Als <b>John F. Kennedy</b> sechs Stunden später seine Ansprache begann, schauten so viele Amerikaner wie nie zuvor zu – angeblich 100 Millionen. Der Präsident teilte etwas Ungeheuerliches mit: die Sowjetunion habe Atomraketen auf Kuba stationiert; jede dieser Raketen könne die meisten großen Städte der westlichen Hemisphäre, von der Hudson Bay in Kanada bis hinunter in den Süden nach Lima in Peru, treffen. <BR /><BR /><BR /><BR /><i>Von Rolf Steininger</i><BR /><BR /><BR />Dies sei eine explizite Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit aller Amerikaner.<BR /><BR /><b>1. DEFCON-2</b><BR /><BR />Die Sowjets bezichtigte der amerikanische Präsident der mehrfachen Lüge, allen voran deren Außenminister <b>Andrej Gromyko</b>, der ihm noch wenige Tage zuvor versichert habe, es gebe nur defensive Waffen auf Kuba. Um den weiteren Aufbau der Abschussbasen zu stoppen, kündigte Kennedy eine „Quarantäne“ an, eine Blockade gegen alle Schiffe, die offensiv-militärisches Material nach Kuba bringen wollten. Alle derartigen Schiffe würden zur Umkehr gezwungen. Er habe außerdem die amerikanischen Streitkräfte angewiesen, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Dann machte er unmissverständlich klar: Sollte auch nur eine Rakete von Kuba aus abgeschossen werden, werde dies als ein Angriff der Sowjetunion auf die Vereinigten Staaten angesehen und zu einem „massiven Vergeltungsschlag gegen die Sowjetunion“ führen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633668_image" /></div> <BR /><BR />Um 18 Uhr war der sowjetische Botschafter in Washington, <b>Anatoly Dobrynin,</b> er war von Außenminister <b>Dean Rusk</b> über die Raketen informiert worden, von deren Existenz Dobrynin (angeblich) nichts wusste. Als Dobrynin das State Department betrat, lächelte er noch, als er es verließ, war er aschfahl und sichtlich erschüttert. Wir wissen inzwischen, was er nach Moskau berichtete: Er habe Rusk geantwortet, die Sowjetunion fürchte keine Drohungen und sei vorbereitet, sie auf angemessene Weise zu beantworten, falls die Stimme der Vernunft in den USA nicht überwiegen sollte.<BR /><BR /><BR />Vom nächsten Tag an, dem 23. Oktober, galt für die US-Streitkräfte – zum ersten Mal seit dem Koreakrieg 1950 – weltweit Alarmstufe DEFCON-3 (Defense Condition 3). Am 24. Oktober wurde für das US-Strategische Luftwaffenkommando SAC (Strategic Air Command) die Alarmstufe auf DEFCON-2: <i>„Angriff steht unmittelbar bevor“</i> angehoben. Dies zum ersten und bis heute einzigen Mal in der amerikanischen Geschichte (DEFCON-1 bedeutet Atomkrieg). Und dies – anders als lange Zeit angenommen – mit Zustimmung Kennedys.<BR /><BR /><b>Das hieß:</b><BR /> 204 Interkontinentalraketen im Westen der USA wurden für den Start vorbereitet, 12 U-Boote mit 140 Polaris-Raketen an Bord an die Küsten der Sowjetunion beordert, weitere 220 Raketen auf 5 Flugzeugträgern einsatzbereit gemacht.<BR /><BR />62 B-52-Bomber mit 196 Wasserstoffbomben an Bord waren nun ständig in der Luft, die Piloten hatten versiegelte Umschläge mit den Einsatzbefehlen erhalten. 628 weitere Bomber mit mehr als 2000 Atombomben an Bord waren rund um die Welt in Alarmbereitschaft. Hinzu kamen 60 Thor-Raketen in Großbritannien und 30 Jupiter-Raketen in Italien – jeweils mit Atombomben bestückt – und fünf Jupiter-Basen in der Türkei. Die strategische Überlegenheit der USA gegenüber der Sowjetunion betrug damals 4:1 bei Interkontinentalraketen und 17:1 insgesamt (Atomsprengköpfe etc.). Die USA verfügten damit über die vielzitierte Erstschlagkapazität, die Sowjetunion dagegen nicht. Wäre es damals zum finalen Scheitern gekommen, wäre die Sowjetunion pulverisiert worden – mit vielen Millionen Toten allerdings auf beiden Seiten.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633671_image" /></div> <BR /><BR /><b>Zur selben Zeit auf der östlichen Seite:</b><BR />Für die Truppen des Warschauer Paktes wurde erhöhte Gefechtsbereitschaft und für die Streitkräfte der Sowjetunion volle Gefechtsbereitschaft (u.a. auch für die 500.000 Sowjetsoldaten in der DDR) angeordnet. 6 Interkontinentalraketen wurden startklar gemacht, 100 Bomber aufgetankt. Ausdrücklich war allerdings mitgeteilt worden, dass die erhöhte Gefechtsbereitschaft nicht für die Offensivtruppen der Sowjetarmee galt.<BR /><BR />Am Morgen nach der Verkündung der „Quarantäne“ meinte US-Außenminister <b>Dean Rusk</b> zu seinem Staatssekretär <b>George Ball</b>, der im Büro übernachtet hatte: „<i>Wir haben einen erheblichen Sieg errungen. Wir sind beide noch am Leben.“</i> Und der britische Premierminister <b>Harold Macmillan</b> schrieb in sein Tagebuch: <i>„Dies ist der erste Tag der Weltkrise!“</i> Genauso war es. Die Welt stand am Rande des Atomkrieges.<BR /><BR /><BR /><b>Wie war es dazu gekommen?</b><BR /><BR /><BR />Zwischen Kuba, jener Insel, die nur 130 Kilometer vor Florida liegt, und den USA hatte es immer besondere Beziehungen gegeben. Nach dem amerikanisch-spanischen Krieg 1898 war Kuba in völlige Abhängigkeit von den USA geraten. Sie stützten lange Jahre den korrupten Diktator Batista, der 1959 dann von Fidel Castro gestürzt wurde. Als der amerikanischen Besitz auf der Insel entschädigungslos enteignete, brachen die USA die Beziehungen ab. Castro wandte sich Moskau zu, Kuba wurde vom Vorhof der USA zum Vorposten des Kreml, für die USA eine unerträgliche Situation. Man versuchte, Castro zu stürzen. Das führte im April 1961 zum Desaster in der Schweinebucht: die Invasion scheiterte kläglich.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633674_image" /></div> <BR /><BR />Das Thema Invasion war für Washington damit aber nicht vom Tisch. Im Gegenteil. Kennedy genehmigte im November 1961 die Operation „Mongoose“ (Mungo): verdeckte Operationen zur Vorbereitung eines Aufstandes auf Kuba mit anschließender, diesmal erfolgreicher Invasion und gegebenenfalls Ermordung Castros. Es war die bis dahin größte CIA-Operation. Im März 1962 wurde auf einer Karibikinsel das Landemanöver ORTSAC durchgeführt (ORTSAC: rückwärts für Castro). In Moskau und Havanna verstärkte sich jedenfalls der Eindruck, dass es früher oder später zu einer Invasion Kubas kommen werde.<BR /><BR /><BR />Etwa zu dem Zeitpunkt muss <b>Chruschtschow</b> die Idee gekommen sein, Atomraketen auf Kuba zu stationieren. Über die wahren Gründe dafür lässt sich nach wie vor nur spekulieren. Noch immer sind die Moskauer Regierungsarchive nahezu unzugänglich – auch für russische Historiker. Manches deutet darauf hin, dass es Chruschtschow um den Schutz Kubas vor einer Invasion ging. Damit verbunden war aber auch eine Veränderung des strategischen Kräfteverhältnisses, auch mit der Möglichkeit, neuen Druck in der Berlinfrage auszuüben. Eine Invasion Kubas hätte die Sowjetunion mit konventionellen Waffen nicht verhindern können. Mit Atomraketen auf der Insel sah das schon anders aus. Dabei war es allerdings eine kühne, nachgerade abenteuerliche Idee zu glauben, dass die USA die Stationierung sowjetischer Atomraketen dort nicht entdecken würden. ( Die 80 Cruise Missiles mit Atomsprengköpfen haben sie allerdings nicht entdeckt!)<BR /><BR /><BR />Ende Mai 1962 wurde Fidel Castro der sowjetische Plan vorgelegt. Castro stimmte zu. Er ging davon aus, dass ein strategisches Gleichgewicht zwischen den USA und der Sowjetunion hergestellt und damit eine amerikanische Invasion seiner Insel verhindert würde.<BR />Die entscheidende Sitzung des Präsidiums der KPdSU fand dann am 10. Juni 1962 statt. Mit dabei Außenminister Gromyko, Verteidigungsminister Rodion Malinowski und Vertreter des Generalstabs. Malinowski erläuterte den Plan, den der Generalstab ausgearbeitet hatte. Es ging um eine gigantische Aufrüstung Kubas: 24 Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 1600 km, 16 Interkontinentalraketen mit einer Reichweite von 3200 Kilometern, jeweils bestückt mit einem atomaren Sprengkopf in der Stärke einer Megatonne TNT, das entsprach der Stärke von 66 Hiroshima-Bomben. Weitere 20 Raketen sollten in Reserve gehalten werden. Die 40 Raketen sollten aus der Ukraine und Weißrussland abgezogen werden. Nach ihrer Aufstellung würde sich die Zahl der sowjetischen Atomraketen, die die USA treffen könnten, verdoppeln. Außerdem sollten zwei Bataillone mit modernsten T-55 Panzer stationiert werden, eine Staffel der modernsten MiG-31 Kampfjäger, 42 schwere und 28 leichte Iljuschin-Bomber, zwei Marschflugkörper-Regimenter mit insgesamt 80 Marschflugkörper (Cruise Missiles) mit einer Reichweite von jeweils 60 Kilometern, bestückt mit atomaren Sprengköpfen in der Größe einer Hiroshima-Bombe. Diese Raketen machten nur Sinn im Falle einer amerikanischen Invasion. Auf der Insel sollte gleichzeitig eine Basis für Atom-U-Boote errichtet werden. Etwa 51.000 Soldaten waren dafür vorgesehen, davon 10.000 Kampftruppen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633677_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Ende Juli begann die sowjetische Operation „Anadyr“, so genannt nach einem Fluss an der Pazifikküste Sibiriens und einer dortigen Luftwaffenbasis, von wo aus sowjetische Bomber die USA erreichen konnten. Damit sollte offensichtlich bei ausländischen Beobachtern Verwirrung gestiftet werden mit Blick auf die anlaufenden Mili- tärtransporte. „Anadyr“ war das größte amphibische Unternehmen in der Geschichte der Sowjetunion und gleichzeitig die größte sowjetische Geheimoperation des Kalten Krieges. Der Plan sah vor, dass die Raketen am 1. November 1962 einsatzbereit sein würden – wenige Tage vor den Kongresswahlen in den USA. 85 Schiffe standen zur Verfügung, die in 6 Häfen von Sewastopol bis Murmansk beladen wurden. Alles unterlag strengster Geheimhaltung. Kapitäne und Mannschaften kannten bis zum Atlantik das Ziel noch nicht. Sie mussten Winterkleidung und Skier mit sich führen, um jeden verfrühten Eindruck zu vermeiden, es ginge in die Karibik. <BR /><BR />Die Schiffe selbst waren als Holzfrachter getarnt, die Raketenteile in den Laderäumen versteckt. Jeder Kapitän hatte einen Briefumschlag, der im Beisein eines hohen KGB-Offiziers auf hoher See geöffnet wurde. Es gab die Anweisung, dass bei einem Angriff Ausweichmanöver durchgeführt, alle Dokumente vernichtet und notfalls das Schiff versenkt werden sollte. Die Geheimhaltung nahm teilweise kuriose Formen an: So mussten sich die Besatzungsmitglieder Bärte wachsen lassen, um wie kubanische Guerillas auszusehen.<BR /><BR />Die USA führten damals regelmäßig Spionageflüge über Kuba durch, die Mitte September wegen schlechten Wetters unterbrochen worden waren. Erst am 14. Oktober war die Wetterlage so, dass wieder ein U-2-Spionageflugzeug starten konnte. Als die Aufnahmen am nächsten Tag entwickelt wurden, zeigten sie die im Bau befindlichen Raketenstellungen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633680_image" /></div> <BR /> Kennedy wurde am 16. Oktober um 9 Uhr informiert, um 11:50 Uhr fand bereits die erste Sitzung einer kleinen Gruppe hochrangiger Diplomaten und Militärs statt, um die Lage zu erörtern. Dieses Exekutivkomitee, bekannt als Excomm, tagte in den folgenden 2 Wochen nahezu ununterbrochen.<BR /><BR />Wir wissen inzwischen ziemlich genau, wie diese Beratungen abliefen. Unbemerkt von den Teilnehmern – möglicherweise mit Ausnahme seines Bruders Robert – hat Kennedy nämlich die Gespräche auf Tonband aufnehmen lassen. 1997 sind sie veröffentlicht worden. Sie machen die ganze Dramatik jener Tage deutlich. Sie zeigen auch die zwei Lager in dieser Beratungsrunde, die „Tauben“ und die „Falken“. Beide Gruppen waren sich in einem Punkt einig: Die Raketen mussten weg, so oder so, wie Kennedy in der ersten Excomm-Sitzung meinte. Die Militärs plädierten von Anfang an für eine militärische Lösung. Es war daher anfangs aber auch schon die Rede von einer Seeblockade. Die Frage war, wie die Sowjetunion darauf reagieren würde: mit Angriffen gegen die Raketen in der Türkei oder mit Gegenmaßnahmen in West-Berlin ( Blockade, Besetzung). Am Ende entschied sich Kennedy für die Quarantäne, die er in der bereits erwähnten Fernsehansprache am 22. Oktober bekannt gab. Drei Tage später stoppten zwar die sowjetischen Schiffe, aber für die USA war damit das Problem keinesfalls gelöst: An den Abschussrampen auf Kuba wurde nämlich mit Hochdruck weitergearbeitet, und auf amerikanischer Seite gingen die militärischen Vorbereitungen für eine Invasion Kubas weiter.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633683_image" /></div> <BR />Die Stabschefs wollten 12 Stunden nach einem entsprechenden Befehl des Präsidenten angreifen. Geplant waren 7 Tage lang massive Luftangriffe, 1091 allein am ersten Tag, um die Raketenbasen, das Luftabwehrsystem und sämtliche Flugplätze zu zerstören, aber ohne Garantie, dass beim ersten Luftangriff sämtliche Raketenbasen zerstört würden. Anschließend würde die Invasion mit 120.000 Soldaten durchgeführt. Flugzeuge und Truppen wurden für alle sichtbar in Florida zusammengezogen. Die Marine hatte in den Gewässern 3 Flugzeugträger, 2 schwere Kreuzer und 6 Zerstörer mit zahlreichen weiteren Versorgungsschiffen stationiert. Einige Kommandeure spielten dabei mit dem Gedanken, taktische Atomwaffen anzufordern. Bei den Militärs lief jedenfalls alles in Richtung militärische Lösung.<BR /><BR />Inzwischen wurde bei den „Tauben“ über ein Geschäft mit der Sowjetunion gesprochen, was Außenminister Rusk vorgeschlagen hatte: Abzug der Raketen aus Kuba, und als Gegenleistung keine Invasion und eventuell Abzug der Jupiterraketen aus der Türkei. Die Zusage zum Abzug dieser Raketen musste allerdings geheim bleiben, denn sie unterstanden der NATO, über die Kennedy ohne Zustimmung der NATO-Partner gar nicht entscheiden konnte.<BR /><BR /><b>2. Der „schwarze Samstag“ – und was die Amerikaner nicht wussten</b><BR /><BR />Der folgende Samstag, der 27. Oktober 1962, ist als der „schwarze Samstag“ in die Geschichte eingegangen und hätte in der Tat den schwärzesten Tag in der Geschichte der Menschheit einleiten können. Castro befürchtete eine amerikanische Invasion und drängte Chruschtschow am Morgen dieses Tages, einen Atomschlag gegen die USA zu führen. (Das hat er zwar später immer bestritten, ändert aber nichts an den Tatsachen: Sein entsprechender Brief liegt vor.) <BR />Dann ging es Schlag auf Schlag. <BR /><BR />Ein amerikanisches U-2-Spionageflugzeug wurde über Kuba abgeschossen und der Pilot getötet. Excomm vermutete, dass Moskau den Befehl dazu gegeben hatte (was nicht zutraf, die Amerikaner aber nicht wussten). Im Excomm fiel der Satz: <i>„Die Sowjets haben den ersten Schuss abgefeuert.“</i> Eine U-2 kam über Alaska vom Kurs ab und drang in den sowjetischen Luftraum ein. Die Sowjets mussten vermuten, dass dies ein letzter Spionageflug sein könnte, um die Ziele für den amerikanischen atomaren Erstschlags zu bestimmen. Mit Atomwaffen bestückte MiG- Abfangjäger stiegen auf, während US-Verteidigungsminister <b>McNamara</b> schrie: <i>„Dies bedeutet Krieg mit Russland.“</i> Und Kennedy meinte: <i>„Irgendein Idiot muss immer alles vermasseln.“</i><BR /><BR />Das Glück war auf Seiten des U-2-Piloten: Das Benzin ging zwar aus, aber er konnte in den amerikanischen Luftraum zurückgleiten; die MiG hatten ihn in 33 Kilometer Höhe nicht erreichen können. Was niemand im Excomm wusste: Gleichzeitig waren amerikanische, mit Atomwaffen bestückte Maschinen in Richtung U-2 aufgestiegen und deren Piloten hatten Befehlsgewalt, ihre Atomraketen abzufeuern. Nach dem Abschuss der U-2 auf Kuba am Samstag forderten die amerikanischen Stabschefs, am Sonntag oder Montag einen massiven Schlag gegen sämtliche sowjetischen Basen auf Kuba durchzuführen, falls die Raketen nicht vorher abgezogen würden. Kennedy widersprach nicht. Bei einem Nein drohte ein Absetzungsverfahren (impeachment). Am Montag würde der Angriff auf Kuba beginnen.<BR /><BR />Die ungeheure Spannung der Situation wurde in dem Gespräch deutlich, das Robert Kennedy im Auftrag seines Bruders am Abend des 27. mit dem sowjetischen Botschafter Dobrynin führte. Die Botschaft, die er überbrachte, war einfach: keine Raketen auf Kuba, dafür keine Invasion. Er machte aber auch deutlich, unter welch enormen Druck sein Bruder stand, denn, so der Justizminister: „<i>Es gibt viele unvernünftige Köpfe bei den Generälen, und nicht nur bei den Generälen, die auf einen Kampf brennen.“</i> Gleichzeitig teilte er die Bereitschaft Kennedys mit, die Raketenbasen in der Türkei abzubauen. Dies dürfe allerdings nicht öffentlich geschehen und nicht offiziell Teil der Vereinbarung sein; man benötige dafür vier bis 5 Monate: Die Zeit dränge, der Präsident brauche eine Antwort bis zum nächsten Morgen. Dies sei <i>„eine Bitte, und kein Ultimatum“.</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633686_image" /></div> <BR /><BR />Die Antwort kam am Sonntagmorgen auf Kurzwelle über Radio Moskau – die einzige Möglichkeit, um Washington noch rechtzeitig vor Beginn der in Moskau befürchteten Invasion über die sowjetische Entscheidung zu informieren. Man wusste, dass der Sender in Washington abgehört wurde. Chruschtschow ließ mitteilen, dass die sowjetische Regierung Anweisung erteilt habe, die Raketen auf Kuba zu demontieren, einzupacken und in die Sowjetunion zurückzubringen. In Washington gab es gleichzeitig Erleichterung und ungläubiges Staunen – und bei den Militärs Zweifel. Man habe einfach „schieres Glück“ gehabt, wie Verteidigungsminister McNamara später meinte. <BR /><BR />Castro erfuhr aus dem Radio von der sowjetischen Entscheidung, nannte das Verrat und Chruschtschow im selben Atemzug einen Bastard. Der aber ließ Castro mitteilen, dass dessen Forderung nach einem Atomschlag gegen die USA außerordentlich alarmierend gewesen sei, denn, <i>„Sie verstehen natürlich, wohin uns das geführt hätte. Es wäre nicht ein einfacher Angriff gewesen, sondern der Beginn eines atomaren Weltkrieges.“</i> Erst später begriff Castro den Zusammenhang. Die amerikanische Zusage hielt: Es gab keine Invasion mehr. Vom Abbau der Raketen in der Türkei erfuhr niemand etwas.<BR /><BR />Kennedy sah trotzdem in der Öffentlichkeit wie der strahlende Sieger aus, der mit Härte die Krise gemeistert hatte. Die Schlussfolgerung daraus – man muss nur hart gegen Kommunisten sein, dann wird man siegen – führte direkt in den Vietnamkrieg.<BR /><BR /><BR /><b>Die Kubakrise war die gefährlichste Krise des Kalten Krieges</b><BR /><BR />Die amerikanischen Militärs, die von Anfang an gewaltsam gegen Kuba vorgehen wollten und dafür vom Präsidenten am 27. Oktober, dem „schwarzen Samstag“, für den 29. Oktober grünes Licht bekommen hatten, wussten einiges nicht – und was wir auch erst 1992 bzw. 2008 wissen, Chruschtschow damals allerdings schon.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633689_image" /></div> <BR /><b>Die Amerikaner wussten nicht, dass:</b><BR />1. acht Raketen mit Sprengköpfen einsatzbereit waren, Sprengkraft: jeweils 1 Million TNT (das entsprach 66 Hiroshima-Bomben). Das war so viel Sprengkraft wie alle Bomben, die während des Zweiten Weltkrieges abgeworfen worden waren. 8 weitere Mittelstreckenraketen mit Atombomben standen in Reserve;<BR />2. 80 Marschflugkörper mit je einem Atomsprengkopf in Hiroshima-Stärke auf Kuba einsatzbereit waren;<BR />3. drei dieser Marschflugkörper für die Vernichtung der amerikanischen Marinebasis Guantanamo auf Kuba bereits in Stellung gebracht worden waren (vom Washington Post-Reporter Michael Dobbs 2008 herausgefunden);<BR />4. die 4 sowjetischen U-Boote, die sich Richtung Kuba bewegten und von US-Zerstörern verfolgt wurden, je einen Nukleartorpedo in Hiroshima-Stärke an Bord hatten. Als ein Zerstörer Wasserbomben auf B-59 warf, wusste man nicht, dass im U-Boot die Verbindung mit Moskau abbrach und der Kommandant den Torpedo zum Abschuss vorbereiten ließ, der dann nicht erfolgte ( von Offizieren an Bord <BR /> verhindert, wie sowjetische Teilnehmer auf einer Konferenz in Havanna 1992 betonten);<BR />5. bereits 42.000 sowjetische Soldaten – Kampftruppen – auf der Insel waren (die US-Militärs vermuteten 6-8000).<BR />6. Die Amerikaner vermuteten – richtig – dass die Sowjets bereits Atombomben nach Kuba gebracht hatten, aber sie wussten bis zum Schluss nicht einmal, wo sie gelagert wurden.<BR />7. Hinzu kam, dass sich die CIA bei der Reichweitenberechnung der sowjetischen Mittel- und Langstreckenraketen ( Grundlage der Beratungen in Washington) um mehrere hundert Kilometer verschätzt hatte. Seattle etwa wäre als einzige US-Großstadt bei der CIA-Berechnung nicht getroffen worden, tatsächlich wäre auch diese Stadt vernichtet worden.<BR /><BR /><b>Warum war die Kubakrise die gefährlichste Krise des Kalten Krieges?</b><BR /><BR />Gegen ausdrückliche Befehle aus Moskau war am „schwarzen Samstag“ die U-2 von den Sowjets abgeschossen worden. Als Chruschtschow die entsprechende Mitteilung erhielt, war er außer sich und befürchtete, dass bei einer amerikanischen Invasion auch entsprechende Befehle mit Blick auf die Atomwaffen nicht befolgt würden und zur Rettung der eigenen Truppe auf Kuba die Cruise Missiles eingesetzt würden. Das hätte zwangsläufig zum atomaren Gegenschlag der USA geführt– mit der Vernichtung der Sowjetunion. <BR /><BR />Die KGB-Station in Washington hatte am Samstag eine für Sonntag, 12 Uhr, angesetzte Pressekonferenz Kennedys gemeldet. Für Chruschtschow konnte das nur die Ankündigung der Invasion bedeuten. Er hielt Kennedy für zu schwach, um den Militärs in Washington widerstehen zu können. Er befürchtete ernsthaft einen Regimewechsel in Washington mit anschließendem Angriff auf Kuba. <BR /><BR />Das musste um beinahe jeden Preis verhindert werden, die Entscheidung Moskaus noch rechtzeitig Washington erreichen. Da es keine direkte Verbindung gab, ging die Meldung über Radio Moskau. Anders als lange Zeit vermutet wurde diese Entscheidung vom Politbüro ohne Kenntnis des Telegramms von Dobrynin über sein Gespräch mit Robert Kennedy getroffen. Als es eintraf und verlesen wurde, schien es lediglich die Richtigkeit der bereits getroffenen Entscheidung zu bestätigen.<BR /><BR />Die Kubakrise trieb die Welt an den Rand eines Atomkrieges, den weder Chruschtschow noch Kennedy wollten. Wäre es zur Invasion gekommen, hätte das mit Sicherheit zur finalen Katastrophe geführt.<BR />Eine Konsequenz aus der Konfrontation vom Oktober war im Sommer 1963 die Einrichtung des „heißen Drahtes“, eine direkte Fernschreibverbindung zwischen Weißem Haus und Kreml (die, wie wir heute wissen, zweimal von den Sowjets aktiviert wurde: 1967 im Sechstagekrieg und 1973 im Yom Kippur-Krieg) sowie das Abkommen über ein Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Insofern waren die 13 Tage im Oktober 1962 auch für die Supermächte ein heilsamer Schock, möglicherweise sogar der Katalysator für eine kurzzeitige Entspannungspolitik.<BR /><BR />Die Kubakrise war der letzte globale Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion. Heiße Kriege wurden von nun an auf Ersatzschauplätze verlegt. Das nannte man dann Stellvertreterkriege. Der Kreml zog eine weitere Lehre aus der Krise – nach dem Sturz Chruschtschows 1964: Wegen militärischer Unterlegenheit würde man nicht noch einmal nachgeben müssen. Moskau legte ein gigantisches Rüstungsprogramm auf, das zwar Mitte der siebziger Jahre zum Gleichgewicht des Schreckens führte, die Sowjetunion aber letztlich in allen Bereichen überforderte. Ihr Ende war damit vorprogrammiert.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="633692_image" /></div> <BR />Als Gegenleistung für den Abbau der sowjetischen Raketen auf Kuba hatte es die amerikanische Zusage gegeben: keine Invasion. Die sollte allerdings nicht für alle Zeiten gelten. <BR /> Als Castro 1975 60.000 Soldaten in den Bürgerkrieg nach Angola und Mosambik schickte, meinte US-Außenminister <b>Henry Kissinger:</b><i>„Wir können nicht dulden, dass eine kubanische Armee quer durch Afrika marschiert.“</i> Und zu Präsident <b>Gerald Ford</b> im Beisein von Verteidigungsminister D<b>onald Rumsfeld:</b><i>„Ich denke, wir müssen Castro erledigen.“</i> Ford stimmte zu. („I agree.“) Entsprechende Invasionspläne wurden dann allerdings durch den Wahlsieg von <b>Jimmy Carter</b> gestoppt.<BR />Kuba blieb für die USA das, was der Sprecher des außenpolitischen Senatsausschusses, <b>J. William Fulbright,</b> 1961 zu Kennedy gesagt hatte: „<i>Ein Stachel im Fleisch, aber kein Dolch im Herzen“.</i> Versuche der CIA, Castro zu töten, scheiterten allerdings. Mit 90 Jahren starb er 2016 eines natürlichen Todes.<BR /><BR /><BR /><b>Hörtipp:</b><BR />Rolf Steininger auf Ö1: Betrifft Geschichte: Die Kubakrise, 5 Folgen; abrufbar auf der <a href="https://www.rolfsteininger.at/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Webseite </a> des O. Univ.-Prof. Dr. Rolf Steininger (unter Hörfunk- und Fernseharbeit). Er war von 1984 bis zu seiner Emeritierung 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.<BR /><BR /><BR />