Der Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem – 16 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz! – wird als Initialmoment der öffentlichen Wahrnehmung des Holocaust verstanden. Erstmalig konfrontierte sich eine weltweite Öffentlichkeit mit den jüdischen Opfern und Zeugen des Holocaust und ihren traumatischen Erfahrungen. <BR /><BR />Über den Prozess berichtete damals <b>Hannah Arendt</b> zunächst in der Zeitschrift „The New Yorker“ und danach im Buch unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem“ (engl. 1963, dt. 1964). <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1122738_image" /></div> <BR />Ihre heute zur ikonischen Wendung avancierte Rede von der „Banalität des Bösen“ wurde mit Hinweis auf die Radikalität und Dimension der Ereignisse damals scharf zurückgewiesen. Die meisten Kommentatoren verkannten, dass es Arendt damit nicht um Verharmlosung oder Banalisierung, sondern um eine Einschätzung des schon bürokratisch verwalteten Massenmords ging, dessen Einzigartigkeit und Extremität sich für sie gerade in seiner Sachlichkeit, in seiner bürokratischen Form und in den institutionalisierten Praktiken zeigte. <BR /><BR />Und gerade dieser Ausdruck „Banalität des Bösen“ weist auf die unendlich „leichtfertige Oberflächlichkeit“ der damaligen Führungsriege hin. Beweis dafür sind auch die Protokolle zur „Wannseekonferenz“ in der die Judenfrage mit der „Endlösung“ definiert wurde. Zur <i>„Besprechung mit anschließendem Frühstück“</i> wurde am 8. Jänner 1942 geladen, sie dauerte etwa eineinhalb Stunden. Protokollant Adolf Eichmann meinte später: <i>„Die Ordonanzen reichten laufend Cognac, und zum Schluss hat alles durcheinandergeredet.“</i><BR /><BR />In der Geschichte der nationalsozialistischen Judenpolitik bzw. Judenvernichtung hat diese Konferenz immer einen zentralen Stellenwert gehabt, doch die daran beteiligten Männer wurden später nicht alle verurteilt. Ironie des Schicksals: SS-Oberführer <b>Gerhard Klopfer</b> blieb unbehelligt, war als Rechtsanwalt tätig, starb 1987 als letzter der Teilnehmer und wie es in der Todesanzeige hieß: <i>„Nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich waren.“</i><BR /><BR />Eichmann selbst gelang 1950 mit einem Flüchtlingspass des Roten Kreuzes unter dem Namen Ricardo Klement die Flucht nach Argentinien. Von dort wurde er 1960 vom israelischen Geheimdienst Mossad nach Israel entführt, 1961 in Jerusalem vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet. Seine Flucht gelang ihm auch dank Helfer in Südtirol. Hier nun einige Bücher über seinen Aufenthalt in Südtirol, über Judenschicksale hierzulande, das Internierungslager in Bozen und „Zeichnungen“ aus einem Lager.<h3>„Nazis auf der Flucht“</h3>Josef Mengele, Adolf Eichmann, Erich Priebke und viele weitere NS-Kriegsverbrecher haben nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes versucht, sich aus Europa abzusetzen. Nicht wenige davon haben für ihre Flucht die von den US-Geheimdiensten als „Rattenlinie“ bezeichnete Route über Südtirol nach Rom oder Genua gewählt. In seinem Buch „Nazis auf der Flucht“ zeichnet Gerald Steinacher die Fluchtwege von NS-Tätern im Detail nach, hinterfragt die Beteiligung von Exponenten der katholischen, aber auch der evangelischen Kirche sowie humanitärer Organisationen und beschreibt Netzwerke und Seilschaften, auf die ehemalige Nationalsozialisten und Faschisten auf ihrer Flucht zurückgreifen konnten.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1122741_image" /></div> <BR /><BR />„Nazis auf der Flucht: Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee entkamen“ von Gerald Steinacher, Studienverlag 2008, 380 Seiten<h3>„Flucht über die Alpen“</h3>Als Hitler sich erschoss und das Nazi-Reich zusammenbrach, setzten im zerstörten Europa gewaltige Flüchtlingsströme ein. An die 250.000 Juden zogen in den Nachkriegsjahren kreuz und quer durch das zerstörte Europa: KZ-Überlebende, Widerstandskämpfer, Flüchtlinge aus dem Osten. Ein großer Teil wollte nach Palästina. Doch der Weg dorthin, zu jener Zeit noch britisches Mandatsgebiet, war so gut wie blockiert. Die Briten wollten keine jüdische Masseneinwanderung erlauben, weil sie ahnten, dass sie einen blutigen Konflikt mit den dort ansässigen Arabern zur Folge haben würde. So suchten die Juden nach geheimen Wegen. Viele Routen führten über Frankreich und die Balkanländer. Die wichtigsten Wege aber verliefen über die Alpen. Von 1945 bis 1948 wurden schätzungsweise 50.000 Juden auf illegalen Wegen von Österreich nach Italien gebracht. Rund 25.000 von ihnen bestiegen dort umgebaute Transportschiffe, um auf diese Weise nach Palästina zu gelangen. Eine ganze Reihe von jüdischen Untergrundorganisationen organisierte diese Massenflucht durch den „Tiroler Trichter“.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1122744_image" /></div> <BR /><BR />„Flucht über die Alpen. Wie jüdische Holocaust-Überlebende nach Palästina geschleust wurden“ von Hans-Joachim Löwer, Athesia/Tappeiner Verlag 2021, 320 Seiten<h3> „Der Alltag der Wärter“</h3>Im April 1944 wurde das Durchgangslager Bozen errichtet, 9500 Personen waren darin inhaftiert, 3802 wurden aus dieser „Vorkammer des Todes“ in die KZs Mauthausen, Dachau, Flossenbürg, Ravensbrück und Auschwitz deportiert, wo der Großteil starb. Der Blick auf das Wachpersonal zeigt, wie skrupellos gefoltert wurde, wie man sich nach der „Arbeit“ vergnügte und u. a. eine satirische Bierzeitung herausgab. Der Historiker Costantino Di Sante präsentiert darin auch Biografien der Täter und Täterinnen, u. a. von Mischa Seifert, der „Bestie von Bozen“, oder der Deutschen Hilde Lächert, „Tigerin“ genannt sowie zahlreiche Fotos und unveröffentlichte Dokumente, u. a. einzigartige Drucksorten der Lagerdruckerei. Achtung: Im Lager gab es aber keine Juden aus Südtirol. Diese waren bereits im Septemer 1943 ins Konzentrationslager Reichenau und später nach Ausschwitz deportieren worden. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1122747_image" /></div> <BR /><BR />Neu: „Der Alltag der Wärter. Verbrechen, Gräueltaten und Vergnügungen des Wachpersonals im Durchgangslager Bozen“ von Costantino Di Sante, Raetia Verlag 2025, 352 Seiten<h3>„Mörderische Heimat“</h3>„Schon früh am Morgen hatte das Straßenbild etwas Ungewöhnliches. Die Stadteinwohner, unsere früher stets ehrerbietigen und diensteifrigen Lieferanten, waren plötzlich bewaffnet und trugen Erkennungsschleifen. Mit finsterer, martialischer Miene betraten sie die Häuser der Juden und jener, die damals als Halbjuden galten, verhafteten die Leute und trugen weg, soviel sie konnten, inklusive Möbel. So brachten sie auch Doktor Balog weg“, Friedrich Singer über die Vorgänge in der zweiten Septemberwoche 1943 in Meran in einem Dokument aus dem Jahr 1960. Südtirols Opfer der Schoah wurden von Faschisten observiert und – ausgewiesen, von großteils einheimischen Nationalsozialisten verfolgt und deportiert. Nach 1945 weigerte man sich, Überlebende für ihre materiellen Verluste zu entschädigen. Die Erinnerung an die Opfer wurde verdrängt. Das Buch dokumentiert die vielseitigen Äußerungsformen des in Südtirol tief verwurzelten Antisemitismus. Südtirols NS-Opfer hatten ihre Heimat geliebt und wichtige Beiträge in der Medizin, Wirtschaft und im Tourismus geleistet. Das Aufzeigen der Spuren jüdischen Lebens in der Geschichte Südtirols lässt ihnen eine späte Anerkennung zuteilwerden.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1122750_image" /></div> <BR />„Mörderische Heimat: Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran“ von Sabine Mayr und Joachim Innerhofer, Raetia Verlag 2015, 472 Seiten<h3>„Zwischen Rassengesetzen und Deportation“</h3>Diese erste eingehende Untersuchung über die Situation der jüdischen Bevölkerung in den Provinzen Bozen, Trient und Belluno in den Jahren 1933–1945 ist das Ergebnis einer fünfjährigen Recherche. Die Zwangsemigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland ab 1933 führte zu einem markanten Zustrom jüdischer Familien über den Brenner. Dabei erwies sich Meran als ein Hauptziel der Exilanten. Mit der italienischen Rassengesetzgebung ab 1938 verschlechterte sich die Lage der jüdischen Einwohner aber zunehmend: Berufliche Schikanen und die Abschiebung ausländischer Personen führten bis 1943 zu einem starken Bevölkerungsrückgang. Mit der deutschen Besetzung und der Errichtung der Operationszone Alpenvorland ab September 1943 wurden die durch Zählung genau registrierten Juden vor allem im Meraner Raum von der nationalsozialistischen Repression getroffen. Nur wenige entkamen den Verhaftungen und Deportationen in die Vernichtungslager. An den Verfolgungsmaßnahmen waren auch Südtiroler aktiv beteiligt. <BR /><BR />„Zwischen Rassengesetzen und Deportation: Juden in den Provinzen Bozen, Trient und Belluno 1933-1945“ von Cinzia Villani (Übersetzung von Michaela Heissenberger), Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 2003, 2008 Seiten<h3>„Buchenwald“</h3>Kann man Grausamkeit künstlerisch umsetzten? Man kann, und ein einzigartiges Dokument der Gräuel eines Konzentrationslagers gibt davon Zeugnis. Es führt uns direkt in das Zentrum menschlichen Horrors. Die beiden Künstler Auguste Favrier und Pierre Mania gehörten der französischen Resistance an, wurden verhaftet und kamen nach ihrer Gefangenschaft in Compiegne ins Lager Buchenwald. Block 34, Matrikelnummer 38.289 und 30.304. 1945 wurden die beiden befreit. Im Lager Buchenwald hielten sie zeichnerisch Szenen fest, welche uns die unglaubliche Unmenschlichkeit deutlich vor Augen führen. 1946 wurden die Mappe mit den Zeichnungen in 1500 Exemplaren gedruckt. Dem Anwalt <b>Arnaldo Loner</b> verdanken wir, dass diese Dokumente in einem Katalog zu sehen sind als einmalige Hinterlassenschaft für eine zukünftige Erinnerung. (emg)<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1122753_image" /></div> <BR /><BR />„Buchenwald (1943-1945)“ von Auguste Favier und Pierre Mania, Cierre edizioni 2016, 136 Seiten<h3> Und dann wären noch...</h3>Jüdische Gemeinden in der Frühen Neuzeit. Geschichte und Region, 23. Jahrgang, 2014, Heft 1 – anno XXIII, 2014, n. 1, StudienVerlag, Wien, Innsbruck, Bozen, 221 Seiten<BR /><BR />Franz Thaler: Unvergessen. Option, KZ, Kriegsgefangenschaft, Heimkehr: Ein Sarner erzählt. Mit einem Nachwort von Günther Pallaver, Edition Raetia 2014, 260 Seiten<BR /><BR />„Ebrei/Juden“, Giuntina 1994, 300 Seiten und „Una giornata della memoria, 364 giornate dell'indifferenza“, Edition Raeta 2019, 182 Seiten, beide von Federico Steinhaus<BR /><BR />„Caro Federico“ von Lotti Goliger-Steinhaus, Edition Raetia 1998, 94 Seiten und „Leopold Bemann, Storia di un ragazzo ebreo“, Edition Raetia 2023, Hrsg. Federico Steinhaus, 112 Seiten <BR /><BR />„Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol.Opfer. Täter. Gegner“ von Horst Schreiber Studienverlag Wien, Innsbruck, 2008, 448 Seiten<BR /><BR />„Das NS-Lager Bozen. Polizeiliches Durchgangslager Bozen: Bilder und Dokumente (1944-45)“ von Carla Giacomozzi und Giuseppe Paleari, überarbeitete Ausgabe 2013, Assessorate für Kultur Bozen<BR /><BR />Ausstellung:„Italiener in der SS 1943-1945 als Täter/Mittäter“, derzeit in der Stadtgalerie Bozen