„Ich bin im 2. Wiener Bezirk aufgewachsen, wo viele Juden immer noch leben. Nach dem Krieg wurde ich von meinen Eltern erzogen, ohne dass sie irgendwie Hass gegen die Deutschen predigten. Der Rassenwahn ist mir zutiefst widerlich“, sagt Peter Kleinmann. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="729569_image" /></div> <BR /><BR />„Ja, meine Familie hat es arg erwischt: 2 Mitglieder der Familie sind ausgewandert, 2 wurden ermordet und 2 sind 6 Jahre in KZs gelandet. Warum es eine Judenverfolgung durch Christen gegeben hat, verstehe ich nicht, wo doch Jesus ein Jude war“, sagt er nachdenklich. „Ausgehalten haben es der Opa und der Papa mit sehr viel Glück, mit sehr viel Lebenswillen und mit sehr viel Geschick.“<BR /><BR /> Zur Welt gekommen ist Peter Kleinmann am 17. September 1947 als Sohn von Fritz und Hedy Kleinmann, die Ende 1945 geheiratet hatten. Seine Großmutter Tini und seine Tante Herta hat er nie kennengelernt. Sie wurden 1942 von der Gestapo verhaftet, nach Weißrussland deportiert und in einem Vernichtungslager bei Minsk ermordet.<BR /><BR />Die Kleinmanns haben in Wien-Leopoldstadt gewohnt, „Im Werd“ gleich beim Karmelitermarkt. Sie waren jüdisch, aber nicht religiös. Gustav stammte aus Galizien, er hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft, war zweimal verwundet und mit einem Tapferkeitsorden bedacht worden. „Der Opa hat geglaubt“, sagt Peter Kleinmann, „dass ihm als Kriegsheld nichts passieren wird.“ Doch der Opa hat sich, wie so viele, getäuscht in einer Zeit. <BR /><BR /><BR /><b>Eine Geschichte gegen das Vergessen</b><BR /><BR /><BR />Gustav Kleinmann, ein jüdischer Polsterer aus Wien und sein 16-jähriger Sohn Fritz werden mit Hunderten anderen jüdischen Männern von der SS im Jahre 1939 festgenommen. Sie werden zuerst ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht und zur Zwangsarbeit im Steinbruch eingeteilt. Gustav und Fritz haben im Steinbruch gearbeitet, haben in Latrinen Exkremente geschaufelt, nicht selten mit bloßen Händen, sie sind in Zugwaggons auf Leichen gesessen, weil kein Platz zum Stehen war. Gustav schrieb nach Hause: <i>„Der Junge ist meine größte Freude. Einer stützt den anderen. Wir sind die Unzertrennlichen.“</i><BR /><BR />Die Erfahrungen von Gustav und Fritz über 6 Jahre in 5 verschiedenen Konzentrationslagern geben ein lebendiges Zeugnis von den Ereignissen und Tatsachen des Holocaust. Grundlage des Buches ist das Lagertagebuch, das Gustav Kleinmann vom Oktober 1939 bis Juli 1945 führte, ergänzt durch Aufzeichnungen von Fritz und ein Interview mit ihm aus dem Jahr 1997.<BR /><BR /><BR /><b>KZ Ausschwitz-Birkenau</b><BR /><BR /><BR />Die europaweit gefangen genommenen Menschen wurden per Bahn in das KZ Auschwitz transportiert. Etwa 90 Prozent waren Juden. Die Herkunftsländer waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei und Ungarn. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich auf 1,1 bis 1,5 Millionen. Die Ermittlung der Opferzahlen gestaltete sich aus verschiedenen Gründen schwierig, v.a. wurden ab 1944 vom SS-Personal Unterlagen vernichtet.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="729572_image" /></div> <BR />Fritz Kleinmann fasst einen unglaublichen Beschluss. Da er seinen Vater nicht allein lassen will, folgt er ihm nach Auschwitz. Dass beide überlebt haben ist verschiedenen Umständen zuzuschreiben vor allem dem Durchhaltevermögen der beiden und einem Quäntchen Glück. Die Aufzeichnungen von Gustav geben Kunde darüber und beschreiben das Leben unter den Bedingungen des Holocaust. Gustav ist optimistisch geblieben: <i>„Jeden Tag spreche ich leise dieses Gebet: Nicht verzweifeln, Zähne zusammenbeißen, die Mörder der SS dürfen nicht siegen.“</i><BR /><BR />Dieses Buch, das sich wie ein Roman liest, hat mich lange begleitet durch die Zeit des Eingesperrtseins während der Corona Pandemie. Es spendete mir gleichzeitig Trost, und andererseits sind diese detailreichen Geschichten kaum auszuhalten. Aber manchmal hält der Leser inne wie an einer lyrischen Kadenz. So, wenn Fritz erzählt: <i>„Mein Großvater hat immer gemeint, ein Jude gehört ins Kaffeehaus und nicht auf ein Maurergerüst.“</i><BR /><BR />Der deutsche Philosoph Adorno hat 1949 den widersprüchlichsten theoretischen und kulturkritischen Begriff über Lyrik nach Ausschwitz kreiert. Der italienische Filmemacher Roberto Begnini hat in „La vita è bella“ diesen aufgehoben und auf ein komödiantisches Niveau gebracht. Begninis Film erinnert mich an die Kleinmann Story. Jedenfalls gehört Dronfields Buch zur Erinnerungskultur. <BR /><BR />Da fällt mir ein, wie ich zum Buch kam, beziehungsweise wie dieses zu mir kam. Mein Freund Peter Kleinmann, der Sohn vom Fritz, dem Jungen der seinem Vater nach Ausschwitz folgte, hat mir seine Familiengeschichte ans Herz gelegt. Ich hab mich durchgebissen, vor allem weil ich die Familiengeschichte eines Freundes kennen will, aber ich habe erstmals auch viel erfahren über eine schreckliche Zeit, die uns von unseren Eltern und Lehrern als historischer Raum vorenthalten wurde. Nein, es war noch schlimmer, unsere Nazi-Lehrer wollten uns für blöd verkaufen und verklärten die Nazi-Zeit als harmlos mit heimtückischen Lügen. Meine Großmutter setzte mit ihrem gelebten Antisemitismus noch einen Stein auf dieses Lügengebäude. Gut dass ich den Peter kennengelernt habe. <BR /><BR />Jeremy Dronfield hat – um sein Buch zu schreiben – eng mit dem Innsbrucker Historiker Reinhold Gärtner zusammengearbeitet, der gemeinsam mit Fritz Kleinmann die Dokumentation „Doch der Hund wird nicht krepieren“ herausgegeben hat.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="729575_image" /></div> <BR /><BR /><b>Buchtipp:</b><BR />„Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte. Eine wahre Geschichte“ von Jeremy Dronfield, Droemer, Knaur Verlag, 464 S. <BR /><BR /><Fett>Jeremy Dronfield</Fett>, geboren 1965, ist Historiker und Archäologe. Nach dem Abschluss seiner Doktorarbeit in Cambridge wandte er sich dem Schreiben zu. Er ist Autor mehrerer preisgekrönter Romane und Sachbücher.<BR /><BR /><Fett>Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust</Fett> am 27. Januar wurde im Jahr 2005 von den Vereinten Nationen zum Gedenken an den Holocaust und den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau eingeführt.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />