Ihre „Geheimwaffen“ gegen den Lockdown-Blues: Hörbücher und Anthony Trollope.<BR /><BR /><BR /><BR />Letzte Woche, als ich von meiner ersten Begegnung mit dem Werk von <b>Thomas Bernhard</b> anlässlich seines 90. Geburtstags erzählte, habe ich angefangen, seinen Debütroman zu lesen, <b>„Frost“.</b> Wie großartig und zum Denken anregend er auch ist, schon nach den ersten 20 Seiten wurde mir klar, dass ich diese Art von Lektüre in der heutigen Situation einfach nicht verkraften und auch nicht mit gutem Gewissen empfehlen kann. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="613673_image" /></div> <BR /><BR />Wir haben ja hier einen weiteren – dritten? vierten? – Lockdown auf dem Weg, und er fühlt sich gerade als einer zu viel an. Ich persönlich brauche bestimmt und ganz dringend einen Stimmungsaufheller, so wie vor 11 Monaten, wenn der Pandemie-Wahnsinn begann, und wir alle, wie hypnotisiert, Nachrichten und Dokus über Epidemien rund um die Uhr konsumierten. <BR /><BR />Aufs Lesen konnte ich mich damals kaum konzentrieren. Doch ein Trick hat geholfen – die Ohrhörer rein und ein Hörbuch an. Neben dem Händewaschen / Masketragen ist er seitdem meine go-to antipandemische Maßnahme. Beim Sport, Spazierengehen und jeglichen Aktivitäten, bei denen der Kopf sonst frei und somit für negative Gedanken anfällig wäre, höre ich mir ein Buch vorgelesen an, am liebsten einen Klassiker, und noch besser einen bereits geliebten Klassiker. Durch ein paar vergangene Tage hat mich eine vertraute Geschichte von einem geliebten Autor begleitet. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="613676_image" /></div> <BR /><b>Anthony Trollope (1815-1882)</b><BR /><BR />Ich denke nicht, dass ich jemanden den Namen <b>Anthony Trollope</b> ein einziges Mal erwähnen hörte, jedenfalls nicht in Deutschland oder Italien. Es sei denn, ich selbst war es, die über ihn sprach. Wo soll ich am besten anfangen, wenn ich in wenigen Worten erläutern will, wie sehr und warum ich ihn schätze? Nun, die meist zitierte Tatsache über diesen Romancier Viktorianischer Epoche ist vermutlich die, dass er ganze 47 – ja, richtig, siebenundvierzig – Romane geschrieben hat, Kurz- und Reiseprosa nicht eingeschlossen. Und das, obwohl er für den großen Teil seines beruflichen Lebens in Vollzeit als Beamter tätig war, bis er 1867 mit 52 Jahren nach einer beachtlichen Karriere aus dem Postdienst ausschied. Während der nächsten 15 Jahre, die ihm noch blieben, verfasste Trollope weitere 33 Romane. <BR /><BR /><b>Täglich drei Stunden schreiben</b><BR /><BR />Um diesen kurzen Text zu schreiben, versuchte ich (erfolglos), seine Schreibmethode anzuwenden, die aus seiner postum veröffentlichen Autobiografie bekannt wurde. Trollope pflegte, jeden Morgen, noch bevor er ins Büro ging, drei Stunden zu schreiben. Seine Zielsetzung: 250 Wörter in einer Viertelstunde. Für ihn hieß es zehn Seiten täglich, so dass er jährlich drei Romane fertig stellen würde. Seinen täglichen Fortschritt hielt er in einem Schreibtagebuch fest.<BR /><BR /> Dass Trollope diese Methode in der Autobiografie bekannt machte, schädigte seinem Ruf als Schriftsteller. Man erwartete von Autoren, beim Schreiben der Inspiration zu folgen, nicht einer festen Tagesroutine. Aber mittlerweile gibt es und gab es bereits einige Male in dem vergangenen Jahrhundert so etwas wie eine Trollope-Renaissance. In England blüht gerade die „Trollope-Society“ und verlegt sein Gesamtwerk neu, in den USA wird seit zehn Jahren ein „Trollope Prize“ verliehen. Überhaupt scheint es, wie auch im Fall einiger anderen Englischen Klassiker, dass Trollope vor allem im deutschen Sprachraum kaum übersetzt und gelesen wird. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="613679_image" /></div> <BR /><BR /><b>„The Warden“ (1855), das erste Buch in „Chronicles of Barsetshire“</b><BR /><BR />Anthony Trollope schrieb <b>„The Warden“</b> (Titel der deutschen Übersetzung: <b>„Septimus Harding, Spitalvorsteher“</b>) Anfang der 1850er Jahre, als er als Postaufsichtsinspektor in Ireland arbeitete. Nach drei durchgefallenen war dieser sein vierter Roman und endlich ein bescheidener Erfolg. <BR /><BR />In „The Warden“ erfindet er die fiktionale Grafschaft Barsetshire mit ihrer Domstadt Barchester und führt ein Ensemble der Figuren ein, die in seinen späteren Büchern wieder auftauchen werden. Im Mittelpunkt hier steht Mr. Septimus Harding, der gütige ältliche Präzentor des Barchester Doms und der Vorsteher des Hirams Armenhospitals. Der eifrige junge Reformer John Bold stellt seine hohen Bezüge als solcher in Frage und beginnt einen Rechtsstreit, der durch eine Serie von Zeitungsartikeln publik wird. Darunter leidet der gewissenhafte Mr. Harding unsagbar und stellt sich selbst infrage. Die Sache wird noch komplizierter, weil der junge Reformer und die jüngere Tochter des Beschuldigten eigentlich ineinander verliebt sind. Der Mann seiner älteren Tochter, der energische und eloquente Archidiakon Dr. Grantly, besteht darauf, dass Mr. Harding die Stellung halten soll, er sei falsch beschuldigt und solle den Feinden der Kirche die Stirn bieten… <BR /><BR />Ohne dass der Autor es im voraus plante, wird aus diesem, für Trollope relativ kurzen Roman, eine Buchserie von epischen Proportionen entstehen, die heute unter dem Titel <b>„Chronicles of Barsetshire“</b> bekannt ist. Schon das zweite Buch der Serie etablierte seinen Ruf und das vierte wurde zum Bestseller, der Trollope zu einem der meistgelesenen und respektierten Autoren in England machte. <BR /><BR /><b>Lesen / hören</b><BR /><BR /><b>Anthony Trollope</b>, The Warden <BR />Penguin English Library 2012<BR /><BR /><b>Deutsche Übersetzung:</b><BR /><BR /><b>Anthony Trollope:</b> Septimus Harding, Spitalvorsteher<BR />Aus dem Englischen von Andrea Ott <BR />Manesse, Zürich 2002<BR /><BR />Als Hörbuch auf LibriVox verfügbar (auf Englisch) <BR /><BR />The <a href="https://trollopesociety.org" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Trollope Society</a><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="613682_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wer ist Inna Kuester?</b><BR /><BR /><BR />Inna Kuester ist Kunsthistorikerin (Schwerpunkte Deutscher Expressionismus und Russische Avantgarde) und Journalistin.<BR />Hat seit Mitte der 90er Jahre in einem Kunstmuseum sowie Kunstgalerien quer durch Europa gearbeitet und als Journalistin beim WDR Fernsehen und Radio. Lebenslange Leserin, die sich mit vier Jahren das Lesen selbst beigebracht hat, zuerst auf Russisch, dann auf Deutsch, und später in drei anderen europäischen Sprachen.<BR /><BR />Studium:<BR />Studium der Kunstgeschichte (und Geschichte) an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg und der Medienwissenschaft/-praxis an der Eberhard Karls Universität Tübingen.<BR /><BR />Zuletzt war Inna Kuester als unabhängige art advisor tätitg. Sie lebt heute zwischen Mailand und Meran.<BR />