leiten lassen. Er möchte, dass die Arbeiten eine Reflexion in Gang setzen „über die Störung des Gleichgewichts zwischen den Arten, die von der heutigen Zivilisation verursacht wird.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066302_image" /></div> <BR />Die Biennale 9 greift damit den roten Faden der Biennale 8 auf: Die Selbstverständlichkeit, mit der sich der Mensch zum Beherrscher aller übrigen Lebewesen auf dem Planten erhebt, muss hinterfragt werden. <BR /><h3> Verbindung zu neuen Räumen</h3><BR />Die mutige und ehrgeizige Initiative für zeitgenössische Kunst erweitert seit ihrer ersten Ausgabe den Blick auf Südtirol größtes Kapital, seine Landschaft. Sie fokussiert andere Nähebeziehungen als jene der touristischen Ausbeutung. Es liegt nahe, dass sich die Künstler von Anfang an von den Gebirgsformationen inspirieren lassen, von den Dolomiten, diesen Resten von Korallenriffen, die ihren Ursprung aus dem Meer vor 250 Millionen Jahren bis heute faszinierend ausstrahlen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066305_image" /></div> <BR />So geht in diesem Sommer die norwegische Performerin und Choreografin Helle Siljeholm auf 2300m Meereshöhe tänzerisch und musikalisch den Zusammenhängen zwischen Berg, Meer und Erosion nach. <BR /><BR />Neu und ungewöhnlich sticht in der diesjährigen Biennale die Verbindung zum Mittelmeerraum Nordafrikas und des Nahen Ostens hervor. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066308_image" /></div> <BR />So hat Lorenzo Giusti Karin Welponers Steinporträts, Landschaftsaquarelle und Zeichnungen aus den 80er Jahren, entstanden in der algerischen Wüste, in die Ausstellung eingefügt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066311_image" /></div> <BR /><?Schrift SchriftWeite="97ru"> <BR />Michael Höpfner visualisiert in einer Netzinstallation, ausgehend vom Fanes-Plateau, Zusammenhänge zwischen den Hochplateaus dieser Welt; Fotodokumentationen seiner Fußreisen im Grödnertal und in Tunesien bezeugen die Verbindung zu und zwischen diesen spezifischen Landschaften und deren Bewohnern. Zudem gibt es – so sagt es die Forschung – eine vermutliche Herkunft der totemistischen Strukturen der Dolomitenmythen aus dem Raum des Nahen Ostens. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066314_image" /></div> <?_Schrift> Nassim Azarzars dekorative Fassadenmalerei auf dem historischen Hotel Ladinia verweist auf solche mythologischen Zusammenhänge. Im historischen Gasthaus Traube in St. Ulrich zollen Markus Vallazzas Tusche- und Rötelzeichnungen den mythologischen Frauen aus Fanis Tribut. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066317_image" /></div> <BR /><h3> Mythen</h3><div class="img-embed"><embed id="1066320_image" /></div> <BR />Die Dolomitenmythen haben es auch der Filmemacherin Eva Giolo angetan. Vor dem Kulturausflug nach Gröden kann man sich in Bozen auf das Biennale- Thema einstimmen. Im gemeinsam von Ar/Ge Kunst und der Biennale Gherdeina beauftragten Film „Memory Is an Animal, It Barks with Many Mouths“(Die Erinnerung ist ein Tier, sie bellt mit vielen Mäulern) erzählen Kinder Dolomitensagen. Das Beste am insgesamt eher banalen Film ist seine Hommage an die ladinische Sprache. <BR /><h3> Videoarbeiten</h3><BR />Eine eigene umfangreiche Station bildet der Spazio Ferdinand Stuflesser in Pontives; er besteht aus (zu?) vielen Videobeiträgen von Künstlerinnen und Künstlern vorwiegend aus dem Mittelmeerraum und stellt eine anstrengende Parallel-Biennale dar. Weniger wäre eindeutig mehr. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066323_image" /></div> <BR />Viele Projekte der 37 teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sind in Kooperation mit anderen Institutionen entstanden. Darunter 2 sehr beeindruckende, am engsten mit dem Thema der Ausstellung verbundene. 11 neurodiverse Künstlerinnen des Atelier dell’Errore, einem sozialen Kunstatelier in Reggio Emilia, haben sich mit dem titelgebenden Murmeltier befasst. Murmeltiere bevölkern das Büro der Biennale in Pontives. An einer Wand glänzt ein riesiger farbenprächtiger „Murmeltier-Punk“; ein Ausschnitt in Pink-, Blau- und Goldtönen verleiht der diesjährigen Biennale ihre visuelle Identität. <BR /><h3> Kooperationen</h3><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066326_image" /></div> <BR />Einen zweiten besonderen Eindruck hinterlässt die Ausstellung im Trenker Saal in St. Ulrich. In Kooperation mit dem Museum für zeitgenössische Kunst in Bergamo würdigt der Kurator Lorenzo Giusti als dessen Leiter in einer Parallelausstellung mit Bergamo die Berliner Künstlerin Lin May. Im Unterschied zu früheren, übervollen Biennale-Bespielungen wirkt der Trenker Saal leicht und schwebend.<BR /><BR /> Lin May, mit vollem Namen Lin May Saeed, Tochter einer deutsch-jüdischen Mutter und eines irakischen Vaters, arbeitet mit Styropor. Sie sieht das Material, das oft im Abfall landet, als symptomatisch für unsere Zeit an. <BR /><BR />Lin May Saeed, vor einem Jahr erst 50-jährig an einem Gehirntumor verstorben, war eine Kämpferin für Tierrechte. In ihren Reliefs und Skulpturen gibt es keinen aufdringlichen Aktivismus, sondern ein harmonisches Miteinander von Menschen und Tieren; auf einem Relief feiern sie gemeinsam den Erntedank und eine mythologische Zeit, in der das Miteinander möglich war, verbunden mit der Hoffnung, dass es auch eine solche Zukunft geben könnte. Motive aus dem Gilgamesh-Epos, Anklänge an Mesopotamien, an die alten Städte Ur und Uruk, an das Land zwischen Euphrat und Tigris, dazwischen eine bezaubernde kleine Skulptur eines Bootes mit Menschen und Tieren, und Tierskulpturen in deren realer Größe. In eine Konversation zwischen zwei Löwinnen fügt die Künstlerin den poetischen Satz ein: „Im Paradies fällt der Schnee langsam.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066329_image" /></div> <BR />Zudem ist Lin May Saeed auf der diesjährigen Manifesta in Barcelona präsent, ebenso Diana Policarpo. Die Künstlerin hat in Gröden einem alten Brunnen im Innenhof der Fischburg eine fluoreszierende Skulptur aufgesetzt, ein Getier aus den Tiefen des Meeres, die Verwandte einer Quellnymphe aus den Bleichen Bergen. Während der Biennale- Eröffnung leuchtet das Brunnenwesen ätherisch im strömenden Regen, die dazugehörige Klangkomposition wetteifert mit den Eröffnungsreden und dem Plätschern des Regens. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066332_image" /></div> <BR />Im Regen leuchten die Drifters von Linda Jasmin Mayer besonders geheimnisvoll. Die fantasievollen anthropomorphen Masken, übergestülpt von den Performern, schimmern transparent. Sie sind in ihrer gelartigen Konsistenz, von den kleinsten Meeresorganismen, dem Plankton, inspiriert. Im Museum Gherdeina sollte man sich die filigranen Zeichnungen der ägyptischen Künstlerin Esraa Elfeky nicht entgehen lassen. Die bezaubernden imaginären Schmetterlinge erweitern die hauseigene Sammlung und reflektieren die bedrohten Arten auf wissenschaftlich-poetische Weise. <BR /><h3> Akzente im öffentlichen Raum</h3><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066335_image" /></div> <BR />Traditionell sind Skulpturen im Außenraum ein wichtiges Kennzeichen der Biennale Gherdeina. Die diesjährige Ausgabe setzt ihre Akzente im öffentlichen Raum weniger grell als vergangene Male, es gibt keine kunterbunten Riesenskulpturen auf der grünen Wiese oder knallige Fahnen in der Fußgängerzone. In St. Ulrich überrascht ein verfremdetes, schwarz verkohltes Reiterstandbild. <BR /><BR />Der Künstler Julius von Bismarck, Nachfahre Otto von Bismarcks, betreibt einen ironischen Umgang mit der Geschichte, unter anderem mit dem Symbol des Reiterstandbilds. In seinem von der Biennale in Auftrag gegebenen „Beatle On a Horse“ sitzt kein menschlicher Reiter, sondern der Borkenkäfer hoch zu Ross. Der Mensch als Verursacher der Erderwärmung wird zur Plage, der Borkenkäfer zum Eroberer. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066338_image" /></div> <BR />Aus fein poliertem Holz hat der Grödner Künstler Arnold Holzknecht zwei Wölfe für Kinder und Erwachsene angefertigt. Weiß und schwarz stehen sie sich auf einem Spielplatz am Dorfausgang von St. Ulrich gegenüber. So poetisch und ironisch, so demokratiefreundlich kann die Auseinandersetzung mit der Wolfsdebatte sein. So gelungen der künstlerische Beitrag zum diesjährigen Biennale-Thema: die Beziehung zwischen Menschen und Tieren. <BR /><BR /><BR /><b>Termin:</b> Noch bis 1. September<BR /><b>Programm:</b> Sonntag, 1.9., um 10, 11, 12 Uhr und um 14 , 15, 16 Uhr kostenlose persönliche Führungen durch die Werke in Pontives, St.Ulrich und der Fischburg. Die Fischburg bleibt 31.8 und 1.9. auch nachmittags geöffnet. <BR /><b>Informationen:</b> info@biennalegherdeina.it <BR /><h3> 5 Fragen an die Direktorin und Gründerin Doris Ghetta</h3><b>Das prekäre Gleichgewicht zwischen Tier/Mensch/Natur ist immer wieder Thema Ihrer Biennalen: In diesem Jahr scheinen die Künstler uns den Spiegel sanfter vor Augen zu halten...</b><BR />Doris Ghetta: Ausgehend von der Sagenwelt der Fanes hat der Kurator Lorenzo Giusti die 3 Themenbereiche von „The Parliament of Marmots“ definiert: das Wilde als kreative Dimension, die vielfachen Verwandtschaften zwischen den Arten und der Berg als Ort der Begegnung. Die meisten Künstler haben ihre konkrete, direkte Erfahrung mit der natürlichen Welt und dem 'Wilden' in den Mittelpunkt gestellt. Ein besonderer Aspekt, der wunderbar durch die verschieden Werke und Positionen zum Vorschein kommt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066341_image" /></div> <BR /><BR /><b>Am Sonntag geht die Kunstschau zu Ende: Wie war das Echo?</b><BR />Ghetta: Wir sind begeistert, dass diese Ausgabe einen so positiven Rückhall bei unserem vielfältigen Publikum hat. Sowohl in der internationalen Presse als in den Dorfgesprächen, die wir immer mit großer Offenheit verfolgen, gab es erfreuliche Rückmeldungen und viel Lob. Es liegt viel Arbeit und Ehrenamt hinter diesem Projekt und so freut es uns umso mehr, diese Ausgabe als Triumph feiern zu dürfen. <BR /><BR /><BR /><b>Und wie hat sich mittlerweile die Biennale im internationalen Kontext positioniert?</b><BR />Ghetta: Biennale Gherdëina, die 2008 parallel zur MANIFESTA 7 als neue Erfahrung kulturellen Reichtums im öffentlichen Raum von St. Ulrich ins Leben gerufen wurde, hat ihren Horizont von Ausgabe zu Ausgabe erweitert, die Nachbardörfer einbezogen und sich zu einem ehrgeizigen internationalen Projekt entwickelt, ohne dabei die Wurzeln aus den Augen zu verlieren. Nach dieser 9. Ausgabe, kann man behaupten, dass sich Biennale Gherdëina in der internationalen Kunstwelt einen Namen gemacht hat und als „kleine Perle“ unter den Kunst-Biennalen bezeichnet wird. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1066344_image" /></div> <BR /><BR /><b>Und was erwarten Sie noch von den letzten Tagen?</b><BR />Ghetta: (Lacht) Natürlich noch viele Besucher. <BR /><BR /><BR /><b>Können Sie schon etwas zur 10. Ausgabe verraten?</b><BR />Ghetta: Wir arbeiten bereits an der Aufstellung des Teams und werden bald Inhalte und Kurator oder Kuratorin bekanntgeben.