Nach Barbara Köhler zeichnete die ASH Berlin die Künstler und Künstlerinnen Christoph Szalay (2019), Lioba Happel (2021) und Maxi Obexer (2023) mit dem Alice Salomon Poetik Preis aus. Ein Gespräch mit der Autorin...<BR /><BR /><BR /><i>sie alle hier, wir<BR />können es sein, bedroht<BR />betroffen, berufen, sogleich<BR />zu anderen werden, allein<BR /> wie sich finden<BR />und nicht vergessen<BR />dass wir liebende sind <BR /><BR /><BR />wo ist das außen, wenn wir es suchen<BR />wer ist das außen, wenn wir es lieben</i><BR /><BR />Von Maxi Obexer<BR /><BR /><BR /><b>Sie selbst haben erklärt, es sei ergreifend, Ihren Text auf einer solch großen Fassade zu sehen. Graffitis an Fassaden gehören beinahe schon zum äußeren Erscheinungsbild einer nackten Mauer. Ein Gedicht allerdings überrascht. Haben Sie schon Rückmeldungen erhalten?</b><BR />Maxi Obexer: Ja, es melden sich Leute und bedanken sich; manche schreiben mir persönlich, andere schicken eine Notiz an die Alice-Salomon-Hochschule.<BR />Sie sind berührt, ergriffen, freuen sich, dass der Text sie – wie in einem Filmriss, aus dem Alltag führt, auf andere Gedanken bringt, den ewig gleichen Meinungsbildern etwas anderes entgegensetzt. Öffnet – indem er simple Fragen stellt wie: Wo ist das Außen, wenn wir es suchen? Wer ist das Außen, wenn wir es lieben?<BR /><BR /><BR /><b>Sie haben das Gedicht für diesen spezifischen Ort geschrieben. Was war Ihr Anliegen?</b><BR />Obexer: Die internationale Ausrichtung der Hochschule, auch die ungewöhnliche Vielfalt der Studien, in der Menschenrechte, Soziale Arbeit, Kreatives Schreiben und vieles mehr studiert werden kann, bringt eine ziemlich große Schnittmenge an sehr wachen und kritischen Studierenden zusammen. Die gewaltigen Konflikte unserer gegenwärtigen Zeit landen hier, mit ihren Zerreißproben. <BR />Ich wollte diesen Geist aufnehmen, es sind alles Leute, die Verantwortung übernehmen, <BR />und zugleich gegen die Lager- und Grabenbildung, die unser Denken einschränkt und verhindert, einen ganz anderen Impuls setzen. Indem ich beispielsweise daran erinnere, dass wir Liebende sind. <BR /><BR /><BR /><b>Kunst im öffentlichen Raum schafft ein Bewusstsein für die Bedeutung und den Wert des Platzes, kann aber auch soziale Dialoge anregen. Was glauben Sie, wird Ihr Gedicht bewirken?</b><BR />Obexer: Das Schöne ist, dass das Gedicht – in pinkfarbenen Buchstaben übrigens, direkt von den Stationen der S-Bahn, der U-Bahn und von der Fußgänger- und Autobrücke aus sichtbar und lesbar ist. Wer also den Kopf einmal hebt und aufschaut, kann es lesen. Es trägt übrigens den Titel: Von den Dächern.<BR /></TD><TD><BR /><BR /><b>Wie, kann Ihrer Meinung nach, Ihr Gedicht dazu beitragen, zumindest an der Alice-Salmon-Hochschule Berlin ein Gespräch über Lyrik anzuregen, denn über Lyrik sprechen ist nicht einfach und auch nicht alltäglich…</b><BR />Obexer: Es ist allen zugänglich, es hat eine gewisse Bescheidenheit, es ist nicht reißerisch, es ist still, es fragt sehr genau, es fragt anderes, als wir gewohnt sind. <BR />Das ist Poesie. Ich hab nur wenig Gedichte geschrieben, aber es ist bekannt, dass meine Literatur, die ja politisch und philosophisch ist, sprachlich durchwegs poetisch ist.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1197798_image" /></div> <BR /><BR />„Im Ergebnis haben wir uns für den Entwurf von Maxi Obexer entschieden. Wir halten ihn für eine gelungene Intervention im öffentlichen Raum, die Anlässe zur Kommunikation und Interaktion bietet. Wir sehen darin eine Auseinandersetzung mit dem Ort und ein Bewusstsein für die Haltung der Hochschule, die wir uns gewünscht haben“, so die Begründung der Jury. <BR /><BR /><BR />Und für Maxi Obexer war es wichtig „einen Textkörper zu schaffen, in dem kein Gegenüber einem anderen gegenübersteht, in dem die sprachliche, noch so subtil gesetzte Abgrenzung aufgehoben ist, in dem es ein Wir gibt, ohne zu vereinnahmen, oder wo Bedrohte und Betroffene von den Berufenen per se nicht unterschieden sind.“<BR /><h3> Zum Werk der Autorin</h3><BR />Die Schriftstellerin Maxi Obexer drückt sich in verschiedenen Genres aus. Ihr zuletzt veröffentlichtes Hörspiel „Im Auge des Sturms“ (WDR 2024) wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hörspiel des Monats. Dem viel beachteten Radio-Essay „Über Tiere schreiben / Über Tiere sprechen“(DLF 2023) folgte 2024 der Roman „Unter Tieren“ und im März 2025 ihr Erzähl- und Essayband: „Odysseus’ Hund. Erzählungen von der gegenseitigen Zähmung“ (beide im Weissbooks Verlag). Die politische Autorin beschäftigte sich sehr früh mit den Themen Flucht und Migration; ihr Theaterstück und Hörspiel „Illegale Helfer“ wurde weltweit nachgespielt und mit zahlreichen Preisen versehen. Für ihren autobiografischen Roman „Europas längster Sommer“wurde Obexer für den Bachmannpreis nominiert. <BR /><BR />Im Jänner 2023 erhielt sie dann den Alice Salomon Poetik Preis. Die Jury zeigte sich besonders beeindruckt davon, dass sich ihre Texte „keiner gefälligen Stilistik beugen. Sie spiegeln vielmehr Obexers eigenwilliges Leiden an der Welt, ihre Wut, ihr Engagement wider.“<h3> Der Alice Salomon Poetik Preis</h3><BR />Damit zeichnet die ASH Berlin alle zwei Jahre Künstlerinnen und Künstler aus, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie akustischen Künste beitragen und dabei interdisziplinär arbeiten und wirken. Verbunden ist die Auszeichnung mit einem Preisgeld von 6000 Euro, mit einer Dozentur und der Möglichkeit, die Südfassade der Hochschule zu gestalten. <BR /><h3> Zur Person Maxi Obexer</h3><BR />Sie ist Theaterautorin, Schriftstellerin und Kuratorin. Geboren in Brixen lebt sie in Berlin. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien/Berlin. Stipendiatin u. a. des Literarischen Colloquiums Berlin, der Akademie der Künste, Berlin, der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. Sie ist Gastprofessorin an US-amerikanischen Universitäten, und unterrichtet am Literaturinstitut in Leipzig, an der Universität der Künste in Berlin. Mit Sasha Marianna Salzmann gründete sie 2014 das Neue Institut für Dramatisches Schreiben (NIDS Berlin) und 2015 die Sommer School Südtirol. (eva)