s+ hat mit ihm über das Vaterunser und sein Buch gesprochen.<BR /><BR /><b>Was bedeutet Ihnen das Vaterunser?</b><BR />David Steindl-Rast: Mir als Christ bedeutet es selbstverständlich viel, dass das Vaterunser, das „Gebet des Herrn“, wie es auch genannt wird, geschichtlich von Jesus stammt. Wenn auch die Form, in der wir es heute beten, durch die frühe Tradition mitbestimmt wurde – das zeigt sich schon daran, dass Matthäus und Lukas 2 verschiedene Versionen wiedergeben –, die Vaterunser-Bitten gehen auf die zentralen Anliegen Jesu zurück. Sie führen uns immer wieder auf das ursprünglich Wesentliche des christlichen Glaubens zurück, so dass wir uns an dem orientieren können, was für Jesus wichtig war... Ich habe an jedem Tag meines langen Lebens das Vaterunser mehrmals gebetet und mich bemüht, es immer besser zu verstehen. <BR /><BR /><b>„Vater unser“: Gibt es persönliche Erinnerungen, die Sie geprägt haben und die bei dieser Ansprache mitschwingen?</b><BR /> Steindl-Rast: So inhaltsschwere Wörter wie „Vater“ oder „Mutter“ tragen selbstverständlich immer viele persönliche Assoziationen in sich. Eine Freundin nennt sie „Erlebniskapseln“, die mit Sprengstoff aufgeladen sein können. Sie schrieb mir kürzlich: „Irgendwo las ich: Worte sind keine Repräsentationen von Dingen, sondern viel eher Erlebniskapseln. Sie laden sich mit dem auf, was wir in den vielen Situationen erleben, in denen sie gebraucht werden. Da geschieht für jeden etwas anderes.“ Und das wohl ganz besonders, wenn Gott „Vater“ genannte wird. Für mich persönlich war die Scheidung meiner Eltern, als ich sieben war, ein schweres Trauma. Weil aber meine Mutter die Rolle beider Eltern mit viel Liebe spielen lernte, gewann auch der Vatername Gottes deutlich mütterliche Züge für mich – und auch für meine Brüder, glaube ich.<BR /><BR /><b>Sie zeigen zu Beginn des Buches auf, dass das gesamte Vaterunser mit viel Bedacht durchkomponiert wurde und das Brot dabei eine zentrale Stelle und Bedeutung einnimmt – was soll uns das sagen?</b><BR />Steindl-Rast: Das Vaterunser hat, wie ich zu zeigen versuchte, eine Mittelachse, die zwischen der Anrufung „Vater!“ und der Bitte um das tägliche Brot verläuft. Dabei steht „Brot“ für alles, was wir an Lebensnotwendigem brauchen. Wir vertrauen betend darauf, dass Gott als liebender Vater seinen Haushalt mit allem nötigen versorgt. Das Bild von einem einzigen großen Welthaushalt ist ermutigend, aber auch herausfordernd: Die Angehörigen eines Haushaltes dürfen dem Vater vertrauen, sie sind aber auch füreinander verantwortlich. Wenn wir um unser tägliches Brot bitten, dann verpflichten wir uns zugleich zu einer gerechten Verteilung des Notwendigen im ganzen Welthaushalt. Niemand kann das Vaterunser beten, ohne sich der Herausforderung durch Welthunger, Wassermangel und Einkommensschere zu stellen – ohne bereit zu sein, für Gerechtigkeit tatkräftig einzutreten.<BR /><BR /><b>„Und lass uns nicht in Versuchung fallen“ ist die Übersetzungsvariante, die Sie für Ihre Überlegungen zu dieser Verszeile gewählt haben. Zudem stellen Sie zum „Bösen“ die Überlegung an, dass es eine Art „Fehlen des Guten“ sei. Sie nehmen damit Abstand von einem Gott, der uns prüfen will und auch vom Bösen als gegeben. Sind wir für das Böse also selbst verantwortlich?</b><BR />Steindl-Rast: Zunächst zur Übersetzung: Es heißt ja ausdrücklich im Neuen Testament: „Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand“ (Jakobus 1,13). Eine Übersetzung ist falsch, wenn sie den Sinn eines Satzes verfehlt, auch wenn sie sich dabei an den Wortlaut hält. Das gilt auch für diese Vaterunser-Bitte. Solange sie den Eindruck vermittelt, dass Gott uns durch Versuchungen auf die Probe stellt, ist sie falsch übersetzt. Es dauert halt eine Zeit, bis der Wortlaut eines so altehrwürdigen Gebetes offiziell berichtigt wird, aber das ist bereits unvermeidlich geworden. Überlegungen über das Böse in der Welt werden nur dann realistisch sein, wenn wir unsere Bedrohung durch die schreckliche Macht des Bösen ernstnehmen. Zugleich gilt es einzusehen, dass Gut und Böse einander nicht gleich mächtig gegenüberstehen. Das Böse ist eine Mangelerscheinung. Wichtiger als theoretische Überlegungen ist aber die praktische Frage: Wie sollen wir mit dem Bösen umgehen? Gewalt gegen das Böse einzusetzen, vervielfacht es nur, wie geschichtliche Erfahrung beweist. Ich glaube, es kann helfen, das Böse als das noch nicht Gute zu verstehen. Wir können es hinter uns lassen, wenn wir unsere Mitverantwortung klar ins Auge fassen und all unsere moralische Kraft einsetzen, um darüber hinauszuwachsen. Das ist die große Aufgabe der Menschheitsentwicklung. <BR /><BR /><b>Der Untertitel des Buches erhebt den Anspruch, das Vaterunser als „Gebet für alle“ zu sehen – ist nicht z. B. Gott als Vater anzusprechen etwas spezifisch Christliches?</b>Steindl-Rast: Für Jesus war die väterliche Liebe Gottes die große mystische Erfahrung, aus der sein gewaltfrei-revolutionäres politisches Programm erwuchs: „das Reich Gottes“ als Verwirklichung von Gottes Willen „wie im Himmel, so auf Erden“. Das war der Same und Ursprung der christlichen Tradition und all ihrer späteren Ausformungen und Verzweigungen. Das mystische Erlebnis, dass das innerste Geheimnis des Lebens uns liebend nahe ist, stellt aber kein christliches Privateigentum dar, sondern ist der menschlichen Religiosität allezeit zugänglich. Man muss nicht Christ sein, um zu erleben, dass die ganze Schöpfung ein vertrauenswürdig gesteuerter Haushalt ist. Darum dürfen wir Gottvertrauen – unter einem breiteren Blickwinkel – auch Lebensvertrauen nennen. Als Gottvertrauen ist es das Herzstück des Vaterunsers und des christlichen Glaubens, als Lebensvertrauen ist es zentral für jede Spiritualität der Menschheit. Das ist der Ansatzpunkt für ein Verständnis des Vaterunsers als „ein Gebet für alle“. <BR /><BR />Das Gespräch führte Monika Resler vom Tyrolia-Verlag.<BR />David Steindl-Rast: Das Vaterunser. Ein Gebet für alle. 125 Seiten. Tyrolia Verlagsanstalt, 2022; ca. 20 Euro. Erhältlich bei www.athesiabuch.it<BR /><BR />