Wer von der Literatur der Bukowina oder enger noch von der der Stadt Czernowitz spricht, der wird im gleichen Atemzug Rose Ausländer und Paul Celan nennen und vielleicht, aus einer ganzen Reihe beachtlicher Autoren eine zu jung verstorbene Lyrikerin auswählen: <Fett>Selma Meerbaum-Eisinger.</Fett> Was macht ihr 58 Gedichte schmales Werk „Blütenlese“ so besonders?<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="673616_image" /></div> <BR /><BR />Oft auch nur Selma Meerbaum genannt, da sie schon im Alter von 9 Monaten ihren Vater verlor und für die juristische Adoption durch den zweiten Mann ihrer Mutter Nachweis vorhanden ist, lebte vom 5. Februar 1924 bis zum 16. Dezember 1942. <BR /><BR />Noch um einiges kürzer ist das uns von ihr überlieferte literarische Schaffen: Vom „Mai oder Juni“ 1939 bis zum 23. Dezember 1941 sind es gerade einmal zweieinhalb Jahre. Das zu uns gefunden hat, was – zum Teil auch unter anderen Titeln als dem von der Autorin dem Konvolut gegebenen – vorliegt ist einer Spurensuche auf Halbweg zwischen damals und heute geschuldet. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="673619_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Zuvor war Meerbaums sichtbarstes Vermächtnis das für ihr Schaffen atypische, jedoch zentral wichtige Gedicht <b>„Poem“</b> gewesen, welches 1968 in gekürzter Form Platz in einer Anthologie fand. In „Welch ein Wort in die Kälte gerufen. Die Judenverfolgungen des Dritten Reiches im deutschen Gedicht“ fand sich auch die <b>„Todesfuge“</b> ihres Cousin 2. Grades, mütterlicherseits, Paul Celan. <BR /><BR />Gerade „Poem“ zeigt allerdings auch, dass sich Meerbaums Texte sowohl als Naturidyllen und, frei nach Celan, Flaschenpost an Hezland lesen lassen, als auch als historische Zeitzeugnisse. Die Datierung auf den 7. Juli 1941 misst der Auflösung der Form des Gedichts neue Bedeutung zu und markiert bei allen später datierten Texten eine klare tonale Zäsur: Am Vortag wurde Czernowitz durch die SS besetzt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="673622_image" /></div> <BR /><BR />Zurück zur Wiederentdeckung Meerbaums. 1976 erfolgte eine erste, einmalige Veröffentlichung von <Fett>„Blütenlese“</Fett> als Privatdruck durch einen ehemaligen Lehrer Meerbaums. Im Mai 1980 folgte dann eine Sternreportage und die Veröffentlichung des Buches als <Fett>„Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“</Fett> bei Hoffmann und Campe. Neuauflagen und Vertonungsprojekte folgten, doch die wahrhaftigste Form des Vermächtnis einer zu jung verstorbenen Lyrikerin bleiben ihre Gedichte in Form der <b>„Blütenlese“</b>. „Blütenlese“, darin spiegelt sich sowohl die Einteilung der Lyrik in neun teils unvollendete Zyklen und einen zehnten, <b>„Schlafmohn“,</b> der nur als Titel erhalten ist, als auch die Bedeutung zweier anderer Begriffe: Sowohl der der Anthologie, als auch der des Florilegiums. <BR /><BR />Bezeichnet man mit Anthologie normalerweise eher die Auswahl aus dem Gesamtwerk einer Autorin oder eines Autors, oder die Zusammenstellung um einen großen thematischen Kern, so ist diese „Blütenlese“ gleichwohl ein Gesamtwerk. Umfassend und unvollständig in einem. Sie endet, vom in der Symbolik bezeichnend für vergessen und Tod stehenden „Schlafmohn“ abgesehen mit den vier Zeilen von „Tragik“, den mit rotem Stift ein Zusatz folgt: <i>„Ich habe keine Zeit gehabt zuendezuschreiben. Schade daß du dich nicht von mir empfehlen wolltest. Alles Gute</TD><TD>Selma.“</i><BR /><BR />Der Zusatz richtet sich an <Fett>Lejser Fichman</Fett>, an den das dem Buch zugrunde liegende Album adressiert und dem es gewidmet war. Kommen wir später auf ihn zurück. Das Florilegium, die andere dem Titel zu Grunde liegende Bedeutungsebene findet sich zuvorderst im Abschnitt <b>„Fremdländische Orchideen“</b> wieder. Es war eine Art Zusammenstellung aus fremden Textstellen, Versatzstücke, wie sie oft bestimmend für ein Jugendwerk sind. Meerbaum sind ihre Einflüsse zwar klar anzumerken und sie trägt sie, zum Teil durch die zweifache Übersetzung etwa Paul Verlains klar zur Schau, doch ihr bloßes Collagieren nachzusagen, wäre weit gefehlt: Wodurch ihre Texte so berührend sind, ist sicher auch der Boden aus dem sie wachsen, ihn wegzudenken ist schier unmöglich, aber es ist doch auch die beachtliche Text und Stilsicherheit die man Vielerorts aufblitzen sieht.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="673625_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Was wäre wenn...</b><BR /><BR /><BR />Klarerweise ist die Liebe jene zu Lejser Fichman, der das Album einer Freundin Meerbaums zurückgab, als er die Flucht nach Palästina wagte, die einer allzu jungen Person. Doch wann nehmen wir selbst unsere Gefühle ernster als in jenem Alter, in dem sich Selma befand? Beim Lesen fällt es nicht schwer, zu vergessen wie jung sie verstorben ist, nur um dann doch immer wieder daran zu denken. Es bleiben zwei „Was wäre wenn?“ im Raum stehen: Was wäre passiert, wenn Fichman die Gedichte mitgenommen hätte? <BR /><BR />Am 4. August 1944 wurde der Motorsegler, auf den Fichmann sein Leben setzte von russischen U-Booten torpediert und sank. Die „Blütenlese“ wäre wohl, wie so vieles, für immer verloren gewesen. Was wäre aus Meerbaum geworden, wenn sie nicht am Flecktyphus verstorben und auch das Arbeitslager Michailowka am Bug überlebt hätte? Vielleicht hätte sie es, nach Adorno, barbarisch gefunden, wieder Gedichte zu schreiben. Vielleicht wäre aber auch aus einer jugendlichen Stimme voller Schönheit und Musik eine noch poetischere und klügere, wohl aber nie wieder eine geworden in der Unbeschwertes und schwerer als Vorstellbares so dicht beieinander sind. <BR /><BR />Mir scheint, wie auch die Überlieferung von Selma Meerbaums Werk selbst auch etlichen Zufällen geschuldet ist, meine Bekanntschaft mit ihr recht glücklich. Eine gute Freundin gab mir das gelbe Reclam-Heft mit auf den Weg, schrieb eine hastige, aufrichtige Widmung zwischen Tür und Angel mit Bleistift hinein. Mir hat sich Selma Meerbaum auf ganz besondere Art empfohlen.<BR /><BR /><b>Biografie</b><BR /><BR />Selma Meerbaum-Eisinger wurde 1924 in Czernowitz (Bukowina) geboren. Mit 15 begann sie, Gedichte zu schreiben und aus dem Französischen, Rumänischen und Jiddischen zu übersetzen. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen im Juli 1941 musste die Familie im Ghetto der Stadt leben, bevor sie 1942 in das Arbeitslager Michailowska in der Ukraine deportiert wurde, wo Selma am 16. Dezember 1942 starb.<BR /><BR />Häufig wird Selma Merbaum (sie trug nie den Doppelnamen „Meerbaum-Eisinger“) als zweite Anne Frank bezeichnet, teilte sie doch mit ihr das leidenschaftliche Schreiben sowie den grausamen Erfahrungsweg des Holocausts, an dessen Ende der Tod im Zwangsarbeitslager stand. Während die eine jedoch mit 15 Jahren starb, fing die andere in diesem Alter gerade an zu dichten. Zeitgleich mit ihrem Auszug aus dem Elternhaus. Nach Zerwürfnissen mit ihrer Mutter zog Selma 1939 zu ihrer Großmutter Henie Schrager. Früh schon lebte das junge Mädchen selbstbestimmt ihre Unabhängigkeit.<BR /><BR /><BR />Selma stammte aus kleinen Verhältnissen; nach dem frühen Tod von Selmas Vater noch im Jahr ihrer Geburt heiratete ihre Mutter 3 Jahre später Leo Eisinger. Ihren Kurzwarenladen, den sie mit ihrem Schwager betrieben hatte, führte sie bis zur Deportation 1942 weiter.<BR /><BR /><BR />Czernowitz war die lebendige Metropole des Vielvölkerlandes Bukowina; in der Schule wurde Rumänisch gesprochen, während Selma zu Hause, mit Freundinnen und in der zionistischen Jugendbewegung „Haschomer-Hazair“ primär Deutsch sprach. Außerdem las sie mit Begeisterung Heine, Rilke, Verlaine, Tagore und Klabunds Nachdichtungen chinesischer Gedichte. Nach dem sogenannten Russenjahr in der jiddischen Schule besann sich Selma auf ihre Wurzeln und wandte sich dem Jiddischen zu. Diese Einflüsse sind in ihren eigenen Texten wie auch in ihren Nachdichtungen französischer, rumänischer und jiddischer Lyrik unverkennbar.<BR /><BR />Und dennoch weisen die Tiefe und Empfindsamkeit ihrer Poesie weit hinaus über die Dokumentation des Schicksals einer jungen Jüdin unter dem Nazi-Terror. <BR /><BR />Selma überlebte zwar das Czernowitzer Ghetto, aber nicht den Holocaust. Im KZ Michailowka stirbt sie mit 18 Jahren an Flecktyphus.<BR />(Aus: fembio)<BR /><BR />Buchtipp: Selma Meerbaum-Eisinger, Blütenlese.Gedichte, Hrsg.: May, Markus, 136 Seiten, Rclam Verlag<BR /><BR /><BR /><b>Poem</b><BR /><BR /><BR />Die Bäume sind von weichem Lichte übergossen,<BR />im Winde zitternd glitzert jedes Blatt.<BR />Der Himmel, seidig-blau und glatt,<BR />ist wie ein Tropfen Tau vom Morgenwind vergossen.<BR />Die Tannen sind in sanfte Röte eingeschlossen<BR />und beugen sich vor seiner Majestät, dem Wind.<BR />Hinter den Pappeln blickt der Mond aufs Kind,<BR />das ihm den Gruß schon zugelächelt hat.<BR /><BR /><BR />Im Winde sind die Büsche wunderbar:<BR />bald sind sie Silber und bald leuchtend grün<BR />und bald wie Mondschein auf lichtblondem Haar<BR />und dann, als würden sie aufs neue blühn.<BR /><BR /><BR />Ich möchte leben.<BR />Schau, das Leben ist so bunt.<BR />Es sind so viele schöne Bälle drin.<BR />Und viele Lippen warten, lachen, glühn<BR />und tuen ihre Freude kund.<BR />Sieh nur die Straße, wie sie steigt:<BR />so breit und hell, als warte sie auf mich.<BR />Und ferne, irgendwo, da schluchzt und geigt<BR />die Sehnsucht, die sich zieht durch mich und dich.<BR />Der Wind rauscht rufend durch den Wald,<BR />er sagt mir, daß das Leben singt.<BR />Die Luft ist leise, zart und kalt,<BR />die ferne Pappel winkt und winkt.<BR /><BR /><BR />Ich möchte leben.<BR />Ich möchte lachen und Lasten heben<BR />und möchte kämpfen und lieben und hassen<BR />und möchte den Himmel mit Händen fassen<BR />und möchte frei sein und atmen und schrein.<BR />Ich will nicht sterben. Nein!<BR />Nein.<BR />Das Leben ist rot,<BR />Das Leben ist mein.<BR />Mein und dein.<BR />Mein.<BR /><BR /><BR />Warum brüllen die Kanonen?<BR />Warum stirbt das Leben<BR />für glitzernde Kronen?<BR /><BR /><BR />Dort ist der Mond.<BR />Er ist da.<BR />Nah.<BR />Ganz nah.<BR />Ich muß warten.<BR />Worauf?<BR />Hauf um Hauf<BR />sterben sie.<BR />Stehn nie auf.<BR />Nie und nie.<BR />Ich will leben.<BR />Bruder, du auch.<BR />Atemhauch<BR />geht von meinem und deinem Mund.<BR />Das Leben ist bunt.<BR />Du willst mich töten.<BR />Weshalb?<BR />Aus tausend Flöten<BR />weint Wald.<BR /><BR /><BR />Der Mond ist lichtes Silber im Blau.<BR />Die Pappeln sind grau.<BR />Und Wind braust mich an.<BR />Die Straße ist hell.<BR />Dann...<BR />Sie kommen dann<BR />und würgen mich.<BR />Mich und dich<BR />tot.<BR />Das Leben ist rot,<BR />braust und lacht.<BR />Über Nacht<BR />bin ich<BR />tot.<BR /><BR /><BR />Ein Schatten von einem Baum<BR />geistert über den Mond.<BR />Man sieht ihn kaum.<BR />Ein Baum.<BR />Ein<BR />Baum.<BR />Ein Leben<BR />kann Schatten werfen<BR />über den<BR />Mond.<BR />Ein<BR />Leben.<BR />Hauf um Hauf<BR />sterben sie.<BR />Stehn nie auf.<BR />Nie<BR />und<BR />nie.<BR />7.7.1941<BR /><BR /><BR /><BR />