Bereits im 17. Jahrhundert gab es ein Amtsladinisch: Warum konnte es sich nicht durchsetzen?<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Prof. Videsott, Sie und Herr Lezuo widmen sich in Ihren Ausführungen den Amtssprachen in Buchenstein in der frühen Neuzeit. Wie ist es Ihnen gelungen, entsprechende Dokumente zu finden?</b><BR />Paul Videsott: Herr Lezuo beschäftigt sich schon länger mit der Geschichte Buchensteins. Da war es naheliegend, die Urkunden auch auf Hinweise auf den damaligen Sprachgebrauch zu sichten. Das Diözesanarchiv in Brixen und das Staats- und Landesarchiv in Bozen bewahren umfangreiche Aktenbestände auf, die Buchenstein betreffen. Und gar einige erwähnen die besondere Sprachsituation in dieser Talschaft, die sich an der Grenze Tirols und der Monarchie befand.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="643682_image" /></div> <BR /><BR /><b>Auf welche Dokumente gründen sich Ihre Beobachtungen?</b><BR />Videsott: Es sind vor allem Berichte der jeweiligen Richter und Hauptleute an den Fürstbischof von Brixen, der auch Landesherr war, sowie Protokolle von Strafprozessen. Gerade in den Protokollen werden Zeugenaussagen oft wörtlich oder sinngemäß zitiert, und auch wenn die Aussagen bei der Niederschrift in der Regel phonetisch und morphologisch an die italienische Schriftsprache bzw. an den venetischen/tridentinischen Regiolekt adaptiert wurden, behalten sie häufig dem Ladinischen eigene sprachliche Elemente bei. Offensichtlich wurde also beim Verhör selbst auch das Ladinische benutzt.<BR /><BR /><b>Deutsch und Italienisch waren die wichtigen Amtssprachen in den ladinischen Tälern. Wie kam es dazu, dass sich das Ladinische etablieren konnte?</b><BR />Videsott: In den ladinischen Tälern können wir in den Urkunden die Sprachenfolge Latein – Deutsch – Italienisch rekonstruieren. Nachdem aber Deutsch bis herauf ins 18. Jahrhundert nicht von der ganzen Bevölkerung verstanden wurde, bestand die Notwendigkeit, Kundmachungen auch auf Ladinisch zu machen, wollte die Obrigkeit verstanden werden. Auf diese Notwendigkeit gehen die ersten ladinischen Texte des 17. und 18. Jahrhunderts zurück – die alle amtliche Verlautbarungen („Proclami“) des Fürstbischofs von Brixen sind. Es gab also bereits ein Amtsladinisch im 17. Jahrhundert, und es hatte Charakteristiken einer überlokalen Schriftsprache. Sie konnte sich aber nicht durchsetzen, wohl, weil in den Kanzleien zu wenige Schreiber des Ladinischen mächtig waren und umgekehrt die Kenntnis des Deutschen und Italienischen in Ladinien so generalisiert wurde, dass eine ladinische Amtssprache nicht (mehr) notwendig war. Die Urkunden spiegeln uns eine Situation wider, in der der Schriftverkehr auf Deutsch und Italienisch erfolgte, aber die mündliche Kommunikation auf Ladinisch. Denn wenn explizit festgehalten wird, eine Mitteilung sei „in irer gewondlichen sprach“ bzw. „in lingua naturale“ oder mit dem Possessivum „in irer welschen sprach“ gemacht worden, so ist damit wohl sicher Ladinisch gemeint. Nach den wenigen Beispielen des 17. und 18. Jahrhunderts mussten die Ladiner aber bis 1989 warten, bis ihre Sprache Amtssprache wurde. Anders als im 17. Jahrhundert hat man sich aber Ende des 20. Jahrhunderts für die Offizialisierung der lokalen Talidiome und nicht für eine überlokale Varietät entschieden. <BR /><BR /><b>Unterscheidet sich der amtliche Sprachgebrauch in Buchenstein von jenem in den anderen ladinischen Tälern?</b><BR />Videsott: Der relevanteste Unterschied zu Gröden und zum Gadertal ist, dass das Deutsche in Buchenstein seit spätestens 1867 – also bereits unter Österreich - nur mehr eine untergeordnete und seit 1923, nach dem Zuteilung zur Provinz Belluno, keine Rolle mehr als Amtssprache gespielt hat. Genauso wurden bereits unter Österreich die Buchensteiner Schulen fast vollständig italianisiert – während man sich zur gleichen Zeit im Gadertal gegen die vollständige Germanisierung der Schulen erfolgreich gewehrt hat. Seit 1999 ist in Buchenstein in einem gewissen Ausmaß die amtliche Verwendung des Ladinischen möglich – und in der Volksschule werden auch zwei Wochenstunden Deutsch und eine Wochenstunde Ladinisch unterrichtet. Besser wäre es aber, Buchenstein könnte das paritätische System der ladinischen Täler Südtirols übernehmen. <BR /><BR /><b>Sie haben ein umfangreiches Glossar angelegt, was hat Sie am meisten fasziniert? Können Sie einige Beispiele anführen?</b><BR />Videsott: Die Buchensteiner Urkunden enthalten eine Reihe von ladinischen Wörtern, die die Schreiber nicht abgeändert haben, entweder weil sie das Wort auch für Italienisch hielten oder im Italienischen kein besseres Wort gefunden haben. Faszinierend ist, dass man so ladinische Wörter weit über die ältesten ladinischen Texte hinaus zurückverfolgen kann. Dabei sind mehrere Wörter zum Vorschein gekommen, die in den modernen Wörterbüchern nicht verzeichnet sind, wie z.B. pestas „Hackbrett„ (das Musikinstrument) oder trisidoi “Viehweg„. Auch konnten ladinische Wörter nachgewiesen werden, deren Existenz im Buchensteinischen bisher bezweifelt wurde, wie z.B. agut „Nagel„ oder baié “sprechen„. Es wäre wahnsinnig reizvoll, unsere Untersuchung in einem noch viel größeren Urkundenkorpus fortzuführen. <BR /><BR /><BR />