„Zwischen Hoffen und Bangen. Die Deutschen Sprachkurse im Bozner Unterland“: Mit diesen Worten sind die Erinnerungen des Lehrers Sepp Mühlberger an die schwierige Zeit der Option überschrieben. Sein Sohn Georg Mühlberger hat die Erinnerungen im „Schlern“ veröffentlicht. <BR /><BR /><BR /><i>Interview: Beate Gatterer</i><b><BR /><BR /><BR />Herr Mühlberger, Ihr Vater Sepp Mühlberger begleitete ab 1940 die Sprachvermittlung an die Kinder der Optanten: Er war zuständig für die Deutschkurse im Unterland, in einer Zeit, in der die deutsche Sprache unterdrückt wurde. Was waren die Voraussetzungen für sein Amt?</b><BR />Georg Mühlberger: Als die faschistische Regierung die deutsche Schule mit dem Jahr 1925/26 abschaffte und unter Strafe verbot, wurden die Lehrer entlassen. Die deutschsprachigen Kinder wurden in den aufoktroyierten italienischsprachigen Unterricht geschickt. Alle Anstrengungen, den Kindern einen deutschsprachigen Unterricht zu ermöglichen, mussten in den Untergrund und in die Illegalität abtauchen. Was in den so genannten Katakombenschulen unter großen Schwierigkeiten, Risiken und Bedrohungen stattfand, war der Kampf um das kulturelle Überleben. Mein Vater hat nach seiner Entlassung einen Arbeitsplatz in den Buchhandlungen „Vogelweider“, heute Athesia, gefunden. 1939 wurden im Zuge des Optionsabkommens zwischen Hitler und Mussolini neue Voraussetzungen geschaffen. Deutschunterricht konnte in begrenztem Rahmen wieder stattfinden. Geduldet zwar nur, aber doch legalisiert.<BR /><div class="img-embed"><embed id="623504_image" /></div> <BR /><BR /><b>Mit welchen Sprachkenntnissen konnten die Lehrer rechnen? Was brachten die Lehrer selbst an Erfahrung mit?</b><BR />Mühlberger: Mit diesem Thema befasst sich mein Vater in seinem Bericht recht ausführlich. Abhängig von ihrem sprachlichen Umfeld war der Sprachgebrauch der Kinder im Unterland stark mundartlich geprägt. Mit besonderem Interesse beobachtet mein Vater die idiomatischen Unterschiede zwischen den Tallagen, Höhenlagen und die links und rechts von der Etsch auftretenden Unterschiede, wobei die Probleme der Schriftlichkeit noch ein eigenes Kapitel waren. Den Lehrpersonen, die sich für die Deutschkurse meldeten, fehlten zwar nicht die Erfahrung und die Einsatzbereitschaft, vielfach aber doch eine zielgerichtete Methode. Viele kamen aus den Geheimschulen.<BR /><BR /><b>Wie hat Sepp Mühlberger das Dilemma der damaligen Zeit erlebt? Hat er Ihnen von seinen Erfahrungen und Eindrücken erzählt?</b><BR /> Mühlberger: Mein Vater bekennt an einer Stelle, auch er habe für Deutschland optiert. Der vorliegende Bericht über die deutschen Sprachkurse im Unterland aber lässt erkennen, dass er sich mit ganzer Energie an die Arbeit gemacht hat. Es ging darum, den ihm anvertrauten Schulkindern eine sprachliche Bildung zu vermitteln, mit der sie in ihrem Einwanderungsland zurechtkommen könnten. Darüber scheint er fast zu vergessen, dass die Option auch ihn persönlich betraf. Tatsächlich haben ihn am Ende die Verhältnisse überholt und die Optionsentscheidung war dann für ihn persönlich wohl kein Thema mehr. Von diesen Dingen hat er nicht gerne erzählt. <BR /><BR /><embed id="dtext86-48288380_quote" /><BR /><BR /><b>Sepp Mühlberger war von 1914 bis 1926 als Lehrer tätig, 1926 wurde er aus dem Schuldienst entlassen und hat bis 1940 als Buchhändler gearbeitet. Wie schildert er diese Zeit?</b><BR /> Mühlberger: Von den wechselnden, meist äußerst entlegenen Dienstorten, die mein Vater in den Jahren während und nach dem Ersten Weltkrieg zugewiesen bekam, hat er oft erzählt. Er war unter anderem mehrere Jahre in Eichleit im Fersental, in Atzwang, in Tanas im Vinschgau als Lehrer und Organist im Dienst. Die Verhältnisse waren nach seinen Schilderungen mehr als archaisch. Die Entlassung aus dem Schuldienst führte ihn in den Buchhandel in Bozen und Meran. <BR /><BR /><b>Inwiefern ist ihm die Arbeit als Buchhändler zugute gekommen?</b><BR /> Mühlberger: Er hat gern erzählt, dass dieser Arbeitsplatz ihn sehr ausgefüllt hat und ihm sehr viele Kenntnisse und Kontakte gebracht hat. Wie wichtig meinem Vater aber doch die Wiederbeschäftigung als Lehrer war, erkennt man daran, dass er den wirtschaftlichen Nachteil erwähnt, den der Wechsel des Arbeitsplatzes mit sich gebracht hat. Das Einkommen war im Buchhandel höher gewesen. Man erkennt aber auch, dass er stark auf eine zukunftshaltige Neuordnung der politischen Verhältnisse hoffte.<BR /><BR /><b>Sie haben die Aufzeichnungen zur Veröffentlichung vorbereitet. Sie schreiben im Vorwort, dass der Text mit dem Umfang von 32 DIN A4-Seiten längere Zeit in einem Stapel von Unterlagen unbeachtet liegen geblieben war. Wann sind Sie auf den Text gestoßen?</b><BR />Mühlberger: Es ging mir so, wie es wohl vielen ergehen kann, die sich von verschiedenen Dingen nicht trennen können: Auch wenn man nicht sucht, kann man etwas finden oder wiederfinden. Spaß beiseite: Ich wusste vage von der Existenz eines Skriptums, aber es war doch irgendwie unter meinen Sachen verschollen. Als ich darauf stieß, war seine Zeit offenbar gekommen. Entscheidend ist, dass man zu Fundstücken, solcher oder welcher Art auch immer, einen ideellen Zugang findet, dass man Zeit findet, ein - in diesem Fall handgeschriebenes - Manuskript zu lesen, zu bearbeiten, zu Papier zu bringen. Es ist aber schön und motivierend, ein Dokument, dem man eine gewisse Bedeutung beimisst, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. <BR /><BR /><b>Was hat Sie persönlich an den Aufzeichnungen besonders berührt?</b><BR /> Mühlberger: Eine der starken Seiten dieses Textes ist in meinen Augen, dass er die Stimmungslage und die existenzielle Ungesichertheit, die Unschlüssigkeit vor den Entscheidungen im Zusammenhang mit der Option zum Ausdruck bringt, ohne dass diese Mitteilung ins Zentrum rückt. Ohne dass eine Klage erhoben wird. Deutlich werden der Riss, der die Leute trennte, das gegenseitige Misstrauen, die Angst auch, die an einer Stelle in die Formulierung mündet: „Wir waren doch alle nur noch Augenblicksgeschöpfe.“ <BR /><BR />