„Die älteste und stärkste Emotion des Menschen ist Furcht, und die älteste und stärkste Form der Furcht ist die Angst vor dem Unbekannten“, erklärte der Autor H. P. Lovecraft. Der Name des amerikanischen Autors ist seit beinah hundert Jahren der Inbegriff der Horrorliteratur.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="604940_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Ich würde mich nicht gerade eine Anhängerin des Horrorgenres nennen, doch manchmal, besonders in den letzten Monaten, habe ich einige Abstecher auch in dieses Genre der Literatur und des Films unternommen. Einerseits, lag es bestimmt an dem unbewussten Wunsch, der wirklich furchteinflößenden Realität zu entfliehen. Und dazu ist ja eskapistische Fiktion, darunter Horror, da. Andererseits, hatte ich Lust darauf, dem Ursprung und genauer Bedeutung des Ausdrucks, den ich oft hörte und manchmal selbst benutzte, auf den Grund zu gehen.<BR /><BR /><BR />Dem Begriff „Lovecraftian“ in Bezug auf die Atmosphäre und den Stil einer Geschichte sind die meisten Leser irgendwann begegnet. Auch den Nicht-Lesern darf er vielleicht auf die eine oder andere Weise untergekommen sein. Denn der Name des amerikanischen Autors <b>Howard Phillips Lovecraft</b> ist seit beinah hundert Jahren der Inbegriff der Horrorliteratur. Mehr noch, Lovecraft und der von ihm erschaffene literarische Kosmos prägen die gesamte Pop Kultur spätestens seit den 80er Jahren. Spielfilme, Fernsehserien, Rockmusik, Computer Spiele – sein Einfluss ist überall, von „Twin Peaks“ bis zu den neueren Serienhits wie „Stranger Things“, „Riverdale“ oder „Dark“.<BR /><BR /><BR />„Die älteste und stärkste Emotion des Menschen ist Furcht, und die älteste und stärkste Form der Furcht ist die Angst vor dem Unbekannten. Diese Tatsachen wird kaum ein Psychologe bestreiten, und sie begründen ein für allemal Echtheit und Rang der übernatürlichen Horrorgeschichte als literarische Form.“ So schrieb H. P. Lovecraft 1927 in seinem Essay „Supernatural Horror in Literature“. Es ist schwer, scheint mir, diesem im Allgemeinen nicht zuzustimmen. Lovecraft selbst hat die Horrorgeschichte als Genre regelrecht revolutioniert, indem er sein Cthulhu Mythos und damit seine eigene Kosmologie erfand. <BR /><BR /><BR /><b>Lovecrafts Kosmischer Horror und Cthulhu Mythos</b><BR /><BR /><BR />Der Sammelband mit dem Titel „The Whisperer in Darkness“ („Der Flüsterer im Dunklen“), den ich gerade auf Englisch gelesen habe, konzentriert sich auf die frühen Geschichten des sogenannten Cthulhu Mythos. Er schließt neun Erzählungen und Novellen ein, darunter, neben der Titelgeschichte, seine anderen längsten und bedeutendsten „At the Mountains of Madness“ („Berge des Wahnsinns“), „The Case of Charles Dexter Ward“ („Der Fall Charles Dexter Ward“), „The Dunwich Horror“ („Das Grauen von Dunwich“) und seine bekannteste Story „The Call of Cthulhu“ („Der Cthulhus Ruf“). In diesen findet sich die Quintessenz Lovecrafts Schaffens, für das er den Begriff „kosmischer Horror“ geprägt hat. <BR /><BR /><BR />Die Quelle des Schreckens versetzte der Autor in die Tiefen des Weltalls und in die weite Vergangenheit. Aus diesen Abgründen stammen kosmische Kräfte, die in das alltägliche Leben des Menschen eindringen, der im Vergleich mit ihnen völlig bedeutungslos ist. Lovecrafts Philosophie geht davon aus, das alltägliche Leben sei nur eine dünne Schale über einer Realität, die so fremdartig und abstrakt ist, dass allein ein Blick auf sie die geistige Gesundheit eines normalen Menschen schädigen würde. In der Tat, nicht wenige Lovecrafts Figuren verlieren ihren Verstand. <BR /><BR /><BR />Es ist nicht eindeutig klar, mit welcher Story genau der Cthulhu Mythos beginnt. Lovecrafts Biograf <Fett>Lyon Sprague de Camp</Fett> bezeichnet „The Nameless City“ (1921) als den Anfang. Die Anderen, denen ich auch zustimme, sehen die Vorzeichen davon bereits im 1917 erschienenen „Dagon“, der ersten Geschichte in meinem Band. Jedenfalls spätestens in „Der Cthulhus Ruf“ (1926) werden zwei seiner Hauptelemente angedeutet: Die monströse Gottheit Cthulhu und mysteriöse Wesen, „The Old Ones“ („Die Alten“), die in der Urzeit aus dem All kamen und immer noch in den Tiefen der Erde und der Ozeane begraben sind. In „Der Flüsterer im Dunklen“ und späteren Novellen werden Bausteine des Mythos einer nach dem anderen eingeführt, bis zu der letzten Geschichte des Bandes „Berge des Wahnsinns“, wo die Puzzleteile endlich zusammenfallen und wir den Blick in die furchteinflößenden Abgründe des Lovecrafts Pandämoniums erhaschen dürfen. <BR /><BR /><BR /><b>Das verbotene Buch</b><BR /><BR /><BR />Im Mittelpunkt des Cthulhu Mythos steht ein fiktives Buch „Necronomicon“, das angeblich „der wahnsinnige Araber Abdul Alhazred“ (so nennt ihn Lovecraft immer wieder) vor über Tausend Jahren verfasste. Wer war dieser Alhazred? Niemand anderes als Lovecraft selbst. Als Kind – schon mit fünf Jahren ein begeisterter Leser der „Tausendundeine Nacht“ – stellte er sich beim Spielen gern vor, ein Araber zu sein. Ein Familienmitglied schlug ihm diesen Namen vor. Und das Wort Necronomicon ist dem Autor angeblich in einem Traum eingefallen. Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet es soviel wie „Ein Abbild des Gesetzes der Toten“. Der Inhalt des Buches bleibt ein Mysterium, er wird in all den Erzählungen nur angedeutet – oder sehr fragmentarisch beschrieben – und als „grässlich, gefährlich, monströs“ und „verboten“ bezeichnet. <BR /><BR /><BR /><b>Lovecrafts Schreibstil</b><BR /><BR /><BR />„Verboten“, „unaussprechlich“, „unvorstellbar“, auch „ungesehen“, „unerklärlich“, „namenlos“ sind, meinem Gefühl nach, überhaupt die meist vom Autor verwendeten Wörter. Auch habe ich mal zu zählen versucht, wie oft er in jeder Geschichte Adjektive „hideous“ (grauenhaft, schrecklich) und „eldritch“ (überirdisch, schauerlich, unheimlich) benutzt, und scheiterte jedes Mal. Es waren zu viele. Sein voller Archaismen Schreibstil kann überladen, „overwrought“ vorkommen. Manchmal hat mich das irritiert, muss ich zugeben. Doch am Ende erfüllte er seinen Zweck: Es schauderte mich, und ich blieb darauf gespannt, das Puzzle zu lösen und an das Zentrum des Mysteriums zu gelangen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="604943_image" /></div> <BR /><BR /><b>Viele Lovecrafts Motive kamen von seinen Ängsten und Albträumen</b><BR /><BR /><BR />Vor allem Angst, den Verstand zu verlieren, verfolgte den Autor lebenslang und wurde von ihm in seinen Werken erforscht. 1893, als Lovecraft drei Jahre alt war, wurde sein Vater in eine Anstalt für psychisch Kranke eingewiesen, wo er fünf Jahre später starb. Der Großvater wurde zur Vaterfigur, „zum Zentrum meines ganzen Universums“, schrieb Lovecraft später. Schon mit drei Jahren konnte der künftige Schriftsteller lesen und schreiben und stand mit dem viel geschäftlich reisenden Großvater in ständigem Briefwechsel. Briefe schreiben wird zu seiner lebenslangen Leidenschaft und dem bevorzugten Kommunikationsweg. Um die 90.000 soll er zeit seines Leben verschickt haben. Der Großvater ermutigte Lovecraft, seine umfangreiche Bibliothek zu benutzen, Klassiker wie „Odyssee“ zu lesen und erfand für ihn Schauergeschichten. Den Tod seiner Großmutter erlebte der damals etwa Fünfjährige als eine Katastrophe, und da begannen jene wiederkehrende Albträume, die Lovecraft sein Leben lang verfolgten und zahlreiche Motive für seine Geschichten lieferten. <BR /><BR /><BR />Mit sieben Jahren schrieb Lovecraft die ersten Gedichte und begann sich für die Wissenschaft zu interessieren. Später wird Astronomie zum Haupteinfluss auf seine Weltanschauung. <BR /><BR /><BR />Lovecraft war vierzehn, als der geliebte Großvater sein Vermögen verlor und kurz darauf starb. Die Welt brach für ihn zusammen. An diese Zeit erinnerte sich der Autor als an die dunkelste seines Lebens. Fast zehn Jahre dauerte eine Phase der Lethargie, in die er damals verfiel. Trotz seiner Begabungen beendete Lovecraft nie die Schule und besuchte nie eine Universität, wofür er sich schämte. Welcher Art war die Erkrankung, die ihn daran gehindert hatte, ist nicht ganz klar. Dauernde Kopfschmerzen und Nervenzusammenbrüche waren ein Teil davon. <BR /><BR /><BR />Lovecraft lebte mit seiner Mutter zusammen, bis sie, wie früher der Vater, im selben Hospital für psychisch Kranke starb. Zuerst als Amateurjournalist, dann als Hobbyschriftsteller und Ghostwriter tätig, ständig kränklich und von Armut geplagt, wurde er nur gelegentlich in den Groschenheften veröffentlicht. Vielleicht könnten Umstände der Zeit, in der er lebte, und seines eigenen, einsamen und alles andere als glücklichen Lebens, etwas Licht auf die Ursprünge der fremdenfeindlichen Ideen werfen, die er vertrat. Gegen Ende seines Lebens schien er umgedacht zu haben: „Mein Verständnis und meine Sympathien wuchsen und viele meiner sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ansichten änderten sich als Folge meines wachsenden Wissens.“<BR /><BR /><BR />Nur eine von Lovecrafts Geschichten kam als Buch heraus, bevor er 1937 mit 46 Jahren starb. Seine Kurzautobiografie hat er „Einige Anmerkungen zu einer Null“ betitelt. Darin hat er sich offensichtlich völlig geirrt.<BR /><BR /><BR /><b>Lesen / sehen / hören</b><BR /><BR /><BR /><b>H. P. Lovecraft</b>, The Whisperer in Darkness. Collected Stories, Vol. 1 <BR />Wordsworth Editions 2007<BR /><BR /><BR /><b>H. P. Lovecraft.</b> Das Werk: Große kommentierte Ausgabe<BR />Herausgegeben von Leslie Klinger <BR />Fischer Tor 2017<BR />ISBN: 9783596037087<BR /><BR />„H. P. Lovecraft – Das Werk“ ist ein aufwändig ausgestatteter Prachtband, der alle wichtigen Arkham-Erzählungen in sorgfältiger Neuübersetzung enthält. Rund 300 oft vierfarbige Abbildungen zeigen Originalillustrationen, Cover, Filmplakate, Originalschauplätze und vieles mehr. Über 1000 Anmerkungen beleuchten sämtliche Aspekte von Lovecrafts Leben und Werk. Die definitive Ausgabe für alle Lovecraft-Fans, Horror-Experten und Freunde schöner Bücher.“<BR /><BR /><BR /><b>H. P. Lovecraft</b>: Die besten Geschichten<BR />Aus dem Englischen von Florian F. Marzin <BR />Anaconda Verlag, München 2016<BR /><BR />Alle im Text erwähnten Geschichten sind in der Reihe <a href="https://www.fischerverlage.de/buch/reihe/arkham-erzaehlungen" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">„Arkham-Erzählungen von H. P. Lovecraft“ </a> auf der Website des Fischer Verlages als e-books erhältlich (je €1,49) <BR /><BR /><BR /><b>H.P. Lovecraft:</b> „An den Bergen des Wahnsinns“<BR />Suhrkamp Taschenbuch: Phantastische Bibliothek <BR />Frankfurt am Main 1997<BR /><BR /><BR /><b>Hörbücher (Deutsch):</b><BR /><BR /><BR /><b>H. P. Lovecraft:</b> „Der Cthulhu Mythos“<BR />Gelesen von David Nathan und Joachim Kerzel <BR />LPL records Verlag 2007<BR /><BR /><BR />„H.P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens – Berge des Wahnsinns“<BR />Gelesen von David Nathan 2008<BR /><BR /><BR /><b>Hörbücher (Englisch):</b><BR /><BR /><BR />Von Ian Gordon (für HorrorBabble) auf Englisch wunderbar atmosphärisch vorgetragene Hörbücher auf YouTube verfügbar – ein gesteigertes Erlebnis mit Ambient-Klängen und der Aussprache der von Lovecraft erfundenen unaussprechlichen Wörter und Beschwörungsformeln: <BR /><BR />https://www.youtube.com/watch?v=FEvIEmoCsQs <BR />https://www.youtube.com/watch?v=XTk0iROhSOc<BR />https://www.youtube.com/watch?v=UJDIvebdG8U&t=7639s <BR /><BR /><BR /><b>Erwähnte Biografie:</b><BR /><BR /><BR /><b>Lyon Sprague de Camp</b>: „H. P. Lovecraft: A Biography“<BR />Doubleday, Garden City 1975<BR /><BR /><b>Lyon Sprague de Camp:</b> „H. P. Lovecraft. Eine Biografie“ <BR />Übersetzung von Andreas Diesel<BR />Festa, Almersbach 2002<BR /><BR /><BR /><b>Verfilmungen:</b><BR /><BR /><BR /><b>„Die Folterkammer des Hexenjägers“</b> (Originaltitel: „The Haunted Palace“), eine Verfilmung der Geschichte „Der Fall Charles Dexter Ward“ (Regie: Roger Corman, USA 1963)<BR /><BR /><BR /><b>„Dagon“</b> (englischer Originaltitel: „H.P. Lovecraft’s Dagon“, spanischer Originaltitel: „Dagon, la secta del mar“), ein spanischer Horrorfilm (Regie: Stuart Gordon, 2001)<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="604946_image" /></div> <BR /><b>Wer ist Inna Kuester?</b><BR /><BR /><BR />Inna Kuester ist Kunsthistorikerin (Schwerpunkte Deutscher Expressionismus und Russische Avantgarde) und Journalistin.<BR />Hat seit Mitte der 90er Jahre in einem Kunstmuseum sowie Kunstgalerien quer durch Europa gearbeitet und als Journalistin beim WDR Fernsehen und Radio. Lebenslange Leserin, die sich mit vier Jahren das Lesen selbst beigebracht hat, zuerst auf Russisch, dann auf Deutsch, und später in drei anderen europäischen Sprachen.<BR /><BR />Studium:<BR />Studium der Kunstgeschichte (und Geschichte) an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg und der Medienwissenschaft/-praxis an der Eberhard Karls Universität Tübingen.<BR /><BR />Zuletzt war Inna Kuester als unabhängige art advisor tätitg. Sie lebt heute zwischen Mailand und Meran.<BR />