„Beim Schreiben bin ich ganz“ - Literatur

Wir haben die Autorin zum Interview getroffen. Ich kenne Ihr Gefühl &bdquo;nie ganz dazuzugehören“, wie Sie es im Roman beschreiben. Ist es Ihnen im Schreiben nun gelungen, am richtigen Ort zu sein? Evelyn Andergassen: Eine schöne Frage und eine wichtige. Sie wäre es wert, ausführlich behandelt zu werden. Ich versuche es verkürzt: Vor dem Computer zu sitzen und zu schreiben ist tatsächlich das Friedvollste, Tröstlichste, was ich jemals gemacht habe. Es verleiht mir ein rundes Lebensgefühl. Und das will was heißen für eine, die ihr ganzes Leben lang eine Zerrissene war. Ja, ich würde schon sagen, beim Schreiben bin ich ganz. Und angekommen in einer Art von Heimat. &bdquo;Atlantikpassage“ enthält viel Autobiografisches. Oswald, die 80-jährige Hauptfigur, hat Züge Ihres Vaters… ein Versuch, mit der Vergangenheit abzuschließen? Andergassen: Ja, das Buch enthält jede Menge Autobiographisches. Es hat sich eigentlich von selbst in diese Richtung entwickelt. Aber ich empfinde es nicht als ein &bdquo;großes Aufräumen“. Im Gegenteil. Ich habe versucht, bei meinen Eltern in die Tiefe zu gehen. Das heißt, sie nicht nur als Eltern zu sehen, sondern als 2 Menschen, die sich durch die gewaltigen geschichtlichen Ereignisse, in die sie geboren wurden, hindurchgekämpft haben. Auf Biegen und leider auch auf Brechen. Mit seelischen Traumata, die unbehandelt blieben und leider seelische Verkrüppelungen zur Folge hatten. Die auch an die nachkommende Generation weitergegeben wurden. Die Zeit der Option, das Nebeneinander und die Konflikte von Deutschen und Italiener und die Gegenwart: In dieser Zeit bewegen sich die Figuren, sind Thema im Roman. Südtirol also als Ort des Geschehens, eine Abrechnung oder eine Versöhnung? Andergassen: Ich bin vor nunmehr 12 Jahren mit dem Bewusstsein aus Südtirol weggegangen, mit meinem Herkunftsland abgeschlossen zu haben. Ich hatte – nach fast 40 Berufsjahren an der vorderster Zweisprachigkeitsfront – die Nase gestrichen voll von der ganzen ethnische Problematik. Auch weil ich das Gefühl hatte, die Lage würde wieder schlechter. Und ich genieße ja auch die friedliche, ein wenig dösige Einsprachigkeit hierzulande – ich weiß schon selber, dass das nur hier im Speckgürtel so ist, man braucht nur in Graz in die Straßenbahn zu steigen, da gibt einem die globalisierte Welt dann die volle Breitseite. Und dann setzte ich mich hin und schreibe und – Südtirol drängt sich mit aller Macht nach vorne. Ich habe jetzt anscheinend das richtige Nähe-Distanzverhältnis dazu, auch mein zweiter Roman (ich bin schon über der Hälfte) spielt im Südtirol der 60er-Jahre. Ich glaube ja, dass erstens diese Realität jahrzehntelang einfach die meine war und daher unauflöslich mit meiner Identität verwoben ist und dass sie zweitens vielschichtig und spannungsreich ist. In diesem Sinn kann man vielleicht von Versöhnung sprechen – aber aus der Distanz, bitte! Wie kam dieser Ihr Debütroman zustande? Andergassen: Jch habe immer schon geschrieben, aber mich immer zu sehr unter Druck gesetzt. Mich auch viel zu ernst genommen. So sind meine Texte immer in der Schublade gelandet. &bdquo;Freigeschrieben“ habe ich mich dann in einem Online-Schreibseminar, als ich schon in Pension war. Im Laufe des Seminars war plötzlich der Druck weg, und die Schreiblust da. Und mit einer mir bis dahin unbekannten Leichtigkeit habe ich mich fast spielerisch in das Buch hineinbegeben. Zum Schreiben brauche ich übrigens viel Zeit, Konzentration und Ruhe. Die hätte ich als Berufstätige nicht gehabt, beziehungsweise mir nicht genommen. Sie schreiben schon am 2. Roman... Wie soll's nun weitergehen? Andergassen: Ja, wie soll’s weitergehen, mit meinen 69? Keine Ahnung, ich weiß nur, dass ich mein zweites Buch sehr gerne in die Welt setzen würde. Blöd ist nur, dass ich schon eine Idee fürs dritte habe. Das nenn ich mal einen Wettlauf mit der Zeit... Buchtipp: Evelyn Andergassen, &bdquo;Atlantikpassage“, Edition Raetia 2022, 224 Seiten Hier können Sie das Buch bestellen: www.athesiabuch.it