Zum 50-jährigen Jubiläum haben sich die Herausgeber Siegfried de Rachewiltz und Andreas Rauchegger dem Tragen gewidmet, denn – so liest man im Vorwort – ist die Vielfalt von Lösungen, die für die unterschiedlichen Transportprobleme gefunden wurden, besonders kennzeichnend im Gebiet des historischen Tirols. <BR /><BR />„Homo ferens/Frauen tragen“ entführt die Leser und Leserinnen in ganz unterschiedliche Kapitel, die den Facettenreichtum des Tragens dokumentieren. Denn man trägt Kleider, Lasten, Kraxen, Taschen, einen Sarg, oft auch im übertragenen Sinn schwer am Leben. <BR /><BR />30 Autoren und Autorinnen erläutern uns, dass die Tragweite des Themas unerschöpflich ist. Es ist ein Buch, das besonders auch die Rolle der Frauen würdigt. Für Siegfried de Rachewiltz, dem Herren der Brunnenburg und wie kein anderer ein Kenner der bäuerlichen Kultur, ist diese Publikation <i>„ein Ausdruck der Freude an der interdisziplinären Forschung“</i>. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133106_image" /></div> <BR /><BR /><b>299 Seiten, die dem Tragen gewidmet sind und vor allem auch den Frauen „das Wort“ geben. Was kann die Kulturgeschichte des Tragens, die in Ihrem Buch so ausführlich dargelegt wird, leisten? </b><BR />Siegfried de Rachewiltz: Die Kulturgeschichte des Tragens gewährt uns eine Vielzahl von Einblicken in das Dasein und in die Gesellschaftsstrukturen der Menschen. In vielen Kulturen war das Tragen von Lasten nur Sklaven vorbehalten, in anderen waren es (und sind es zum Teil heute noch) Frauen, die den Hauptteil des Tragens verrichteten. Im Alpenraum mussten alle tragen, doch auch hier sollten Frauen oft die gleichen Lasten tragen wie die Männer und nebenbei noch andere „Frauenarbeiten“ verrichten, angefangen vom „Austragen“ der Kinder. <BR /><BR />Im religiösen Kontext wiederum kann das Tragen besonderer Objekte (Fahnen, Statuen usw.) Aufschluss geben über die Stellung bzw. den Status einzelner Individuen oder Gruppen in der Gesellschaft. Das betrifft auch Insignen der Macht (Krone, Szepter usw.) aber auch die standesgemäße Bekleidung (Kleider machen Leute). Das Tragen von Waffen oder von Vögeln für die Beizjagd war im Mittelalter ebenfalls standesgemäß streng geregelt. <BR /><BR />Aus ethnologischer Sicht sind dann auch besondere Berufe wie Kraxenträger, Wasserträger bis hin zu Bötinnen und Briefträgern interessant. Im Bereich des historischen Tirols ist vor allem die Vielzahl an verschiedenen, oft genialen Lösungen für das Tragen unterschiedlicher Produkte und Materialien beachtenswert (Erde, Dünger, Heu, Getreide, Obst. Holz, Baumaterialien usw.)<BR /><BR /><b>Gibt es eine spezifische Form des weiblichen Tragens? </b><BR />De Rachewiltz: Tiroltypische Tragbehelfe sind die verschiedenen Kraxen und Körbe, die man für den Arbeitsalltag benötigte, die Leintücher zum Heu- und Korntragen, die Passeirer und Burggräfler „Pferggl“, eine einfache aber durchwegs effiziente Astgabel zum Heutransport aber auch das „Firtig“, der Schurz, der sowohl Bauern wie auch Handwerkern zum Tragen verschiedenster Dinge diente und der „Zecker“ mit dem Frauen alles Mögliche sammelten und Einkäufe tätigten.<BR /><BR /><b>Das Thema ist unglaublich weitläufig, können Sie uns ein paar herausragende Beispiele tiroltypische Arten des Tragens beschreiben?</b><BR />De Rachewiltz: Früher (bis etwa Ende des 19. Jahrhunderts) haben Frauen auch bei uns häufig Lasten auf dem Kopf getragen: Das waren zum Beispiel Milchgefäße und flache Körbe („Tschaien“), mit denen die „Grampen“ Gemüse, Obst und Eier auf den Markt trugen oder mit denen Mägde die Feldspeisen für die Arbeiter im freien Gelände, oft über weite Strecken, hinaustrugen. Gras wurde von armen Frauen oft am Wegrand eingesammelt, in ein Tuch gewickelt und auf dem Kopf nach Hause getragen. Frauen beteiligten sich vor allem auch am Sammeln und Einbringen des sogenannten „Wildheus“ auf schroffen Felsen, welches auch Besitzlose einsammeln durften. In Dörfern wie Stilfs, wo die Männer im Sommer auswärts Arbeit suchen mussten, wurde das Eintragen von Heu, Getreide, Kartoffeln und Rüben allein von Frauen mit Ruckkörben erledigt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133109_image" /></div> <BR /><BR /><b>Als Ethnologe kennen Sie auch besonders gut die verschiedenen dialektalen Bezeichnungen, welche Trageformen und Geräte beschreiben. Welche finden Sie besonders originell?</b><BR />De Rachewiltz: Das wäre z.B. der „Flekknvougl“, ein Tragbehelf, der es ermöglicht, Bretter übereinander zu stapeln und sie dann so zu tragen, dass sie zur Hälfte über den Kopf des Trägers hinausragen, und somit das Gewicht gleichmäßig verteilt wird. Mit dem „Maltavougl“ hingegen wurde Mörtel bei Bauarbeiten über das Gerüst hinaufgetragen. Der „Kornspiss“ ist ein ausgeklügelter Tragestock, der es ermöglicht, mehrere zusammengeschnürte Kornhocken über kurze Strecken zu tragen.<BR /><BR /><b>Der Klappentext zeigt u.a. 2 besondere Objekte, welche Menschen mit sich tragen: den Flachmann des Altlandeshautmanns und den Höhenmesser von Reinhold Messner, den er bei der Besteigung aller Achttausender bei sich trug. Was tragen Sie immer bei sich?</b> de Rachewiltz: Ich trage seit 45 Jahren meinen Ehering am Finger und Gedanken über die nächsten Ausstellungsprojekte im Kopf mit mir herum. <BR /><BR /><i>Buchtipp: „Homo ferens/Frauen tragen, Zur Kulturgeschichte des Tragens im historischen Tirol und seinen Nachbarregionen“, Schriften des Landwirtschafts- museums Brunnenburg Nr. 22, 2024, 299 Seiten</i><BR /><BR /><b>Bestellen</b>: <a href="https://www.athesiabuch.it/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a>