Der Filmemacher und Semiologe Pier Paolo Pasolini hat in seinen „Ketzererfahrungen“ (1972) nicht nur die Sprache des Films, sondern auch die Sprache der Wirklichkeit untersucht.<BR /><BR /><BR /> Fußball ist Wirklichkeit, die für Pier Paolo Pasolini (PPP) nach der Literatur und dem Eros zu seinen größten Vergnügungen gehört. Schon ein Jahr vor den „Ketzererfahrungen“ hat er in der Zeitung „Il Giorno“ den Artikel „Il calcio é un linguaggio con i suoi poeti e prosatori“ geschrieben.<BR /><BR /> Ein gewisser Patrick Küppers denkt in einem wunderbaren Fußballbuch mit dem Titel „Fußball, ich habe einen Traum“ (2014) mittels den Erkenntnissen von Wissenschaftlern über Poesie, Mythologie und ästhetische Freiheit im schönen Spiel nach. <BR /><BR />Im Kapitel „Pasolini und die Poesie im Fußball“ analysiert er oben genannten Artikel des italienischen Schriftstellers und Filmemachers, der selbst gerne Fußball spielte. PPP vergleicht die kleinste Einheit des Fußballspiels mit der kleinsten Einheit der geschriebenen und gesprochenen Sprache dem phonem und nennt diese „podema“ (fußem), was er dem Griechischen entlehnt, wo pódi Fuß heißt, aber erst durch das Bewegen des Balls zwischen den Spielern entsteht das Satz- und Bedeutungsgefüge, welches nach Pasolini entweder prosaische oder poetische Züge aufweist. <BR /><BR /><b>Vergleichbar mit Prosa</b><BR /><BR />Das Prosaische ist für ihn das genaue Spiel vergleichbar mit reiner Prosa, die langweilig ist, weil sie keine Überraschungen bietet. Es fehlt ihm die Pointe und die ist bekanntlich beim Fußball das Tor. „Der Fußball, bei dem mehr Tore zum Ausdruck kommen ist der poetischere......Der Torschützenkönig einer Meisterschaft ist immer der beste Dichter des Jahres.“ Dies geschrieben von PPP unter dem Eindruck der Fußball Weltmeisterschaft 1970 in Mexico, bei der Gerd Müller 10 Tore schoss (ein Dichter) also mehr als 10 Prozent der insgesamt 95 Tore.<BR /><BR /> Ja, wenn man sich das Spiel heute ansieht, da hat sich was geändert in der Spielanlage. Der Experte sagt, die Spielräume sind enger geworden, also ist weniger Platz für Spielereien, die schön fürs Auge sind und für monströse Dribbeleien und so wie Müller sich in Tornähe platzierte, das gibt es auch nicht mehr. <BR /><BR />Sind früher Tore aus dem Spielverlauf entstanden, sind heute Eckbälle und Freistöße, sogenannte Standardsituationen, gefährlicher. Küppers denkt darüber nach, was Pasolinis Überlegungen für heute bedeuten? Ist der Fußball nicht mehr so schön wie früher oder ist durch Perfektion und durch Trainingswissenschaft jene Poesie verloren gegangen, die Pasolini gemeint hat. <BR /><BR /><b>Überraschungen liefern</b><BR /><BR />1970 war noch die Zeit, da spielten Engländer gegen Deutsche und Brasilianer gegen Italiener, da gab’s noch nationale Stilelemente am Rasen. Heute spielen die Brasilianer einen ähnlichen Fußball wie europäische Mannschaften. Der Unterschied der modernen Taktik besteht vielleicht darin, dass es am Ende einer Meisterschaft mehr Torschützen gibt als zu Pasolinis Zeiten, weil Durchschnittsspieler Ausnahmekönner neutralisieren können. <BR /><BR />Durch die Beschäftigung mit dem Fußball kann man viel darüber erfahren, wie es um uns Menschen steht. Ganz ähnlich der Sprache versteht Küppers wie Pasolini „den Fußball als ein System von Zeichen, durch das Aussagen getroffen werden, die von anderen verstanden werden können und wenn der Fußball also eine Sprache ist, dann kann diese Sprache auch poetisch sein.“ <BR /><BR />Warum tun sich bei Filmfestivals Regisseure zusammen, um Fußball zu spielen? Das einfache Regelwerk auszutricksen, um Überraschungen zu liefern, wie im Kino gehört sicherlich zu den Beweggründen. Einer der besten war der Brunecker Filmproduzent Baumi, dessen Filme ich bewundere und dessen Dribbling ich fantastisch fand. <BR /><BR /><b>Von Torstange erschlagen</b><BR /><BR />Pasolini wurde auf dem kleinen Fußballplatz am Idroscalo in Ostia mit der Torstange 1975 erschlagen. Er hat früher genau dort mit den jungen Lumpen gespielt in deren Club, den er FC Chaos nannte. So erzählt Ugo Riccarelli in „He Papi“. Wenn’s nicht ganz wahr ist, ist’s gut erfunden, was 1954 geschehen sei. <BR /><BR />Wie viele Messis, Ronaldos, Modrics laufen heute durch die Slums dieser Welt und schreiben die Poesie des Fußballs in den Alltag. Ich hab auch ein T-shirt von Lewandowski in Rom erstanden. Am Wochenende spielt wieder der FC Prosa gegen den FC Poesie. Schau’n wer frei nach Pasolini der bessere Dichter sein wird. „Doch nur genau als nichts passiert.“ Ergibt keinen Sinn. Zurück zum Anfang.<BR /><BR /><b>Buchtipps:<BR />Fußball, ich habe einen Traum (Patrick Küppers)<BR />Fausto Coppis Engel (Ugo Riccardelli)<BR />Beide im gut sortierten Buchhandel (www.athesiabuch.it).</b><BR /><BR />