Eine Welt, die nur von Männern regiert wird, kann nicht funktionieren. In ihrem Pamphlet mit dem Titel „Basta! Il potere delle donne contro la politica del testosterone“ (Schluss! Die Macht der Frauen gegen die Politik des Testosterons) widmet sich die Südtiroler Journalistin und Autorin Lilli Gruber dem Thema der Chancengleichheit in Politik und Gesellschaft. <BR /><BR /><BR /><b>Nach Ihrer Trilogie über Ihre Südtiroler Familie in den Wirren der Geschichte des letzten Jahrhunderts widmen Sie sich in Ihrem Buch „Basta!“ dem Thema Chancengleichheit. Was war der Auslöser?</b><BR />Lilli Gruber: In all meinen Büchern beleuchte ich die Situation der Frau, denken wir nur an <b>„Figlie dell'Islam“</b> (Töchter des Islam) über die Frauen in der islamischen Welt, oder <b>„Streghe“</b> (Hexen), ein Buch über die weiblichen Herausforderungen, für die ich Recherchen und Interviews in ganz Europa gemacht habe. Dieser neue Band ist eine weitere Etappe auf einem Weg, den ich schon vor Jahren eingeschlagen habe. Ich habe mich jetzt entschlossen, dieses Buch zu schreiben, weil die Vulgarität der politischen Slogans, Machismus und die Gewalt in unserem Zusammenleben nicht mehr erträglich sind. Wir beobachten überbordenden Machismus auf der ganzen Welt. Das, was ich als „Internationale des Testosterons“ bezeichne, dominiert überall: Putin, Trump, Xi Jinping, Erdogan und andere. Es betrifft leider auch Italien. Das Resultat ist, dass unsere Demokratien leiden. <BR /><BR /><BR /><b>Was kann man für mehr Ausgewogenheit in der Politik unternehmen?</b><BR />Gruber: Zu allererst muss man für ausgewogenere Zahlen an den Machthebeln sorgen. 50 Prozent der Führungsposten sollten Frauen übernehmen. <BR /><BR /><BR /><b>Betrachten Sie sich als Feministin?</b><BR />Gruber: Ich bin mit einem Zitat der Autorin Oriana Fallaci aus ihrem Buch mit dem provokanten Titel „Il sesso inutile“ (Das nutzlose Geschlecht) einverstanden. Fallaci sagt: „Man kann keine Revolution ohne Frauen machen.“<BR /><BR /><BR /><b>Wie sehen Sie die Lage der Frauen in Italien? Ist ihnen der Zugang zu Schlüsselpositionen versperrt? Schließlich gab es bisher weder eine Premierministerin noch eine Staatspräsidentin...</b><BR />Gruber: Der Weg, den Frauen in Italien noch zu gehen haben, ist lang. Im Kabinett machen Ministerinnen lediglich 33 Prozent (Stand: 9.11.2019) aller Regierungsmitglieder aus. Italienerinnen widmen unbezahlter Arbeit viel mehr Zeit als es Männer tun. Sie werden im Durchschnitt für dieselbe Tätigkeit 16 Prozent weniger als Männer bezahlt. Nur mit mehr Frauen an der Macht kann man Gerechtigkeit garantieren. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-51052272_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Gibt es auch Signale des Wandels bei den jüngeren Generationen?</b><BR />Gruber: Ich sehe sehr kämpferische junge Frauen in Italien und in Europa. Wenn man die Universität betrachtet: Laut den jüngsten Angaben schaffen mehr Studentinnen ihr Studium innerhalb der vorgesehenen Zeit und mit höheren Noten als Männer. Sie lernen auch mehr. Zu wenige Frauen schreiben sich jedoch in traditionsgemäß als „männlich“ betrachtete Fakultäten ein. Bei der Arbeit haben sie größere Probleme, Karriere zu machen und werden durchschnittlich weniger bezahlt. Fazit: Persönliche Anstrengung genügt nicht. Junge Frauen müssen ermutigt und gefördert werden. Das müssen ältere Frauen tun, denn Macht heißt, angeseilt aufzusteigen und nicht allein zu laufen. <BR /><BR /><BR /><b>Sie haben in Ihrer Trilogie starke Frauenfiguren beschrieben. Wie sehen Sie die Lage der Frauen in Südtirol?</b><BR />Gruber: Südtirol ist konservativ und traditionell, im Positiven wie im Negativen. Im Landtag sitzen nur 9 Frauen von 35 Mitgliedern. Es gibt noch viel Machismus, doch viele Frauen, auch jene älterer Generationen, begreifen, dass eine ausgewogenere und gerechtere Welt für alle eine bessere Welt sein wird. Meine 92-jährige Mutter Herlinde ermutigt vor allem junge Frauen, nicht nachzugeben, zu fordern, was ihnen zusteht, und sich nicht einschüchtern zu lassen. <BR /><BR /><BR /><b>Haben Frauen aus kulturellen Gründen Schwierigkeiten, sich im Beruf zu behaupten? Ist das auch in Ihrem Beruf der Fall?</b><BR />Gruber: Im Buch erzähle ich Anekdoten aus meinem beruflichen Leben, in dem ich mit Sexismus am Arbeitsplatz konfrontiert war. Ich denke, es ist wichtig, darüber zu sprechen, gravierende Diskriminierungsfälle anzuzeigen und zusammen Stereotypen zu bekämpfen. <BR /><BR /><BR /><b>Was sollen junge Frauen heute tun, um mehr Spitzenpositionen zu erlangen?</b><BR />Gruber: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Welt den Frauen gehört und dass sie die Macht erobern können. Sie müssen aber lernen, „Nein“ zu sagen, wenn man sie unterordnen und weniger bezahlen will. Sie müssen untereinander und auch mit älteren Frauen netzwerken. <BR /><BR /><BR /><b>Ex-Premier Matteo Renzi hat für seine neu gegründete Partei „Italia Viva“ ein System vorgeschlagen, in dem 50 Prozent aller Spitzenpositionen Frauen anvertraut werden sollen. Was halten Sie davon?</b><BR />Gruber: Die Regierung von Matteo Renzi war bisher die einzige, in der die Hälfte der Mitglieder Frauen waren. Ich hoffe, dass sein Plan, die Hälfte aller sicheren Plätze in der Wahlliste Frauen zu garantieren, nicht nur ein Wahlversprechen ist, sondern für andere Parteien zum Ansporn wird. Vor allem die zerstrittenen Mitte-links-Parteien, die um ihre Glaubwürdigkeit ringen, können es sich nicht leisten, ihre weiblichen Ressourcen nicht zu nutzen. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-51052273_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Und was denken Sie von der rosa Quote in der Politik und in der Wirtschaft?</b><BR />Gruber: Früher war ich dagegen. Ich dachte, Frauen sind doch keine vom Aussterben bedrohten Pandas, die es zu schützen gilt. Ich dachte, wer sich engagiert und Resultate aufweist, wird Karriere machen. Viele Frauen betrachten die rosa Quote als Beleidigung und als eine Art von Diskriminierung. Inzwischen bin ich anderer Meinung, weil rosa Quoten funktionieren. Seitdem 2011 in Italien die Pflicht für börsennotierte Gesellschaften eingeführt wurde, Frauen 30 Prozent der Plätze in den Aufsichtsräten zu garantieren, hat Italien einen unglaublichen Sprung nach vorn gemacht. Wir sind das zweite Land weltweit, was Präsenz von Frauen in den Aufsichtsräten betrifft. Wir leben nicht in einer perfekten Welt, man muss Frauen Gerechtigkeit garantieren. Wenn Frauen einmal 50 Prozent der Führungsplätze besetzen, werden rosa Quoten nicht mehr notwendig sein. <BR /><BR /><BR /><b>Frauen in Spitzenpositionen sind oft Opfer von Hetzkampagnen in sozialen Netzwerken. Wie sehen Sie das?</b><BR />Gruber: 18 Frauen im britischen Parlament haben angekündigt, dass sie bei den nächsten Parlamentswahlen nicht mehr kandidieren werden. Sie ertragen die Hassbotschaften in den sozialen Netzwerken und außerhalb nicht mehr sowie die Morddrohungen gegen sie und ihre Familien. Frauen in der Öffentlichkeit sind laut Studien häufiger Opfer dieser Art von Gewalt als Männer. Dies bezeugt, dass die weibliche Macht Angst einflößt. Frauen dürfen sich aber nicht aus dem politischen Leben zurückziehen. Dagegen sollten sich jene Politiker zurückziehen, die Hass und Gewalt aus eigenem Interesse schüren. <BR /><BR /><BR /><b>Frauenmorde erschüttern fast täglich die italienische Öffentlichkeit. Wird zu wenig zur Vorbeugung getan?</b><BR />Gruber: Frauenmorde sind nicht nur ein italienisches, sondern ein globales Problem. Weltweit erlebt jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens physische oder sexuelle Gewalt. Das sind eine Milliarde Personen auf dem Planeten, eine erschreckende Zahl! Toleranz Null gegen diese Verbrechen und die Gewissheit der Strafe sind von wesentlicher Bedeutung. Doch die effizienteste Form von Vorbeugung ist, dass Frauen stärker, unabhängiger werden und in der Lage sind, ihre politischen und sozialen Beschlüsse zu bestimmen. <BR /><BR /><BR /><b>Was haben Sie aus Ihrer Erfahrung im EU-Parlament in Sachen Frauen gelernt?</b><BR />Gruber: Im EU-Parlament habe ich mit vielen interessanten Frauen zusammengearbeitet. Mit Kolleginnen aus verschiedenen Ländern haben wir Netzwerke aufgebaut, und ich habe wahren Teamgeist erlebt. Die EU ist das erfolgreichste demokratische Experiment im Westen und ist frauenfreundlich. Sie unterstützt Förderungsprojekte, Kampagnen gegen die Gewalt und für die Aufwertung weiblicher Ressourcen. <BR /><BR /><BR /><b>Sie sind seit 2000 mit dem französischen Journalisten Jacques Charmelot verheiratet. Unterstützt er Ihre Karriere?</b><BR />Gruber: Im Buch schreibe ich, dass Jacques ein wahrer Feminist ist. Er ist davon überzeugt, dass Chancengleichheit für Frauen in Spitzenpositionen von wesentlicher Bedeutung ist. Männer, die auf gleicher Ebene mit Frauen umgehen können, sind einfach stärker!<BR /><BR /><BR />Das Interview wurde beim erscheinen des Buches im November 2019 geführt.<BR /><BR /><b>Vita</b><BR /><BR />Die Journalistin und Autorin Lilli Gruber ist in Verona und Bozen aufgewachsen. Erste journalistische Erfahrungen sammelte sie bei „Telebolzano“ und als freie Mitarbeiterin bei den Tageszeitungen „L'Adige“ und „Alto Adige“. Später arbeitete sie bei RAI Südtirol und schaffte 1983/84 den Sprung ins regionale Tg3 und ins nationale Fernsehen. 1987 war sie erste Primetime-Nachrichtenmoderatorin beim Tg2 und Tg1.1995 moderierte sie Focus TV bei Pro Sieben. Für Tg 1 berichtete sie vom Fall der Berliner Mauer, dem Golfkrieg und dem Irak-Krieg. 2004 kandidierte sie für das EU-Parlament für „Uniti nell'Ulivo“. Seit 2008 moderiert sie „Otto e mezzo“ bei „La 7“. Sie hat auch eine Trilogie über ihre Familie geschrieben.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="696824_image" /></div> <Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><BR /><b>Buchtipp:</b> Lilli Gruber, „Il potere delle donne contro la politica del testosterone. BASTA!, Verlag Solferino, 2019, 202 Seiten <BR />Bestellen: <a href="https://www.athesiabuch.it/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a><BR /><BR /> <a href="https://www.stol.it/artikel/kultur/literatur/journalisten-muessen-in-die-welt-hinausgehen" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">In „La guerra dentro“ erzählt Lilli Gruber über das abenteuerliche Leben der Kriegsreporterin und Hemingway-Ehefrau Martha Gellhorn.</a><BR /><BR /><BR />