„In Glurns wollte Paul liegen, in Glurns wurde ihm an der Friedhofsmauer, gegenüber des Kircheneingangs, ein Ehrengrab errichtet. In Glurns war und ist Paul Flora zu Hause“, schreibt sein Schwiegersohn und Nachlassverwalter Thomas Seywald. <BR /><BR />Präsent war Flora immer europaweit, in bedeutenden Museen, im heurigen Jahr auf einer großen Retrospektive im Karikaturenmuseum in Krems, in der Albertina in Wien, vor langer Zeit auf der Biennale, auch in der renommierten Zeitschrift „Die Zeit“. Eine grenzüberschreitende Auszeichnung, der Paul Flora-Preis, wird alljährlich verliehen. Flora ist und bleibt präsent, nicht nur zum Hundertsten.<BR /><BR />Seinen Heimatort hat der Zeichner, Karikaturist und Illustrator besonders geliebt, „Paul Flora war es ein Herzensanliegen, dass es den Bürgern seiner Geburtsstadt Glurns wohl ergehe und dass das Besondere, das Glurns durch seine mittelalterliche Struktur zu bieten hat, erhalten bleibt. Flora hat in beachtlicher Weise die Sanierung von Glurns vorangetrieben und unterstützt. Er wirkte stets im Stillen und äußerst unbürokratisch, so bezahlte er zum Beispiel einen großen Teil der Einrichtung für das Sanierungsbüro“. <h3> Weder Lehre noch Botschaft</h3>Diesen Künstler zu kennen, hieß, einem ganz außerordentlichen Menschen zu begegnen. Oft weilte er in Bozen, die Ausstellungen in der Goethegalerie, welche ihm das Ehepaar Casciaro ausrichtete, sind erinnerungswürdig. Paul Flora illustrierte ca. 150 Bücher, vor allem mit dem Diogenes-Verlag arbeitete er jahrelang zusammen, war seit 1953 Chefkarikaturist der Zeit, schrieb auch selbst. So fühlt man, über Flora schreibend, als ob man Eulen nach Athen tragen würde. <BR /><BR />Seine Zeichnungen hängen in vielen Häusern unseres Landes, das Museum Kreuzer zeigt eine ganze Reihe unter dem Titel „Die Kunst der Satire“. Flora geht und gefällt immer, und dafür gibt es gute und vielfache Gründe. Er ist einer, der uns den Zauber der Zeichnung in ganz unterschiedlichen Facetten näherbringt und nichts am Hut hatte, mit Denkkunst, die man entschlüsseln muss, mit Abstraktion. „Ich zeichne, um mich zu unterhalten, ich will nicht das Abendland retten, ich habe keine Botschaft und keine Lehre zu verkünden“ (P. Flora) Mit Flora an der Wand beginnt man die Tage mit Schmunzeln, Unterhaltung, guter Laune. <h3> Denker und Grübler</h3>Flora war und bleibt Zeichner, nicht Karikaturist: „Ärgerlich, wenn man mich heute noch in diese Schublade schiebt“, sagte er anlässlich einer Retrospektive im Jahre 2002. Er ist ein Zeichner, dessen Werke keine Erklärungen, keine Übersetzungen brauchen. Das Besondere daran ist die vielfältige Art und Weise, mit denen Flora seine Welt sah. <BR /><BR />Der Künstler besaß ein unheimliches Repertoire an Menschen und Themen, ein Ensemble, das von der Lonely Lady bis zu Nietzsche und Wagner reichte. Zu diesem unerschöpflichen Topf gehören die Tiroler und Älpler, Venedig und die Raben, der Pestarzt und die Musen und Walküren, die Ratten und Katzen, der Hexenmeister und fremde Städte, Monsieur Corbeau, eigenartige Herrenhäuser und historische Ereignisse, Nonnen und Priester, Harlekine und Landschaften, Kavallerie, Denkmäler und architektonische Ensembles, das Pfeifer Huisele, Narren, Komödianten, K.u.K. Offiziere, Spione, Sphingen, Love Storys, die verwurzelten Tiroler, Raben und Rabenmütter, 947 Chinesen an der Chinesischen Mauer, Vogelscheuchen und vor allem Venedig. <BR /><BR />Flora konnte auch blendend schreiben, „Dies und Das“, seine „Nachrichten und Geschichten“ offenbaren auch ihn als den „Denker und Grübler“, in welchem er seinen Dichter- und Künstlerfreunden, die er so bewunderte, ein Denkmal setzt. So flossen eben nicht nur Zeichnungen aus seiner Feder, sondern auch tiefsinnige Gedanken und vor allem witzige, doppelbödige Titel. Das ist der Clou an vielen Werken, und weil sein Blick eben besser war als unserer, lassen diese Titel die Darstellung oft erst entschlüsseln.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="783851_image" /></div> <BR /> Erkenntnis als Gewinn ist bei der Betrachtung der Details auf jeden Fall sicher. So zeigt, und das ist nur ein Beispiel von hunderten, die „Literarische Landschaft mit ernster Muse“, wie sich der Wald in Schreibfedern verwandelt hat. Wie Palmwedel stehen diese dicht gedrängt, und die Muse steht zwischen ihnen. Sie wurde wohl von den Schreibfedern geküsst. Floras dunkel schraffierte Dame steht ernst und einsam allein im grauen literarischen Wald zwischen Schreibfederbäumen. <BR /><BR />Immer war Flora sehr doppelbödig, die riesige, fette Muse umarmt ein anderes Mal Wagner: Man möchte nicht der Komponist sein, der da so klein an die Brust gedrückt wird. Flora konnte auch fein und zart, einige Striche, einsame, filigrane, zerbrechliche Linien. Ein versunkenes Mississippischiff, der Wind im Frühling, kaum sichtbar, fast vergeistigt wirken diese Zeichnungen und sie unterstreichen die unendliche Vielfalt, welche der geniale Künstler beherrschte. <h3> Die Nebel der Terra Ferma</h3>Natürlich gibt es bei dieser Fülle Lieblinge. Für mich sind es die synästhetischen, atmosphärischen Landschaften, wo sich das Zeichnerische ins Malerische verwandelt, sich die „welke Pracht“, die Melancholie und Vergänglichkeit paaren. „Es ist alles ein Weltbild in Moll, das er in seinen Arbeiten entwirft, man braucht nicht lange, um zu entdecken, dass er vom Menschen summa summarum melancholisch, distanziert denkt – wobei die historischen Phantasiekostüme, die wir bei ihm so oft sehen, uns nicht täuschen sollten.“ (K. Arndt, Paul Flora, Zeichnungen 1939 bis 1992).<BR /><BR /> Es ist Floras Venedig, an dem man sich nicht satt sieht. Flora liebte die Stadt auch im Winter, „verlarvte Figuren“ spazieren die Kanäle entlang. Stadt und Türme, Palazzi scheinen in einen grauen Zeichenschleier gehüllt, zarte weiße Tupfen, überziehen das Blatt. Es schneit und die Pestärzte eilen dahin. Mehr Stimmung geht gar nicht, und das alles mit Nichtfarben, schwarz, weiß, grau. Wer mit Paul Flora nach Venedig „reist“, begegnet Wagner an einem dunkeln Kanalübergang, nur der Laternenschein nimmt etwas von der gespenstischen Nacht. Die „venezianische Tristezza“ entfaltet auf den Zeichnungen den vollen Charme, der Bogen der Rialto Brücke präsentiert sich nur in hell und dunkel, wie ein abstraktes Bild. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="783854_image" /></div> <BR />Auch der Karneval ist dunkel, nur manchmal, wenn es ganz prächtig zugeht und sich das Karnevalstrio mit seinen großartigen Masken vor dem Dogenpalast in Pose stellt, verwendete Flora Blau, Rot und Gelb. Besonders atmosphärisch sind die Lagunen bei Burano und die Terra Ferma im November. Man spürt die Nebel, dort, wo das Motiv in den Schraffuren verschwindet. „Doch das Wunderbare an diesen Zeichnungen ist: Erreicht werden diese Stimmungen meist mit dem härtesten und schärfsten Zeichengerät, der Stahlfeder, die Flora mit unglaublicher Leichtigkeit zu handhaben versteht.“ <h3> Bauen auf Papier</h3>Flora liebte Gebautes, Häuser, in allen Formen. Fangen wir mit den Käfigen an. Sie sitzen den dicken Matronen am Kopf, oder ihr Körper selbst wird zum Käfig. „Hab ich dich“, hört man, wenige Striche, eigentlich wie von Kinderhand, nichts ist da, außer ein Gestell aus Stäben. Von unserer Seite sind, wie meistens Konnotationen angesagt. „Das Begräbnis im Winter“ findet auf dem Hochhaus statt, mathematisch genau die Fassade, abweisend, ohne Leben. Dort weit oben auf der Dachterrasse ist es heimelig, eine Kirche, ein Friedhof, und der Trauerzug schreitet durch tiefen Schnee. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="783857_image" /></div> <BR /><BR />„Die Zeichnungen müssen durch den lesenden Betrachter aktiviert werden. Die Verknüpfung der Zeichen ist prozesshaft angelegt. Der zunächst gewonnene Eindruck muss sogleich revidiert oder zumindest korrigiert werden“. (Helena Pereña). Auch ein Bierkrug wird zum gemütlichen Zuhause: „Bairischer Abendfrieden und die fernen Berge Tirols“. New York III ist bei Flora ein Baumgerippe vor Hochhausfassade, er schaut auf „Nächtliche Palazzi“ blickt auf Tore, Türme, Brücken, er baut ein Labyrinth für einen Löwen und zeichnet einen Küchenbalkon. „Über meine Zeichnungen ist nicht viel zu sagen. Jedenfalls Bilder entstehen im Kopf... Das Problem besteht drin, dieses Bild aufs Papier zu bringen, was manchmal gelingt und manchmal auch nicht“. <BR /><BR />Immer öffnen sich den Betrachtern in Flora Zeichnungen neue Türen. Gebautes und Natur stehen parallel zueinander, und oft kommt man zum Schluss, dass der Zeichner eigentlich auch Maler war und Landschaft erschafft, die in schwarz-weiß mehr Farbe enthält als irgendwie möglich. Schwarz-weiß bedeutet Stimmungen, Atmosphäre riechen, den Wind, die Kälte spüren, Gänsehaut, weil Floras Nebel unter die Haut kriechen. <h3> Turnen, Deutsch, Französisch</h3>Zeichnen wurde dem großen Meister in die Wiege gelegt. In seinen frühesten Memoiren, einem Schulheft, finden sich Zeichnungen und Texte, kleine Strichmännchen, seine Lehrer, Gedanken zum Schulleben, Orte, zum Teil skizzenhaft, andere „malerischer und plastischer“: <BR />„Flora verarbeitet Einflüsse zwischen Alfred Kubin, Paul Klee, Lyonel Feininger, Simplicissimus – Künstler und der zeitgenössischen Illustrationskunst, etwa jener von René Gruau“. (Helena Pereña). <BR />Was der Künstler selbst über seine Arbeit sagte? „Ich glaube nicht, dass Künstler die richtigen Leute sind, ihre Hervorbringungen zu interpretieren“. Floras Stimme hallt nach, er hatte uns viel zu sagen, man bewundert die handschriftliche Qualität seiner unnachahmlichen Zeichnungen und vor allem die Fähigkeit, seine Bildideen in Schwarz und Weiß zu umreißen. Man kann nicht genug sehen, von diesem Künstler, auch um zu erkennen: „Je mehr ich mir historische Kenntnisse aneigne, desto sicherer bin ich, dass es keinen Fortschritt auf der Welt gibt und dass sich lediglich in Intervallen die Dummheiten und die Gescheitheiten, letztere leider viel seltener, wiederholen“.<BR /><BR /><BR />Termine: <BR /><BR />Paul Flora und die satirische Kunst in der Sammlung Eccel Kreuzer, bis Ende Oktober, Museum Eccel Kreuzer, Silbergasse Bozen<BR />Kunsthalle Krems, bis 29.1.2023<BR /><BR />Zisterzensierstift Stams, „Von nichts kommt nichts“<BR /><BR /> Villa Schindler Telfs, „Spitze Feder Schnabel Tänze“, ab September in Bruneck<BR /><BR />Buchtipp: Paul Flora, „Aus den Memoiren eines Mittelschülers“, Folio Verlag 2019<BR /><BR />Die Zitate stammen aus Paul Flora „Dies und Das“, Nachrichten und Geschichten, Diogenes 1997<BR />Bestellen: www.athesiabuch.it<BR />