Sie sind, wie der Begriff schon sagt, zunächst einmal Teil der Natur und – im Gegensatz zum heutigen Klimawandel – nicht von Menschen gemacht. Menschen sind jedoch für unnötige Folgen solcher Naturereignisse mitverantwortlich. Eine Ko(h)lumne von Christoph Kohl.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="867938_image" /></div> <BR /><BR />Viele unmittelbare Folgen an menschlichem Leid und Elend könnten durch verantwortungsvolles politisches Handeln und den umsichtigen Einsatz öffentlicher Gelder vermieden werden. Es gibt unzählige Gebiete rund um den Globus, die von den Naturgewalten Feuer und Wasser latent bedroht sind. Und doch werden sie in der Regel von ihren Bewohnern nicht verlassen. Der Mensch in seiner optimistischen Grundhaltung hat immer wieder bewiesen, dass er mit solchen Gefahren umzugehen weiß. Trotz der Bedrohung durch Erdbeben, Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche bleiben die Menschen in ihrer Heimat, weil sie an ihrem Zuhause und ihren Wurzeln festhalten. Gleichzeitig haben sie gelernt, sich besser vor solchen Katastrophen zu schützen und mit ihnen umzugehen. In jüngster Zeit haben sich Städte wie Kobe in Japan 1995 und Christchurch in Neuseeland 2011 nach schweren Naturkatastrophen schnell erholt und neue, zukunftsweisende städtebauliche Strategien und Pläne entwickelt.<BR /><BR /><BR />Als Vorbild für einen solchen Wiederaufbau gilt seit dem 18. Jahrhundert die portugiesische Hauptstadt Lissabon, die sich nach einem Erdbeben völlig neu erfunden hat. Sie ist das bekannteste Beispiel für einen radikalen Wiederaufbau, allerdings keinen restaurativen, sondern einen experimentell neuen.<BR /><BR /><BR />Ein Beben der geschätzten Stärke 8,4 erschütterte am Morgen des Allerheiligentages 1755 die gesamte Iberische Halbinsel, Madeira, die Azoren und Nordafrika. Tsunamis trafen die Karibik und die europäischen Atlantikküsten. Lissabon wurde besonders schwer getroffen. Von seinen 250.000 Einwohnern starben etwa 20.000 durch das Erdbeben, den Tsunami und die anschließenden Brände.<BR /><h3> Wiederaufbau als Chance</h3>Der Wiederaufbau unter der Leitung des Marquis von Pombal wurde als Chance gesehen, die Stadt funktionaler und damit zukunftsfähiger zu gestalten. Man nutzte die Gelegenheit, Lissabon von Grund auf neu „aufzustellen“. In einer ersten Reaktion auf die Notlage wurde die Stadt sofort vermessen und der Bau neuer Gebäude verboten. Plünderer wurden öffentlich hingerichtet, arbeitsfähige Deserteure am Verlassen der Stadt gehindert und als Bauarbeiter eingesetzt.<BR /><BR />Die Logistik der Krisenbewältigung, die Weitsicht bei der Seuchenbekämpfung, die Umsicht beim Wiederaufbau hatte kein Vorbild in der Geschichte Europas. Was in den nächsten 2 Jahren folgte, war die umfassende Umsetzung eines radikalen städtebaulichen Plans, der auch die wirtschaftliche Position Portugals in Europa drastisch verbessern sollte.<BR /><BR />Das Vorgehen markierte einen bewussten, vom Fortschrittsglauben getriebenen Bruch mit der traditionellen europäischen Stadtplanung. Diese Planung war vom Utopismus einer rationalen und zivilen Stadtplanung durchdrungen. Sie legte den Grundstein für eine moderne Stadtarchitektur. Das neue Stadtbild Lissabons wandelte sich von einer mittelalterlichen Struktur zu einer auf einem strengen Raster beruhenden, weitläufigen, von grünen Boulevards gesäumten und großen Plätzen bereicherten Stadt.<BR /><BR />Die Ingenieure sorgten beispielsweise für den Bau eines modernen Wasserversorgungssystems, das nicht nur die Trinkwasserversorgung, sondern auch die allgemeine Hygiene, die sanitären Einrichtungen und den Brandschutz verbesserte.<BR /><BR />Auch die Architektur Lissabons wurde nach dem Erdbeben neu gestaltet, wobei der Barockstil im Vordergrund stand. Dieser Stil brachte nicht nur ein neues, elegantes Aussehen in die Stadt, sondern auch verbesserte Baumaterialien und Bautechniken. Sie trugen dazu bei, die Stadt widerstandsfähiger zu machen, dies 250 Jahre bevor die Begriffe Resilienz oder Nachhaltigkeit Einzug in das Vokabular der gebauten Umwelt hielten.<BR /><BR />Dabei gibt es kaum Augenzeugenberichte von der Katastrophe, dafür umso mehr Deutungen, die von staatsmännischen, philosophischen und theologischen Diskursen geprägt waren. Der Hamburger Kantor Georg Philipp Telemann brachte schon 1756 eine eigene Kantate, die Donner-Ode zur Aufführung. Kein Zufall dann auch, dass Voltaire das Erdbeben von Lissabon für seine Kritik an einer optimistischen Aufklärung nutzte. Er hielt sich zur Zeit des Erdbebens in der Schweiz auf und schrieb schon Ende November 1755 sein berühmt gewordenes Lehrgedicht Poème sur le désastre de Lisbonne, ou Examen de cet axiome „Tout est bien„. “Nichts ist gut„, antwortete noch im selben Jahr Jean-Jacques Rousseau mit einem Brief, der nicht die Natur, sondern die menschliche Zivilisation anklagt, alles Übel in der Welt zu verursachen.<BR /><h3> Goethe erkannte die Bedeutung des Bebens für Zukunft der Stadt</h3>Johann Wolfgang von Goethe, der zum Zeitpunkt der Katastrophe sechs Jahre alt war, bezog sich später in seiner “Italienischen Reise„ auf das Beben von Lissabon und schilderte die Eindrücke, die er aus Berichten und Zeitungen gewonnen hatte. Er ging auch auf die politischen Auswirkungen der Ereignisse ein und zeigte sich beeindruckt vom schnellen Handeln der portugiesischen Obrigkeit beim Wiederaufbau. Goethe als vielseitig interessierter Zeitzeuge, der sich bereits als Minister in Weimar systematisch mit naturwissenschaftlichen und politischen Fragen beschäftigt hatte, erkannte die Bedeutung des Bebens von Lissabon für die Zukunft der Stadt und des Landes und sah die Chancen für neue architektonische Experimente und den Einsatz neuer Technologien.<BR /><BR />Die Zunft der Planer hat nach dem Erdbeben von Lissabon viel gelernt. Die Erfahrungen aus der Katastrophe halfen den Disziplinen von Ingenieuren, Architekten und Baumeistern, neue Methoden und Techniken zu entwickeln, um Infrastrukturen und Gebäude widerstandsfähiger gegen künftige Naturkatastrophen zu machen.<BR /><BR />Der neue Ansatz einer interdisziplinären, koordinierten Stadtplanung am Reißbrett wurde zum Modell für Städte, die sich nach einer Katastrophe neu erfinden mussten. So wurde Lissabon zu einem Modell für innovative Stadtplanung, das bis heute weltweit erforscht wird und Stadtplanung und Architektur in ganz Europa und darüber hinaus beeinflusst.<BR /><BR />Katastrophen - so zynisch das zunächst klingen mag - bieten Städten auch die Chance, sich neu zu programmieren und an die Herausforderungen einer sich ständig verändernden Welt anzupassen. An dieser Stelle möchte ich mich bis zum nächsten Mal mit der Frage verabschieden, ob dies auch für von Menschen gemachte Katastrophen - Krieg und Terror - gelten kann.<BR /><BR />Ihr Christoph Kohl<BR /><BR /><BR />