<b>Von Ferruccio Delle Cave</b><BR /><BR />Eine ganze Reihe bekannter Namen lockte auch in diesem Jahr Liebhaber der Literatur, Literaturkenner und Gäste aus aller Welt nach Dorf Tirol zum Lauschen und Zuhören, wie sich etwa Benjamin von Stuckrad-Barre oder Dirk Stermann die Klinke in die Hand gaben. Im vergangenen Jahr eröffnete die erste Ausgabe des Literaturfestivals mit einer viel beachteten Lesung von Daniel Kehlmann. Leon de Winters letzter Roman „Die Stadt der Hunde“, im Original „Stad von de Honden“ erschien in den Niederlanden bereits 2023 und wurde für den Schweizer Verlag Diogenes 2025 von Stefanie Schäfer ins Deutsche übertragen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1167387_image" /></div> <BR /><BR /><b>Mit Ihrem Protagonisten Jaap erzählen Sie uns Leser und Leserinnen von einem alternden niederländischen Juden, der als Neurochirurg stets an die Wissenschaft glaubt, bis er selbst, in Folge einer Gehirnoperation in eine durch und durch surreale Situation gerät, Stimmen hört, ja sogar mit einem Hund spricht. Hatten Sie für Ihren preisgekrönten Roman „Stadt der Hunde“ für Jaap ein reelles Vorbild oder eine reelle Geschichte als Inspierationsquelle?</b><BR />Leon de Winter: Ich hatte die Idee, der Protagonist müsse ein Neurochirurg sein, aber, wie in anderen meiner Geschichten, fand ich jemanden, der im Bereich der Neurochirurgie tätig ist. Ich habe einen wunderbaren Mikrochirurgen an der Universität Leyden gefunden, selbst einer von zehn Spitzen Neurochirurgen auf der ganzen Welt. Er ist ein Techniker und Künstler in einem. Ich hatte zahlreiche Gespräche mit ihm. Aber zur Seite stand mir auch mein Cousin, der Herzchirurg ist. Vom Charakter steht meinem Protagonisten Jaap mein Cousin näher, eher unfreundlich und ungeduldig. Ich habe ihm meinen Roman geschenkt, aber ich glaube nicht, dass er ihn gelesen hat. <BR /><BR /><BR /><b>In Ihrem faszinierenden Roman bewegen Sie virtuos mehrere Erzählebenen, die mehreren geografischen Gebieten zuzuordnen sind, so die jüdische innerisraelische Realität in der Negevwüste, die fast verzweifelte Suche nach der verschollenen Tochter Lea, die Zeit in Tel Aviv oder das schwierige Verhältnis zum arabischen Raum über die riskante Operation an der Tochter eines saudischen Herrschers, nicht zuletzt aber auch das Leben in den Niederlanden...</b><BR />De Winter: Es ist richtig, wie Sie das mit der Geografie im Roman andeuten: Denn so funktioniert mein Gedächtnis. Ich habe, was ich da beschreibe, an Landschaften, Städten und Orten allgemein gesehen und mir einverleibt. Ich erinnere mich unglaublich an Eindrücke, die ich übers Jahr gesammelt habe. So arbeite ich nämlich und erlebe ich die Wirklichkeit. Für mich sind dies eben auch die Orte und die Plätze, die ins Geschehen des Romans eingreifen. Und dahin platziere ich auch meine Figuren. Das kann sich allerdings über Jahre hinziehen. Ich habe mit der Niederschrift des Textes nicht gleich angefangen, ich musste genau recherchieren, etwa im Bereich der Neurochirurgie, von der ich ja nichts wusste. Und so geht es auch mit meinen Orten, ich war selbstverständlich in Tel Aviv oder im Ramon Hotel und habe den Vulkankrater besichtigt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1167390_image" /></div> <BR /><BR /><b>Es gelingt ja nur ganz großen Schriftstellern, Orte mit den Figuren so prägnant in Verbindung zu setzen, aber nicht nur die Orte, sondern auch die Erzählebenen. Nichts ist dabei zufällig. Stimmt das?</b><BR />De Winter: Ja, es ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit, etwa in einer angemieteten Wohnung, wie ich da herumgelaufen bin und alles genau beobachtet habe. Ich hatte einen genauen Plan, wie ich den Roman strukturieren wollte, einen Bauplan der Erzählung sozusagen. Ich habe eine Unmenge Notizen geschrieben, da steht dann die ganze Geschichte gleichsam präformiert. Ich weiß dann immer, was ich mit meinem Text will und wie ich ihn schreiben muss. Wenn ich arbeite, verplane ich jeden Tag genau. Meistens gehe ich recht früh ins Bett und stehe sehr früh am Morgen auf, esse ganz wenig und nehme meistens radikal an Gewicht ab, sodass meine Frau mich tadelt, ich würde zu wenig essen. Ich sage darauf, nein, ich muss mehr schreiben! An diesen Arbeitstagen verwandle ich mich in meine Figuren, in Jaap z.B. Ich bin völlig von meiner Arbeit besessen und nehme die Wirklichkeit um mich herum kaum wahr. Ich würde da meine Situation als eine „gezielte, kontrollierte Verrücktheit“ nennen. Dabei bin ich mit meinen Figuren emotional stark verbunden. <BR /><BR /><BR /><b>Sind Ihre Figuren von Anfang an klar in Ihrem Kopf oder entwickeln sie sich erst im Laufe des Schreibens?</b><BR />De Winter: Wenn ich die ersten Worte niederschreibe, sind meine Figuren da. Ich habe jahrelang alles vorbereitet, und dann stehen sie einfach fest. Ich bewege meine Figuren wie in einem Schachspiel hin und her, ich lache und weine mit ihnen, ich gehe völlig in meinen Figuren auf. Es gibt Tage, die um acht am Morgen beginnen und plötzlich ist es Abend und ich befand mich wie in einem Arbeitsrausch. Ich war in einer völlig anderen Welt. Es war so herrlich! Es fühlt sich so an wie eine Gnade Gottes. Ich bin sehr glücklich, dies erleben zu dürfen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1167393_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie legen dem ganzen Romangeschehen dann die politisch gesellschaftliche Situation wie auf eine Folie auf, in der Sie den Plot Ihrer Erzählung ausbreiten. Stimmt das?</b><BR />De Winter: Ja, das ist meine Methode. Ich mache dies seit meinem Roman „Hofmanns Hunger“ aus dem Jahr 1990. Es gibt einen soziopolitischen Kontext, aber der bleibt im Hintergrund. Im Vordergrund aber ist die persönliche Geschichte, oft eine Tragödie. In meinem Roman „Suche nach Eilin“ aus den 1980er Jahren war der nordirische Konflikt im Hintergrund und im Vordergrund spielte sich eine Tristan-und-Isolde-Geschichte ab. Da habe ich damit begonnen, Geschichte und Politisches als Grundlage im Hintergrund abzuspielen. All meine Romane sind auf diese Art und Weise gebaut. Wir sind keine isolierten Phänomene, es gibt immer eine Realität, es gibt schreckliche Kriege und Auseinandersetzungen. Wir alle reflektieren das und werden dadurch beeinflusst, so wie in der Geschichte meiner Familie. Ich brauchte allerdings dafür Zeit, um dies alles zu entdecken und zu verstehen. <BR /><h3> Vier Fragen an Florian Gartner</h3><BR /><div class="img-embed"><embed id="1167396_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Gartner, Ihr erfolgreiches Literaturfestival beweist, dass Sie selbst ein gro</b>ßer Kenner und Leser sind. Wie sieht Ihre „literarische“ Biografie aus?<BR />Florian Gartner: Von den „Klassikern“ stehen mir Kafka, Thomas Mann, Dostojewski, Oscar Wilde und Roberto Bolano, dann auch Paul Auster und Jane Austen. Aus der zeitgenössischen Literatur mag ich Siri Hustvedt, Martin Suter und T.C. Boyle. Ich lese auch Krimis und sammle Comics, dazu Fachliteratur über Rockmusik, Pop und Punk. <BR /><BR /><BR /><b>Wie kam es eigentlich zu diesen beiden hochkarätigen Literaturfestivals?</b><BR /> Gartner: Im Prinzip gibt es dafür einen einzigen Grund: meine unbändige Liebe zur Literatur! Seit meinem fünften Lebensjahr lese ich und erlebe in der Literatur neue und unerhörte Welten, die meine Fantasie anregen. Irgendwann kam mir dann die Idee, Autoren oder Autorinnen in unser Haus einzuladen, die diese Liebe zur Literatur verkörpern und auch Menschen zu finden, die dies mit uns gemeinsam teilen möchten, in der letzten Konsequenz etwas anzubieten, wo sich nicht nur die Gäste unseres Hauses wiederfinden, sondern auch Besucher und Besucherinnen von außen. <BR /><BR /><BR /><b>Sie haben seit dem letzten Jahr großartige Autoren präsentiert. Wie gelingt es Ihnen, an solche Autorinnen zu kommen?</b><BR />Gartner: Ich erstelle eine Liste von mir bekannten Persönlichkeiten, die ich mag und deren Bücher ich gelesen habe. Für 2025 hatte ich an die 30 Namen notiert. Und dann setze ich mit der Kontaktaufnahme über Verlage, über private Kanäle und auch über Agenturen ein. Die Ansprechpartner in den Verlagen haben anfänglich mit Erstaunen und mit einer gewissen Distanz reagiert. Aber am Ende hat sie mein Konzept mit Literatur im Hotel überzeugt, denn Kultur im Hotel ist kein historisches Phänomen, sondern ist auch für uns heute interessant, man denke an Schloss Ellmau z.B. Aber auch Meran hätte diese Tradition. Durch den Erfolg der ersten Ausgabe mit Größen wie Daniel Kehlmann und Bodo Kirchhoff ist es mir relativ schnell gelungen, mit Qualität zu punkten und von den Verlagen voll und ganz respektiert zu werden. <BR /><BR /><BR />Die rufen jetzt oft auch selber an und bieten Autoren oder Autorinnen fürs Festival an. Sie wissen nunmehr, dass ich es aus purer Leidenschaft zur Literatur auf die Beine gestellt habe und dass ich auch dafür die nötigen finanziellen Ressourcen finde. Die Verlage wissen mittlerweile auch, dass ich in meinem Festival ausschließlich hochkarätige Persönlichkeiten haben möchte. So unterschiedlich die Autoren auch sind, habe ich sie alle im Bewusstsein ausgewählt, dass sie etwas zu sagen haben und dies auch zu kommunizieren imstande sind. Die übergroße Nachfrage auch unserer Leute nach den Lesungen – im Schnitt 120 Besucher bzw. Besucherinnen pro Lesung – gibt mir recht. Das Hotel wird dabei ein öffentlicher Raum, der für Gäste wie auch für alle ein Ort der Begegnung darstellen soll. Ich fühle mich nicht als ein professioneller Literaturorganisator, sondern bin nach wie vor der Leser! <BR /><BR /><BR /><b>Wird es im kommenden Jahr wieder ein Literaturfestival in Ihrem Haus geben?</b><BR />Gartner: Ja, die dritte Ausgabe für 2026 steht in Teilen schon. Die Latte ist hochgesteckt und ich werde versuchen, die angestrebte Qualität zu halten.