Protagonisten des Romans, der auf historische Dokumente jener Jahre zurückgreift und Interviews mit Zeitzeugen wie Herlinde Molling und Siegfried Steger enthält, sind 3 Jugendliche: Peter, ein Waisenkind auf der Suche nach einer Revanche, Max, Sohn eines skrupellosen Grundstückbesitzers, und die 17-jährige Nordtirolerin Klara, die in Innsbruck zur Schule geht, insgeheim jedoch als Spionin für die Amerikaner agiert. Peter, der beste Freund von Max, verliebt sich in Klara. Das eingefleischte Dreigespann wird sich langsam dem Terrorismus verschreiben...<BR /><BR /><BR /><b>Frau Gruber, Ihr Roman „Inganno“ ist der letzte Teil einer Trilogie, in der Sie die Geschichte Ihrer Südtiroler Familie beleuchten. Wie stark ist dieser Roman autobiografisch geprägt?</b><BR />Lilli Gruber: In den 60er Jahren war ich ein Kind, doch ich erinnere mich noch sehr gut an lebhafte Diskussionen im Hause meiner Großmutter Elsa Deutsch zum Thema „Freiheitskämpfer“. Einige verteidigten sie offen, andere waren der Ansicht, dass Gewalt niemals gerechtfertigt sei.<BR /><BR /><BR /><b>In „Inganno“ greifen Sie oft auf die Technik der Reportage zurück. Wie haben Sie sich dokumentiert, um die politischen Hintergründe im Südtirol Ende der 50er Jahre geschichtstreu zu schildern?</b><BR />Gruber: Es gibt exzellente historische Werke zur Geschichte jener Jahre und viele Bücher direkter Zeugen. Ich wollte meinem Roman einen internationalen Blick verleihen. Daher habe ich auf englische Bücher zum Thema Kalter Krieg, internationale Geheimdienste und Biografien von CIA-Agenten in Italien und Europa zurückgegriffen. Sehr interessant war dabei vor allem „Dropshot“, eine Dokumentensammlung von Anthony Cave Brown zu den US-Plänen im Fall eines möglichen Kriegs mit der Sowjetunion Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre. Der Brenner galt als entscheidend, um eine sowjetische Invasion nach Italien zu stoppen. Ich habe auch in den Archiven der Carabinieri, der Finanzpolizei, des Innenministeriums und des Archivs Russomanno recherchiert. In allen Phasen der Dokumentation war die Hilfe von Historikern notwendig. <BR /><BR /><BR /><b>Sind die 3 Protagonisten – Peter, Max und Klara – erfunden, oder haben Sie sich an realen Personen inspiriert?</b><BR />Gruber: Es handelt sich um erfundene Personen, doch ihr Lebensweg und ihre Abenteuer haben historische Ereignisse und Beschlüsse, die Jugendliche in den 60er Jahren fassen mussten, zur Vorlage.<BR /><BR /><BR /><b>In Ihrer Trilogie sind die Frauen die wahren Protagonisten. Was haben Sie mit diesen gemeinsam ?</b><BR />Gruber: Klara ist eine entschlossene und für jene Jahre sehr emanzipierte Nordtirolerin. Sie will sich nicht manipulieren lassen. Sie will in ihrem Leben selbst entscheiden, sei es in der Liebe, sei es in ihrer Rolle als junge Kämpferin. Ich würde zwar selber nie zur Pistole greifen, stehe aber an der Seite selbstständiger und entschlossener Frauen.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-51052278_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Und welche Frauenfigur hat Sie in Ihrer Kindheit geprägt?</b><BR />Gruber: Sicherlich meine Mutter Herlinde, die heute eine wunderbare 92-Jährige mit offener Mentalität ist. Sie hat mir und meiner Schwester immer geraten, zu lernen und unabhängig zu sein. „Das wird Eure Stärke sein“, sagte sie und ich kann sagen, dass sie Recht hatte.<BR /><BR /><BR /><b>„Inganno“ befasst sich mit einer schwierigen Phase der Südtiroler Geschichte. Erstmals war Italien mit Terrorismus konfrontiert. Wie sehen Sie als Südtirolerin und Journalistin diese Jahre?</b><BR />Gruber: Es war interessant, den Ursprung der Strategie des italienischen Staates im Umgang mit Terrorismus zu ergründen. Diese Strategien sind uns dann mit der Zeit familiär geworden, als Italien immer mehr mit dem Thema Terrorismus konfrontiert wurde. Südtirol, das in den Jahren des Kalten Kriegs nicht nur für die USA entscheidend war, war eine Region, in der die großen Mächte ihre geostrategische Partie spielten.<BR /><BR /><BR /><b>Als Kind haben Sie Südtirol verlassen und sind mit der Familie nach Verona gezogen. Hier kamen Sie in eine Schule, ohne die italienische Sprache zu beherrschen. Hat Sie das geprägt?</b><BR />Gruber: Mein Vater hat sein Unternehmen 1963 nach Verona verlegt. Ich bin dort in eine von Klosterfrauen geleitete Schule gekommen. Mit meinem Namen, meinem deutschen Akzent und mit meiner Kleidung – wir trugen gelegentlich ein Dirndl – war ich anders, ich war „die Deutsche“. Kinder können grausam sein. Ich bin ins kalte Wasser geworfen worden und habe sofort schwimmen gelernt. Ich lernte, mich durchzuboxen.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-51052279_quote" /><BR /><BR /><BR />Wie ist heute Ihre Beziehung zu Ihrer Südtiroler Heimat?<BR />Gruber: Mithilfe meiner Eltern habe ich in den Jahren in Verona rasch gelernt, auf meine Südtiroler Identität stolz zu sein. Mir ist es gelungen, das Handicap der Anfänge in Stärke umzuwandeln: In einem multikulturellen und mehrsprachigen Familienkreis aufzuwachsen, hat mir geholfen, schon in jungen Jahren eine wahre Europäerin zu werden. Das Motto meiner Familie war: „Ihr müsst wissen, wo Eure Wurzeln sind und dann in die Welt hinausgehen.“ Heute bin ich eine Südtirolerin, eine italienische Staatsbürgerin, die einen Franzosen geheiratet hat. Ich bin aber vor allem stolz, Europäerin zu sein, denn das heutige Europa ist mit großer Mühe aus der Asche der 2 blutigsten Kriege der Geschichte entstanden.<BR /><BR /><BR /><b>Sie leben seit vielen Jahren in Rom. Wie häufig kehren Sie nach Südtirol zurück?</b><BR />Gruber: Südtirol ist meine Heimat. Auch mein Mann Jacques empfindet Südtirol als seine Wahlheimat, und jährlich halten wir uns hier 2 Mal für längere Zeit auf.<BR /><BR /><BR /><b>Das Thema der Identität und der Grenzen ist derzeit besonders aktuell. Was kann Europa von Südtirol lernen?</b><BR />Gruber: Südtirol ist ein Vorbild. Dank einer guten Administration garantiert sie als autonome Provinz, dass sich jeder zu Hause fühlt. Südtirol pflegt exzellente Beziehungen zum Zentralstaat und ist ein offenes Fenster auf Europa. Südtirol ist ein Beispiel friedlichen Zusammenlebens verschiedener Sprachgruppen, das auch in anderen Ländern als Vorbild dienen sollte.<BR /><BR /><BR /><b>Sie moderieren täglich die von „La 7“ gesendete Politshow „Otto e mezzo“ und sind auch als Schriftstellerin sehr aktiv. Wie schaffen Sie es, diese beiden Aktivitäten zu vereinen?</b><BR />Gruber: Fernsehen bedeutet Geschwindigkeit, aber oft auch Oberflächlichkeit. Alles ist sehr schnell und auch anstrengend. Mein Programm wird 6 Tage pro Woche und 10 Monate im Jahr ausgestrahlt. Daher spüre ich manchmal das Bedürfnis, mir eine Pause zu gönnen, Themen zu vertiefen und nachzudenken, da wir von einer unglaublichen Masse an Informationen überschwemmt werden. Als ich mich mit meiner Heimat-Trilogie befasst habe, wollte ich meine Wurzeln besser begreifen, auch in ihren schwierigsten und umstrittensten Aspekten. Als Jugendliche schien mir die Umarmung der Berge beengend, später habe ich begriffen, dass Berge beschützen und dass die Geschichte des Landes viel zu lehren hat.<BR /><BR /><BR /><b>Und als Schriftsteller in, was ist da die größte Herausforderung?</b><BR />Gruber: Sich mit den Lesern auseinanderzusetzen, denen die Bücher ja gefallen sollen.<BR /><Vorschub2></Vorschub2><BR /><BR /><b>Sie interviewen täglich die Polit-Prominenz Italiens. Wie hat sich der politische Stil geändert?</b><BR />Gruber: Die größte Wandlung dieser Jahre ist, dass Politik heute grundsätzlich Kommunikation und daher allzu oft Propaganda geworden ist. Dies gilt nicht nur für Italien, sondern für den ganzen Westen.<BR /><BR /><b>Ihr Buch „Inganno“ haben Sie am Montag in Rom zusammen mit Innenminister Matteo Salvini präsentiert, den Sie schon öfters in Ihrer Sendung interviewt haben. Was halten Sie von seinen ersten 6 Monaten als Vizepremier und Drahtzieher dieser Regierung?</b><BR />Gruber: Die Lega ist heute die älteste italienische Partei. Salvini ist ein junger politischer Leader mit viel Erfahrung, der die Ängste der Wähler zu seinen Gunsten nutzt, wie im Fall der Einwanderung, die kein Notstand mehr ist. In Sachen Einwanderung ist die wahre Herausforderung heute die Integration. Salvini ist in der Kommunikation sehr gewandt. Er hält diese Regierung mit der 5-Sterne-Bewegung im Gleichgewicht, doch die beiden Parteien sind sehr verschieden, und es wird an Überraschungen nicht fehlen. Früher oder später werden die Wähler die Umsetzung der vielen Wahlversprechen verlangen, von denen aber viele nicht realisierbar sind.<BR /><BR /><BR /><b>Wie wird Ihrer Ansicht nach als überzeugte Europäerin der Streit zwischen Rom und Brüssel in Sachen Haushalt ausgehen?</b><BR />Gruber: Die Regierung spielt zwar mit dem Feuer, doch niemand hat wirklich Interesse, den Kontakt abzubrechen, weder Europa, noch Italien. Ich glaube, dass der umstrittene Haushaltsplan am Schluss geändert wird.<BR /><BR /><BR /><b>Und was glauben Sie, wie lang wird diese Regierung halten?</b><BR /><?Schrift SchriftWeite="95ru"> Gruber: Das ist schwer vorher zu sagen. Salvini und 5-Sterne-Chef Di Maio haben großes Interesse, zusammenzubleiben. Die Lega ist in Norditalien stark verankert und ihre Wählerschaft ist mit einigen Aspekten des 5-Sterne-Programms wie die Einführung einer Mindestsicherung nicht einverstanden. Die Lega segelt laut Umfragen mit 36 Prozent auf Höhenflug. Wer weiss, ob sie früher oder später den Alleingang wagen wird?<?_Schrift> <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-51052680_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Was für ein Italien und für ein Europa wird aus den EU-Wahlen im kommenden Mai hervorgehen?</b><BR />Gruber: Aufgrund der Umfragen werden die sogenannten nationalistischen Kräfte nicht die Mehrheit erhalten, doch alles ist noch im Fluss. Möglich sind präzedenzlose Allianzen. Es ist wichtig, Europa zu reformieren, vor allem dort, wo die Institutionen nicht funktionieren und zu bürgerfremd sind. Man darf Europa nicht zerstören, wie mächtige Kräfte wie Trumps USA, Putins Russland und Xi Jinpings China gern hätten. Wir müssen Europa lieben, das in den letzten Jahrzehnten einen freien Markt aufgebaut hat und ihn mit einem Wohlfahrtsstaat verbunden hat, der uns 70 Jahre lang Frieden, Wohlstand und Schutz der Menschenrechte garantierte. Das ist das Beste, was die zivilisierte Welt in der Geschichte der Menschheit aufgebaut hat. Das dürfen wir niemals vergessen.<BR /><BR /><BR /><b>Zum Schluss noch: Planen Sie nach „Das Erbe“, „Der Sturm“, „Inganno“ ein weiteres Buch? Wenn ja, zu welchem Thema?</b><BR />Gruber: Ich habe einige Ideen, doch jetzt bin ich darauf konzentriert, „Inganno“ auf seinem Weg zu den Lesern zu begleiten.<BR /><BR /><BR />Das Interview wurde 2018 beim Erscheinen des Buches „Inganno“ geführt.<BR /><BR /><BR /><b>Vita</b><BR /><BR />Die Journalistin und Autorin Lilli Gruber ist in Verona und Bozen aufgewachsen. Erste journalistische Erfahrungen sammelte sie bei „Telebolzano“ und als freie Mitarbeiterin bei den Tageszeitungen „L'Adige“ und „Alto Adige“. Später arbeitete sie bei RAI Südtirol und schaffte 1983/84 den Sprung ins regionale Tg3 und ins nationale Fernsehen. 1987 war sie erste Primetime-Nachrichtenmoderatorin beim Tg2 und Tg1.1995 moderierte sie Focus TV bei Pro Sieben. Für Tg 1 berichtete sie vom Fall der Berliner Mauer, dem Golfkrieg und dem Irak-Krieg. 2004 kandidierte sie für das EU-Parlament für „Uniti nell'Ulivo“. Seit 2008 moderiert sie „Otto e mezzo“ bei „La 7“. Sie hat auch eine Trilogie über ihre Familie geschrieben.<BR /><BR /><b>Buchtipp: </b>„Inganno. Tre ragazzi, il Sudtirolo in fiamme, i segreti della guerra fredda“, Rizzoli 2018<BR />Bestellen: www.athesiabuch.it <BR /><BR /><BR /><BR />