Fast alles ist schon einmal veröffentlicht, aber in der neuen Zusammenschau gibt es einen sehr dichten und persönlichen Einblick in das Leben der so ungewöhnlichen Autorin.Zu Beginn des 250 Seiten starken Bandes steht die berührende Rede, mit der die im totalitären Rumänien aufgewachsene Banater Schwäbin am 8. Dezember 2009 den Literaturnobelpreis entgegennahm. „Der Bogen von einem Kind, das Kühe hütet im Tal, bis hierher ins Stadthaus von Stockholm ist bizarr. Ich stehe (wie so oft) auch hier neben mir selbst“, sagt sie später in ihrer Tischrede und fasst die Folgen der Diktatur in einem einzigen Satz zusammen: „Privat Feigheit bis zur Selbstzerstörung, staatlich Kontrolle bis zur Zerrüttung des Individuums.“Wie weit diese Zerrüttung ging, hat Herta Müller im vergangenen Jahr besonders schmerzlich erfahren. Im Herbst wurde bekannt, dass ihr langjähriger, 2006 gestorbener Freund Oskar Pastior sich in den 60er Jahren als Spitzel für den rumänischen Geheimdienst Securitate verpflichtet haben soll. Sein früheres Schicksal in einem russischen Arbeitslager war Grundlage für ihren preisgekrönten Roman „Atemschaukel“.Auch dieses Kapitel ist in dem Essayband nicht ausgespart. Sie berichtet von dem vertrauten Verhältnis, das sich durch die gemeinsame Arbeit an der „Atemschaukel“ ergab. Und sie berichtet – in dem einzigen bisher noch nicht veröffentlichten Text des Buches – von dem Schock, den die Enthüllungen im vergangenen Jahr für sie bedeuteten. „Meine erste Reaktion war Erschrecken. Es war eine Ohrfeige, auch Wut“, schreibt sie. „Je mehr ich die Details hin und her drehe, um so mehr wird es Trauer.“Und auch ihre eigenen Erfahrungen mit dem gefürchteten Geheimdienst sind festgehalten. Als sie sich während ihrer Übersetzer-Jahre in einer rumänischen Traktorenfabrik den Anwerbeversuchen widersetzt, schleudert der Geheimdienstler ihr den Abschiedsgruß entgegen: „Es wird dir noch leidtun. Wir ersäufen dich im Fluss.“Seinen ungewöhnlichen Titel hat das Buch von einer Dankrede, die Herta Müller 2005 bei der Entgegennahme des Berliner Literaturpreises hielt. Darin erzählt sie von ihrer Auswanderung aus Rumänien 1987: Die Mutter fühlt sich an ihre Deportation in ein russisches Arbeitslager 1945 erinnert („Immer derselbe Schnee ...“), und sie selbst wird im Auffanglager in Nürnberg von einem deutschen Geheimdienstler verhört, der auch der Securitate alle Ehre gemacht hätte („... und immer derselbe Onkel“).Und das ist wie in den Romanen auch hier das Wunderbare an Herta Müllers Geschichten: dass in den kleinen, poetisch erzählten Erfahrungen eines einzelnen Lebens die Ungeheuerlichkeit eines ganzen Jahrhunderts wach wird.Herta Müller: „Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel“, Hanser Verlag München, 256 Seiten, ISBN 978-3-446-23564-9 Nada Weigelt, dpa