„Es hat nie eine Zeit gegeben, in der ich nicht geschrieben habe. So ging ich nie schlafen, ohne vorher geschrieben zu haben“, erzählt Zoderer in einem seiner letzten Interviews. Lesen Sie auf s+ auch, welche 5 Bücher Zoderers Sie zumindest kennen sollten!<BR /><BR /><b>Peter Hamm ist in seinem schönen Nachwort auf die Bedeutung des Romans „Der Schmerz der Gewöhnung“ von 2002 eingegangen und hat den Roman auch als eine „Überschreitung einer Grenze“ genannt. Wie hat sich die Arbeit an diesem Band in Ihrer Erinnerung entwickelt?</b><BR />Joseph Zoderer: Der Roman nahm fast 20 Jahre Arbeit in Anspruch; eine lange Arbeitszeit für mich, der ich gewohnt war, in den Romanen vorher aus einem existentiellen Augenblick heraus zu arbeiten und zu schreiben. In „Der Schmerz der Gewöhnung“ werden 100 Jahre Geschichte Italiens und Europas von den 1930er Jahren bis zur Politik der USA unter Ronald Reagan aufgearbeitet. Auch 1968 wird zu einem Motiv im Roman. Ich habe mich damals, entgegen meinen Gewohnheiten, tief in die Vergangenheit eingearbeitet, habe Mitte der 1990er Jahre in den Archiven über Mussolini und den Faschismus recherchiert und habe sogar mit Pietro Mitolo, einem Vertreter des Faschismus in Südtirol, ein Interview geführt. Zu dieser politisch-historischen Dimension kommen dann die einzelnen Handlungsstränge und Geschichten der beiden Familien der Protagonistin Mara, dann die komplizierten ganz privaten Beziehungen der Protagonisten aus zwei Kulturen, die sich in ihrer ersten Verliebtheit zuerst gut verstehen, sich dann aber im Laufe der Abnützung ihrer Beziehung immer auch entzweien. Habe dann meine Notizen und Ideen zum Roman angefertigt und 2001 den Text dem Hanser-Verlag abgegeben, nachdem ich zum Beispiel auch im Sommer am Meer durchgearbeitet hatte. Nach intensiver Arbeit ist der Roman dann 2002 erschienen. 2005 habe ich dann für diesen Roman den Hermann-Lenz-Preis zugesprochen bekommen. <BR /><BR /><b>Nach dem „Schmerz der Gewöhnung“ sind ja weitere bedeutende Werke erschienen wie der Roman „Die Farben der Grausamkeit“, der Gedichtband „Die Erfindung der Sehnsucht“ und der Roman „Irrtum des Glücks“ von 2019. Alle diese Werke sind nur ein kleiner Teil Ihres beeindruckenden literarischen und poetischen Gesamtwerks. Sind Sie mit Ihrem schriftstellerischen Erfolg zufrieden oder fehlt Ihnen noch etwas, was Sie gerne angehen und schreiben würden?</b><BR />Zoderer: Ich muss sagen, dass ich mit meiner Situation derzeit glücklich bin, und dies trotz der Isolation durch Covid19. Es könnte mir ja viel schlechter gehen! Ich habe ja über alles geschrieben, was mir wichtig war! Allerdings muss ich selbstkritisch anmerken, dass ich viel mehr hätte arbeiten können. So wie z.B. mein Freund Handke, der sein ganzes Leben aufs Schreiben ausgerichtet hat. Ich dagegen habe viel intensiver gelebt als er. Es hat aber nie eine Zeit gegeben, in der ich nicht geschrieben hätte. So ging ich nie schlafen, ohne vorher geschrieben zu haben. Ich habe auch derzeit Material für gut zwei Romane, deren Bearbeitung ich aber im Moment aufgeschoben habe. Ich habe auch keine Lust, einen Covid-Roman zu schreiben, das inspiriert mich überhaupt nicht. Dafür verfasse ich täglich mehrere Zeilen zu Gedichten. Die Arbeit mit Lyrik freut mich und ich werde bald wieder einen Gedichtband veröffentlichen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-54564854_quote" /><BR /><BR /><b>Dass sich ein so bekannter deutscher Schriftsteller wie Peter Hamm zu Zoderer zu Wort meldet, bedeutet nicht nur eine große Wertschätzung, sondern auch, dass Ihr Bekanntheitsgrad nicht nur in der Heimat, sondern auch im deutschsprachigen Ausland und in Italien noch ungebrochen ist. Ist es die Kraft Ihrer Prosa oder die anschaulichen Figuren, die auf heutige Leser immer noch wirken? Was könnte man da noch hinzufügen?</b><BR />Zoderer: Noch vor Weihnachten wird das Brennerarchiv ein Zoderer-Handbuch veröffentlichen und als Vertiefung und Erweiterung dazu eine Zoderer-Homepage. In den nächsten Tagen bin ich zu einer Videokonferenz eingeladen, die im großen Saal der Humboldt-Universität in Berlin stattfindet. An der Podiumsdiskussion teilnehmen werden mit mir die deutsch-polnische Schriftstellerin Sabrina Janesch und der rumänisch-deutsche Autor Catalin Florescu zu Fragen des Lebens in mehrsprachigen Regionen, zur Identität und Fremdheit, Themen, die in meinen Romanen immer wieder eine Rolle spielen. Dies alles bedeutet mir schon viel, ich spüre allerdings auch, dass ich schon in den 1950er und 1960er Jahren zu schreiben begonnen habe, dass die Generation von damals nicht mehr präsent ist, dass die Zeit der „Walschen“ und von „Lontano“ schon lange vorbei ist. Junge Rezensenten etwa sind weit davon entfernt, Hintergründe und Themen jener Romane aus ihrem Leben heraus zu verstehen. Wer weiß denn noch, dass ich wochenlang zusammen mit Umberto Ecos „Im Namen der Rose“ auf der Frankfurter Buchmesse gelesen habe! Wenn ich in Wien geblieben wäre, hätte sich mein schriftstellerisches Leben anders entwickelt. Ich bereue es aber nicht, dass ich wieder in meine Heimat zurückgekommen bin, gleichsam von einer „langen Reise als Fremder“ zurückgekehrt. <h3> Das sind die 5 wichtigsten Bücher von Joseph Zoderer:</h3>Auf 17 Bände angelegt ist die Werkausgabe von Joseph Zoderer, die seit 2015 im Haymon Verlag erscheint. In Zusammenarbeit mit dem Innsbrucker Germanisten Johann Holzner und dem von ihm 2001 bis 2013 geleiteten Brenner-Archiv Innsbruck wird jeder Band durch ein Nachwort sowie mit Materialien aus dem im Brenner-Archiv liegenden Vorlass des Autors ergänzt. Bisher sind 5 Bände erschienen.<BR /><BR /><b>1. „Der Schmerz der Gewöhnung“</b><BR /><BR />„Das ist mein wichtigstes Buch“, sagt Zoderer selbst über diesen 2002 erschienenen Roman. „Da ist alles drinnen an Lebenserfahrung und Identitätssuche.“ Zwischen Südtirol und Sizilien, Schuld und Verantwortung, Faschismus und Versöhnung oszilliert das Buch, das von vielen für Zoderers bestes gehalten wird. Nach dem Unfalltod seiner kleinen Tochter reist der Bozner Redakteur Jul nach Agrigento, in die alte Heimat seines Schwiegervaters, eines ehemaligen faschistischen Funktionärs, der nach Bozen versetzt wurde, um die Italienisierung der Südtiroler voranzutreiben. Juls Familie dagegen optierte – wie Zoderers eigene Familie auch – für Hitlerdeutschland und ging nach Graz. Familiengeschichte und Zeitgeschichte bilden ein schmerzhaftes Geflecht zwischen Jul und seiner Frau Mara, mit dem das Thema aus „Die Walsche“ weitergeschrieben wird. Irene Zanol hat Materialien zu Entstehung und Rezeption des Romans zusammengetragen, Peter Hamm steuert eine Lobrede bei, in der auch er betont, dass „Der Schmerz der Gewöhnung“ „in manchem wie eine Rekapitulation seines ganzen bisherigen Werkes wirkt“. (Joseph Zoderer: „Der Schmerz der Gewöhnung“, Roman, 384 Seiten, ISBN 978-3-7099-3450-0)<BR /><BR /><b>2. „Dauerhaftes Morgenrot“</b><BR /><BR />Als „frühes Meisterwerk“ gilt der 1987 erschienene Roman, dessen in Triest lebender Protagonist Lukas ein Getriebener ist, der auf der Suche nach dem Glück in Wunsch- und Albträume gleichermaßen gerät. „Was immer ihm begegnet, was er mit allen seinen Sinnen übergenau wahrnimmt, Blicke, Stimmen, Gerüche, das alles erhält Platz in seinen Phantasien und Ausschweifungen, ohne dass seine Sehnsucht, der Einsamkeit zu entkommen, je gestillt würde“, schreibt Johann Holzner im Nachwort der die Werkausgabe eröffnenden Neuausgabe, die durch eine umfangreiche Materialiensammlung von Verena Zankl ergänzt wird. Doch die Sehnsucht entpuppt sich als mächtiger denn die Erfüllung. Die das Buch bestimmende poetische Bildhaftigkeit wurde in der Rezeption ebenso gelobt wie kritisiert. Wenige Monate nach Erscheinen wurde Zoderer der Theodor-Csokor-Preis zugesprochen. „Ich freue mich“, notierte er in sein Tagebuch. „Mein erster österreichischer Preis.“ (Joseph Zoderer: „Dauerhaftes Morgenrot“, Roman, 200 Seiten, ISBN 978-3-7099-7183-3)<BR /><BR /><b>3. „Das Schildkrötenfest“</b><BR /><BR />Nichts von Südtirol gibt es in diesem 1995 erstmals erschienenen Roman zu lesen, der den Protagonisten Loris auf einer langen Reise nach Mexiko begleitet. Im Bus sitzt eine schöne, unnahbare Frau neben ihm. Eine späte Annäherung lässt eine unerwartete Vertrautheit entstehen, aus der sich eine Amour fou entwickelt. Die Notizbücher seiner 1970 unternommenen Mexiko-Reise, die im Hippie-Milieu endete, bildeten 1993 den Grundstock der Arbeit an diesem Buch, erfährt man in der Materialiensammlung von Andrea Margreiter ebenso wie die durchaus schwieri ge Entstehungsgeschichte. Elemente des Liebes-, des Reise- und des Abenteuerromans findet Sieglinde Klettenhammer in ihrem Nachwort über das Buch, mit dem Zoderer Südtirol so weit wie möglich hinter sich lässt. Nach einer Reihe von negativen Kritiken empfahl Verleger Michael Krüger seinem Autor für das nächste Projekt jedoch: „Laß ab von den exotischen Frauen, sie werden Dir immer nur Kummer machen, und wende Dich den Schönheiten Deines Tales zu, die Du vom Berg herab durch die Wiesen tänzeln siehst. Hier ist Deine Phantasie zu Hause.“ (Joseph Zoderer: „Das Schildkrötenfest“, Roman, 200 Seiten, ISBN 978-3-7099-7159-8)<BR /><BR /><b>4. „Die Walsche“</b><BR /><BR />Der dritte Band der Werkausgabe gilt Zoderers wohl populärstem Roman „Die Walsche“. „Das ist Prosa, die einen anrührt und bewegt“, zitiert Irene Zanol in ihrem langen Beitrag zur Entstehung des Buches Marcel Reich-Ranicki. Der Kritikerpapst lobte den Auszug aus dem in Entstehung befindlichen Roman, den Zoderer 1981 beim Wettlesen um den Bachmann-Preis vortrug, über den grünen Klee. Preis bekam er keinen. Doch der Antritt war Dank zahlreicher in Klagenfurt geknüpfter Kontakte sein Eintritt in die große Verlagswelt. Der Hanser Verlag wurde seine verlegerische Heimat – mit einem Buch, das Zoderer in der Wahrnehmung lange auf das „Südtirol-Thema“ fixierte. Eine junge Frau, die in der Stadt mit ihrem italienischen Lebensgefährten ein Lokal im Arbeiterviertel betreibt, kehrt zum Begräbnis ihres Vaters, in ihr Heimatdorf in den Südtiroler Bergen zurück. Ablehnung, Misstrauen und Kälte schlagen ihr entgegen. Der bei Erscheinen heiß diskutierte, schmale Roman wurde verfilmt, dramatisiert und auch auf Italienisch ein Bestseller. „Mit diesem Buch ist Zoderer in die deutsche Literatur eingetreten und hat sie bereichert, stilistisch und thematisch;“, schreibt Sigurd Paul Scheichl in seinem Nachwort, „heute kann man sagen, dass er das nicht nur mit der 'Walschen' getan hat.“ (Joseph Zoderer: „Die Walsche“, Roman, 200 Seiten, ISBN 978-3-7099-7240-3)<BR /><BR /><b>5. „Lontano“</b><BR /><BR />„Lontano“ (italienisch für weit, entfernt) ist nach „Das Glück beim Händewaschen“ (1976) und „Die Walsche“ (1982) der 1984 erschienene dritte Roman Zoderers, der tatsächlich in die Ferne führt: Weit von der Heimat entfernt hadert der Protagonist mit der Vergangenheit und sucht in Nordamerika neue Orientierung. Montreal, Detroit, San Francisco und Los Angeles, der Sankt-Lorenz-Strom, die Niagarafälle und der Mississippi bilden den geografischen Hintergrund dieses Roadtrips eines gedankenverlorenen Vagabunden, in den manche Motive der 1970 unternommenen Amerika-Reise des Autors eingearbeitet sind. Der Grundtenor der Kritiken war sehr positiv und bestärkte Zoderer auf seinem Weg: „Generell wird einmal mehr die genaue Beobachtungsgabe, die detailscharfe und minutiöse Erzählkunst des Autors gelobt, die sich in einer dichten, bildhaften Sprache ausdrückt, schreibt Andrea Margreiter in ihrem Nachwort. “Damit zählt Zoderer für viele Kritiker zu den besten Vertretern traditioneller Erzählkunst.„ (Joseph Zoderer: “Lontano„, Roman, 176 Seiten, ISBN 978-3-7099-7280-9)<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />