Die Südtiroler Bevölkerung deutscher und ladinischer Muttersprache, aber auch im Trentino ansässige deutsche Minderheiten (Lusern und Fersental) sowie die deutschsprachigen Kanaltaler im Friaul wurden vor die dramatische Wahl gestellt, im faschistischen Italien zu bleiben oder aber die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und ins Dritte Reich abzuwandern. Der Kulturverein La Fabbrica del Tempo – Die Zeitfabrik beschäftigt sich seit langem mit diesem Thema: Vor acht Jahren wurde ein erstes Buch dazu veröffentlicht. Nun will ein neues Buch, „Le Opzioni rilette – Die mitgelesenen Briefe”, weiteren Stimmen Gehör verschaffen. Herausgegeben wird das zweisprachige Buch von Tiziano Rosani, dem Präsidenten der Fabbrica del Tempo, in Zusammenarbeit mit Ulrike Kindl, Germanistin an der Universität Cà Foscari in Venedig, dem Journalisten Patrick Rina, dem Historiker Fabrizio Miori und der Politikwissenschaftlerin Patrizia Volgger.Übersetzte BriefeDas Herzstück des Buches bilden Briefe von Südtirolern aus der Zeit zwischen 1939 und 1943. Die Briefe wurden von der faschistischen Zensur abgefangen und ins Italienische übersetzt. Da die Originale verschollen sind, gibt es nur mehr die italienischen Transkripte, die sich im Staatsarchiv in Rom befinden. Ulrike Kindl, Germanistin an der Universität Venedig, hat besagte Briefe behutsam ins Deutsche rückübersetzt und historisch kommentiert.Der Band nimmt außerdem besondere Bereiche der Option unter die Lupe, u.a. den ladinischen Sprachraum, analysiert, wie die geistliche Welt zur Option stand oder wie sich das Drama auf die Frauen auswirkte. Auch das Schicksal der Menschen, die „zweifach optierten” und nach dem Krieg zurückkehrten, kommt zur Sprache.Zoderer zur OptionVierzehn Beiträge von Historikern und eine Auswahl unveröffentlichter „Briefe aus der Option” sind in diesem Buch zu lesen. Die Frage, die sich dazu stellt, erhebt Südtirols derzeit bedeutendster Autor, Joseph Zoderer, der bejahend antwortet: Man kann aus der Option lernen. „Die Option hat mich gelehrt, mehrere Heimaten dankbar in meiner Identität und in meiner Erinnerung zu tragen.“Messner zur OptionEin weiteres Aushängeschild Südtirols, Reinhold Messner, verteidigte die Personen, die die Option verweigert hatten und nicht selten durch ihre Landsleute diffamiert wurden. Laut Messner brachte diese „Liebe zum Vaterland“ Licht und Schatten mit sich. Auch dieser Aspekt wird durch bisher unveröffentlichte Auszüge aus Briefen von „Dableibern“ aufgezeigt.Die Aufarbeitung des Optionsdramas hat lange Zeit in Anspruch genommen und es wird noch weitere Jahrzehnte brauchen, um die Auswirkungen dieser größten Zerreißprobe, vor die Südtirols Gesellschaft je gestellt wurde, tatsächlich zu überwinden.Die Kapitel sind in deutscher oder italienischer Sprache verfasst, am Ende jedes Kapitels fasst ein Kurztext den Inhalt in der jeweils anderen Sprache zusammen. Ein Essay von Hans Heiss eröffnet den Reigen der Beiträge und beschreibt die Option als Epochenzäsur des 20. Jahrhunderts. Gustavo Corni analysiert die Option im Kontext des Nazi-Krieges, während sich Carlo Romeo damit auseinandersetzt, wie die Option nach 1945 von den italienischsprachigen Südtirolern wahrgenommen wurde.Die ladinische BevölkerungDas Erlebte aus der Sicht der ladinischen Bevölkerung wird von Werner Pescosta untersucht. Diese Perspektive wird durch den Essay von Helmut Alexander „Out of Südtirol: Option und Umsiedlung im Fersental, in Lusern und im Kanaltal” erweitert. Josef Gelmi schreibt über das Verhältnis der Südtiroler Kirche zur Option, Martha Verdorfer rekonstruiert, wie sich Frauen mit diesem heiklen Kapitel auseinandersetzten, Alessandra Zendron wiederum beschäftigt sich damit, wie die italienischsprachigen Unterlandler die Option erlebten.Die RückoptantenDie Beweggründe für die Rückkehr vieler Optanten werden von Stefan Lechner eingehend untersucht. Christoph Franceschini beschreibt in „Die Zeit des Maulkorbs“ die Feindseligkeit gegenüber denjenigen, die die Optionsnarbe in den 1980er-Jahren aufkratzten. Günther Pallaver untersucht in seinem Beitrag das politisch-gesellschaftliche Erbe der Option. Es folgen wichtige Aussagen von bekannten Zeitzeugen: Der Schriftsteller Joseph Zoderer und der Dachau-Überlebende Franz Thaler haben mit dem ORF-Journalisten Patrick Rina über ihre Erinnerungen an die Option gesprochen. Die Familie Zoderer optierte für das Reich und der erst 4-jährige Joseph wurde somit in eine für ihn völlig fremde Welt katapultiert. Nur die Zeit und vertiefte Studien brachten ihn dazu, die Option zu verstehen.Franz Thaler, Sohn von Dableibern aus dem Sarntal, teilte die Entscheidung seiner Familie und war deswegen Einschüchterungen ausgesetzt. Später kam er ins KZ Dachau. Der Essay über Zoderer dreht sich um das Thema „Die Gnade der späten Erkenntnis“, jener über Thaler ist eine „Anleitung zum eigenständigen Denken“.Nun wendet sich das Buch dem damaligen Schriftverkehr und der faschistischen Zensur zu. Fabrizio Miori zeigt auf, welches Ausmaß die „Post-Inspektion” in Südtirol in den Jahren 1939-1943 erreichte, während Ulrike Kindl auf die in Südtirol zensurierten Briefe selbst eingeht, ihren Inhalt, ihre Kontrolle und die Problematik der Rückübersetzung.Es folgen Dutzende von Briefen in italienischer und deutscher Sprache. Eine Sammlung von Briefen, geschrieben von Optanten und Dableibern, von Männern und Frauen, aus den verschiedensten sozialen Schichten, die der Zensur unterlagen.TerminDer Kulturverein LA FABBRICA DEL TEMPO - DIE ZEITFABRIK präsentiert in Zusammenarbeit mit Urania Meran das Buch"LE OPZIONI RILETTE - DIE MITGELESENEN BRIEFE"Dienstag, 25.3., 20.30 UhrUrania Meran, Ortweinstr. 6Ehrengast: Joseph Zoderer