Frage: Noch in diesem Jahr publizieren Sie ein neues Neologismenw?rterbuch, das sich mit dem neuen deutschen Wortschatz besch?ftigt, der zwischen 2001 und 2010 entstanden ist. Wie viele neue W?rter haben Sie entdeckt? Und nach welchen Kriterien wurde ausgew?hlt?Doris Steffens: Das Neologismenw?rterbuch enth?lt ann?hernd 600 Stichw?rter. Die ausgew?hlten W?rter m?ssen allgemeinsprachlich, also dem Gro?teil der Angeh?rigen der Sprachgemeinschaft bekannt sein. Und sie m?ssen sich an das deutsche Sprachsystem angepasst haben.Frage: Welches Material ziehen Sie bei der Suche nach neuen W?rtern heran?Steffens: Wir ermitteln die Neologismen-Kandidaten ganz traditionell beim Lesen von Zeitungen und Zeitschriften, durch die Auswertung von Trend- und Zeitgeistw?rterb?chern, der ?W?rter des Jahres? der Gesellschaft f?r deutsche Sprache sowie durch die Auswertung von H?rtexten, die in der Regel aus Rundfunk und Fernsehen stammen, aber auch auf der Stra?e aufgeschnappt worden sein k?nnen. Ob die Neologismen-Kandidaten auch ins W?rterbuch kommen, h?ngt auch davon ab, ob sie in verschiedenen Quellen gut belegt sind. Das k?nnen wir bei der Recherche in unserem gro?en elektronischen Textkorpus feststellen.Frage: W?chst der Wortschatz immer schneller oder erkennen Sie keine Unterschiede zu fr?heren Jahrzehnten?Steffens: F?r einen genaueren Vergleich der letzten beiden Jahrzehnte mit fr?heren Jahrzehnten fehlt mir das Material. Wir haben mit dem Wortschatz der 90er Jahre die Untersuchungen begonnen. Aber es ist so, dass seit der zweiten H?lfte des 20. Jahrhunderts durch die technische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, denken wir auch an die Globalisierung, der Wortschatz stark zugenommen hat.Frage: Neue W?rter entstehen, manchmal verschwinden sie aber auch schnell wieder. Sind ?Eintagsfliegen? h?ufiger als neue W?rter, die ?ber Jahre oder Jahrzehnte bleiben?Steffens: Diese Eintagsfliegen ?bersteigen die Zahl der W?rter, die sich einb?rgern, um ein Vielfaches. Ich las z. B. ?Gummistiefelpolitik? im Zusammenhang mit dem Hochwasser im Juni.Frage: Welche Rolle spielt Englisch bei den neuen W?rtern? Und welche Rolle spielen Fremdsprachen ?berhaupt?Steffens: Englisch ist die Sprache, aus der die meisten W?rter ins Deutsche entlehnt werden. Grund daf?r ist die Dominanz der USA in vielen Bereichen. Von dort kommen viele Innovationen, die ihre Benennungen gleich mitbringen (z. B. Smartphone). Der Einfluss des Englischen gilt nach unseren Beobachtungen ?brigens f?r den Sprachgebrauch in ?sterreich und der Schweiz genauso wie f?r den in der Bundesrepublik. Entlehnungen aus anderen Sprachen spielen seit den 90er Jahren dagegen kaum eine Rolle. Beispiele aus dem Italienischen sind Latte macchiato und Gabione (von italienisch gabbione, gro?er K?fig), aus dem Spanischen Zumba (Tanz als Fitnesssprogramm), aus dem Japanischen Karaoke und Sudoku.Frage: Gibt es immer mehr W?rter, die sich international durchsetzen, sozusagen globale Neologismen?Steffens: Aus vergangenen Jahrhunderten stammen die sogenannten Internationalismen, die sich in gleicher Bedeutung und ?hnlicher Form in vielen verschiedenen Sprachen etablierten, z. B. Demokratie, Kommunismus, Moschee. Aktuell sorgt wohl insbesondere der Austausch von Waren, auch kulturellen G?tern rund um den Globus daf?r, dass sich auch die jeweiligen Ursprungsbezeichnungen verbreiten ? auch, soweit ich informiert bin, im asiatischen Raum. In China ist z. B. die App samt Bezeichnung ?bernommen worden, nur dass bei App jeder Buchstabe einzeln gesprochen wird.Frage: Welche Rolle kommt den Medien bei der Sch?pfung und Verbreitung neuen Wortschatzes zu?Steffens: Journalisten sind sprachbewusste Menschen. Sie pr?gen neue W?rter und sie verhelfen auch fachsprachlichem Wortschatz zu allgemeiner Verbreitung, denn sie haben die Medien zur Verf?gung, die daf?r unerl?sslich sind. Ein Beispiel ist ?Kollateralschaden?, das den zwar nicht beabsichtigten, aber billigend in Kauf genommenen Tod von Zivilisten bezeichnet. Dieses Wort ist w?hrend des Krieges in Jugoslawien ? aus der Milit?rsprache kommend ? durch die Berichterstattung in den Medien allgemeinsprachlich geworden und 1999 zum ?Unwort des Jahres? gew?hlt worden.Frage: Gibt es gro?e Unterschiede innerhalb des deutschen Sprachraumes, was den neuen Wortschatz betrifft? Sind neue W?rter oft l?nderspezifisch?Steffens: Es gibt nach meiner Beobachtung innerhalb des deutschen Sprachraumes auch bei Neologismen gewisse l?nderspezifische Unterschiede, die h?ufig Ergebnis unterschiedlicher Gesetze sein d?rften. So ist ?Hartz IV?, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, seit 2004 in Deutschland ein gro?es Thema. Der Ausdruck Hartz IV wird in ?sterreichischen und Schweizer Zeitungen erw?hnt, er d?rfte aber den Sprechern in ?sterreich und der Schweiz wenig bekannt sein.Frage: Welche sind denn Ihre ?Lieblingsw?rter? aus dem neuen Neologismenw?rterbuch?Steffens: Das sind insbesondere Bildungen, die von wortbildnerischer Kreativit?t zeugen wie ?Stockente?. Das Wort, das scherzhaft gebraucht wird, bezieht sich auf eine Person, besonders eine Frau, die Nordic Walking in der Gruppe betreibt. Die Bildung gef?llt mir deshalb so gut, weil hier die Bestandteile des etablierten Wortes Stockente in ihrer w?rtlichen Bedeutung verwendet werden: ?Stock? ist motiviert durch den Nordic-Walking-Stock, ?Ente? durch den watschelnden Gang.________________________________________________Doris Steffens h?lt auf Einladung des Bozner Zweiges der Gesellschaft f?r deutsche Sprache und der Landesbibliothek am Donnerstag, 10. Oktober um 20 Uhr in der Landesbibliothek Dr. Friedrich Te?mann in Bozen einen Vortrag mit dem Titel ?Von Wutb?rger bis Fiskalpakt ? Warum neue W?rter entstehen?. Der Eintritt ist frei.