Die Lyrikerin, Erzählerin, Dramatikerin, Übersetzerin und Wissenschaftlerin Rut Bernardi aus St. Ulrich wurde am 21. Februar, am UNESCO-Tag der Muttersprache, der den Minderheitensprachen gewidmet war, mit dem römischen Preis „Premio Internazionale Tacita Muta per le minoranze linguistiche“ ausgezeichnet.<BR /><BR /><BR /><BR /><i>Von Eva Bernhard</i><BR /><BR /><BR /><b>Minderheitensprache in der Literatur ist seit immer Thema Ihrer Forschungen und Ihrer Arbeit. Nun haben Sie den „Premio Internazionale Tacita Muta per le minoranze linguistiche“ in Rom erhalten, was bedeutet dieser Preis für Sie?</b><BR />Rut Bernardi: Dieser Preis war vor allem eine große Überraschung und Freude. Es wird damit die ladinische Sprache und Literatur prämiert, und ich sehe mich als ihre Stellvertreterin. Gleichzeitig passt die Nymphe Tacita Muta auch sehr gut in den Rahmen meiner Literatur, denn ich habe tatsächlich Prosa verfasst, die das Thema der Sprachlosigkeit (Briefe ins Nichts, 2003) oder der Unsichtbarkeit (Vites scutedes via – Totgeschwiegene Leben, deutsch Ed. Raetia in Frühjahr 2021) behandelt.<BR /><BR /><BR /><b>Und was versprechen Sie sich nun von diesem Preis, bzw. braucht es Preise, um wahrgenommen zu werden?</b><BR />Bernardi: Ja, es sieht tatsächlich so aus, dass es Preise braucht, um sichtbar zu werden, wenn man Literatur in Geheimschrift (Zitat des niederländischen Autors Cees Nooteboom) schreibt. Die ladinische Literatur wird außerhalb Ladiniens so gut wie nicht wahrgenommen werden, solange es so wenige professionelle Übersetzungen in andere so genannte „große“ Sprachen gibt.<BR /><BR /><BR /><b>Für eine Autorin ist die Auseinandersetzung mit Sprache die Essenz ihrer Arbeit. Inwiefern unterscheidet sich Ihre Auseinandersetzung mit einer Minderheitensprache?</b><BR />Bernardi: Die einfache Tatsache, dass ich mir das Schreiben in meiner Muttersprache selbst beibringen musste. Die Kenntnisse aus der Schule sind zu gering, um Literatur auf Ladinisch schreiben zu können. Es hat jahrelange Übung und Praxis gebraucht, bis ich im Schreiben relativ sicher war. Weiters werde ich bei Lesungen oft auf das Ladinische angesprochen, zumal meine Kollegen nie gefragt werden, wieso sie auf Deutsch oder in ihrer Muttersprache schreiben.<BR /><BR /><BR /><b>Muss man immer noch, wenn man vom Ladinischen spricht, von Minderheitenliteratur sprechen, ist das nicht eine Wertung, die obsolet ist?</b><BR />Bernardi: Ich spreche immer lieber von einer weniger verbreiteten Sprache oder Literatur, denn das Ladinische hat nichts mit dem Adjektiv „minder“ zu tun, es gibt nur weniger Sprecher und eine kleinere Zahl an literarischen Werken.<BR /><BR /><BR /><b>Im Vorwort zum 4. Band der Reihe „Minorities not Minority: A Window on Italian Cultures“ wurde die ladinische Dichtung mit einer seltenen Alpenblume verglichen, wie würden Sie das erklären?</b><BR />Bernardi: Für mich ist die zeitgenössische ladinische Dichtung keine seltene Alpenblume mehr. Das war sie vielleicht in der Vergangenheit, doch heute können etliche Werke der ladinischen Literatur mit dem gesamteuropäischen Literaturbetrieb mithalten. In den letzten 20 Jahren wurden Werke verfasst, die es verdienen würden, durch eine professionelle Übersetzung bekannt zu werden.<BR /><BR /><BR /><b>Welchen Stellenwert hat, Ihrer Meinung nach, das Ladinische im Kontext internationaler Minderheitenliteratur?</b><BR />Bernardi: Leider einen sehr kleinen, denn sie kann quantitativ nie mit größeren Minderheiten, wie z.B. der friaulischen oder anderen, konkurrieren. Ich würde mir wünschen, dass die ladinische Literatur von den offiziellen Kultureinrichtungen mehr unterstützt würde. Was für die ladinische Literatur gemacht wird, passiert so gut wie vollständig auf unentgeltlicher Basis. Diesbezüglich setze ich große Hoffnungen in das ZeLT – Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung – ein ambitioniertes Projekt der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung SAAV, das in Brixen in der neuen Stadtbibliothek im Sommer 2021 ihren Sitz bekommen soll. <BR /><BR /><BR /><b>Inwiefern werden Autoren, die Ladinisch schreiben, überhaupt wahrgenommen?</b><BR />Bernardi: Ladinische Autorinnen und Autoren werden in Ladinien, speziell im eigenen Tal, sehr wohl wahrgenommen. Zu öffentlichen Lesungen werden sie aber eher außerhalb Ladiniens eingeladen, wobei wiederum Übersetzungen oder Erklärungen vonnöten sind. Lesungen in den ladinischen Tälern sind leider eine Seltenheit.<BR /><BR /><BR /><b>Und was bedeutet Sprache grundsätzlich für Sie?</b><BR />Bernardi: Für mich als Autorin ist Sprache das Haus meines Seins. Generell scheint die alte Losung „Die Sprache als Haus des Seins“ von Martin Heidegger ein gemeinsamer Nenner von Autoren zu sein. Sprache abseits der Kommunikation, Sprache als „erhöhendes“ Mittel, Sprache als „Kunst“. Sie ist das Material, mit dem ich meine Kunst kreiere, so wie für die bildenden Künstler aus Gröden das Holz.<BR /><BR /><BR /><b>Der Preis</b><BR /><BR />Die Jury des „Premio Internazionale Tacita Muta per le minoranze linguistiche“ mit Neria De Giovanni (Präsidentin), Pierfranco Bruni, Eva Eckkrammer, Antonio Maria Masia, Valentina Piredda hat am 21. Februar zum 4. Mal den Preis vergeben. Bei der heurigen Ausgabe wurde das Augenmerk auf die Literatur der ladinischen Minderheiten gelegt. Den Preis haben bereits erhalten: Professorin Eva Eckkrammer für die Minderheitensprachen in der Karibik, Piero Marras für die sardische Sprache und Silvia Piacentini e Caterina Fiorentini für das Friaulische. Der Preis wurde von Neria De Giovanni, der Präsidentin der „Associazione Internazionale dei Critici letterari“ in Zusammenarbeit mit Valentina Piredda „Associazione Fondo VP Sardinia“ und Antonio Maria Masia, Prädsident von „Associazione del Gremio dei sardi di Roma“ ins Leben gerufen. <BR /><BR /><BR /><b>Online-Termin</b><BR /><BR /><b>26. 2., 20 Uhr:</b> Lesung und Werkstattgespräch im Literaturhaus Liechtenstein – Rut Bernardi---> LITERATURKANAL, Gedichte bzw. Sprachspiele (ladinisch/deutsch), <BR />Moderation: Hansjörg Quaderer