<BR /><BR /><b>Herr Aichner, „Yoko“ ist Ihr 20. Buch. Ist es der bisher schönste und beste Aichner?</b><BR />Bernhard Aichner: Es ist auf jeden Fall der brutalste und der blutigste Aichner und das wildeste Buch, das ich bis jetzt geschrieben habe. Formal, sprachlich und vom Aufbau her ist „Yoko“ bestimmt das reifste Buch. Aber das neueste Buch ist immer das schönste und beste. Man wächst von Buch zu Buch.<BR /><BR /><b>Wird man besser?</b><BR />Aichner: Ja, auf alle Fälle. Ich habe in den letzten 10 Jahren versucht, meinen Ton zu finden. Den habe ich jetzt. <BR /><BR /><b>Was ist der typische Aichner-Ton?</b><BR />Aichner: Ich erzähle nur das Nötigste, in kurzen Sätzen, meine Dialoge kommen ohne Erzähler aus – das macht viel Tempo und es entwickelt sich ein gewisser Sog. Ich spare viele Dinge aus und überlasse sie der Fantasie der Leser. Sie können die Skizze ausmalen, die ich hinstelle. <BR /><BR /><b>Ist das jetzt Ihr Stil oder wird auch der weiterentwickelt?</b><BR />Aichner: Möglicherweise klingt das in 5 Jahren wieder anders. Ich schreibe gerade den vierten Teil der „Totenfrau“-Serie und habe mir zuvor das erste Buch, das ich 2013 geschrieben habe, nochmal durchgelesen. Das klingt ähnlich, aber anders. Man sieht, dass ich mich weiterentwickelt habe, und das ist auch gut so. Wir werden alle älter, reifer und gelassener ...<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1127295_image" /></div> <BR /><b>Was denkt man sich, wenn man sein Werk von vor 12 Jahren liest?</b><BR />Aichner: Man liest sehr kritisch. Aber es gefällt mir immer noch sehr gut. Wenn man das sagen kann, ist das eine große Freude.<BR /><BR /><b>„Totenfrau“ wurde verfilmt. Die zweite Staffel kommt am 24. Februar im ORF, ab 19. März auf Netflix. Wie stolz ist man, wenn sein Buch verfilmt wird?</b><BR />Aichner: Das ist extrem cool, vor allem weil es über Netflix weltweit zu sehen ist. Ich kann dann über ein Portal verfolgen, in welchen Ländern die Serie in den Top 10 ist. Diese Zahlen in den ersten 28 Tagen sind entscheidend, ob es eine weitere Staffel gibt. Das ist sehr spannend. <BR /><BR /><b>Häufig wird das Buch mit dem Film verglichen – das ist für den Autor auch ein Risiko....</b><BR />Aichner: Stimmt. Aber ich bin sehr zufrieden, wie das Buch im Film umgesetzt wurde. In dem Moment, wo ich die Filmrechte abgebe, ist es ein Vertrauen darauf, dass es so gut wie möglich gemacht wird. Nicht alle Kolleginnen und Kollegen sind glücklich mit der Verfilmung ihrer Bücher, aber ich bin super-happy. Ich habe die zweite Staffel schon gesehen und bin begeistert. <BR /><BR /><embed id="dtext86-68484566_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Besser als das Buch?</b><BR />Aichner: Die zweite Staffel ist anders. Sie haben sich Dinge einfallen lassen, die nicht im Buch stehen. Aber schon beim Lesen des Drehbuches habe ich mir gedacht, das passt. Ob der Film besser oder schlechter ist als das Buch? Es ist eine andere Kunstform; durch Schnitt, Bilder, Musik kann man vieles anders erzählen. Ich bin aber immer fürs Buch! Ich bin ein leidenschaftlicher Leser.<BR /><BR /><b>Was lesen Sie?</b><BR />Aichner: Kreuz und quer, vom Krimi zur Lyrik, eigentlich alles. <BR /><BR /><b>Zur Unterhaltung oder schauen Sie, was und wie es die anderen machen?</b><BR />Aichner: Lesen ist immer inspirierend – für jeden, nicht nur für einen Autor. Ich unterhalte mich gern und finde Lesen einfach total schön – besser als Fernsehen.<BR /><BR /><b>Das Buch ist tot, heißt es schon seit Langem...</b><BR />Aichner: Nein, das glaube ich nicht. Ich trage ja auch meinen Teil dazu bei, dass das nicht so ist. Lesen ist einfach großartig. Es hat mich immer schon fasziniert, dass man nur einen Stift und ein Blattl Papier braucht und sich eine Welt erschreiben kann, die dann da ist und von anderen gelesen wird. Es braucht nicht mehr, keine Ausstattung, keine Musik und kein Licht, keine Schauspieler, keine Maske. Ein Buch – und alles ist da. Und es ist laut, jeder hört die Musik und sieht die Bilder. Es ist wie Kino. Das ist großartig. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1127298_image" /></div> <BR /><b>Ging Ihnen das schon damals im Gymnasium in Lienz durch den Kopf, als Sie die ersten Gedichte schrieben?</b><BR />Aichner: Ja. Vom Schreiben leben zu können, das war schon ein Traum. Aber das war natürlich unmöglich, geradezu irrwitzig. Nur 4 Prozent aller Schreibenden können davon leben, ohne dass sie einen Beruf haben, der diese Leidenschaft finanziert. Dass ich das heute kann, empfinde ich als riesiges Glück. <BR /><BR /><b>In Ihren ersten Schreibversuchen kamen Sie noch ohne Leichen aus. Hat der ausbleibende Durchbruch die kriminelle Energie geweckt?</b><BR />Aichner: Nicht ganz. Schon im Roman „Schnee kommt“ sind 3 Menschen gestorben – es stand nur nicht „Krimi“ drauf. Spannungsromane, die auf ein Ende zusteuern und die Leser fesseln, das war schon immer mein Plan. <BR /><BR /><b>Haben Sie im realen Leben auch die ein oder andere Leiche im Keller?</b><BR />Aichner: Gott sei Dank nicht. Ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1127301_image" /></div> <BR /><b>Die dunkle Seite des Lebens ist Ihnen aber durchaus bekannt. Sie waren lange Pressefotograf und haben Unfälle und Unglücke im Bild festgehalten. 2004 haben Sie den Tsunami in Thailand überlebt. Wirkt das nach?</b><BR />Aichner: Bestimmt, gerade die Zeit als Pressefotograf. Es ist Wahnsinn, wie viel Grausames in der Welt passiert, das sieht man jeden Tag in der Zeitung. Als Pressefotograf ist man natürlich noch ein bisschen näher dran. Das hat mich schon geprägt und neugieriger gemacht, noch näher hinschauen zu wollen. In meinen Büchern denke ich mir was aus und beleuchte es dann von allen Seiten. <BR /><BR /><b>Krimi und Thriller sind das meistgelesene Genre im Buchhandel. Was stimmt nicht mit uns, dass man so was schreibt und dass man so was liest?</b><BR />Aichner: Das ist eine gute Frage. Vermutlich wollen wir uns einfach gruseln. Das beginnt mit Grimms Märchen, die ohne Ende grausam, unheimlich und spannend sind. Und das sind Kindergeschichten! Sich vor etwas gruseln zu wollen, das lieben die Menschen. Wenn es Fiktion ist, vielleicht umso mehr, weil man das Buch zuschlagen und sich freuen kann, dass man es daheim schön und friedlich hat. <BR /><BR /><b>Wie entsteht ein Buch?</b><BR />Aichner: Ich liebe es, ins Blaue zu schreiben und mich selbst überraschen zu lassen. Aber beim Krimi ist es wichtig, sich vorher gut zu überlegen, wo die Reise hingeht, wo sie endet, wie die Fäden, die ich auslege, zusammengehen. Zu 80 Prozent steht das fest, bevor ich mit dem Schreiben beginne. <BR /><BR /><b>Wie schreibt man einen Thriller? 8 Stunden am Tag, sehr diszipliniert?</b><BR />Aichner: Manchmal auch 12 Stunden. Aber die Gedankenmaschine ist ohnehin immer an. <BR /><BR /><b>Also entsteht im Kopf schon das 23. Buch – nach „John“ und „Totenfrau 4“?</b><BR />Aichner: Tatsächlich denke ich darüber schon nach. Das wird ziemlich sicher ein leichenfreies Buch – ich freue mich schon. <BR /><BR /><b>Kann man das riskieren, wenn man sich einen Namen als Thriller-Autor gemacht hat?</b><BR />Aichner: Im Grunde muss man schreiben, was einem selbst Freude macht.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1127304_image" /></div> <b>Mit dem Erfolg steigt auch der Druck zu liefern. Aber dann schreibt man doch, was einem gefällt und nicht, was sich der Leser erwartet?</b><BR />Aichner: Ich finde, der Erfolg ist eher befreiend. Autor ist kein Beruf, mit dem man reich wird, also kann man sich die Freiheit schon nehmen, zu schreiben, was einem gefällt. Natürlich muss man sich irgendwann entscheiden, wann man zufrieden ist. Wenn man immer irgendetwas hinterherläuft – zum Beispiel erfolgreich zu sein als Sebastian Fitzek –, dann ist man wahrscheinlich ein Leben lang unglücklich, weil so etwas nur einem von Hunderttausenden in 50 Jahren gelingt. Zufriedenheit ist aber für das Schaffen ganz wichtig. Wenn man ständig unzufrieden ist, dann ist man ein unglücklicher Mensch, und dann kann man nicht gut schreiben oder arbeiten. <BR /><BR /><b>Sie schreiben die erste Version Ihrer Bücher mit der Hand?</b><BR />Aichner: Ja genau. Das sind dann 4 dicke Notizbücher, in denen alles steht. Je besser und überlegter die Sätze sind, die ich in diese Notizbücher schreibe, umso besser wird das Buch. Ich sage mir die Sätze beim Schreiben auch laut vor, damit ich höre, wie es klingt, ob es zusammenpasst. Das hat dann von Anfang an meinen Rhythmus. Danach diktiere ich alles, es wird abgetippt und 3-, 4-mal überarbeitet, bevor es erscheint. <BR /><BR /><b>Keine Angst, dass diese Bücher verloren gehen könnten?</b><BR />Aichner: Ich fotografiere jede Seite und sichere die Bilder gut. Diese Bücher sind mir schon sehr wichtig. Deshalb bin ich auch damals beim Tsunami in die Hütte gerannt und habe 2 Sachen gerettet – meinen Reisepass und mein Manuskriptbuch. Wäre schade, wenn das wegkäme. Sehr schade. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1127307_image" /></div> <BR /><b>Und aus Ihren Notizbüchern machen Sie dann Kunst...</b><BR />Aichner: Ja, die Manuskripte sind die Basis für meine Bilder. Ich verwende einzelne Sätze, die ich in Lithografien und Radierungen einbaue. Ich habe viel auf großem Papier üben müssen, damit meine Handschrift den richtigen Schwung hat. Diese künstlerische Arbeit gefällt mir sehr gut. <BR /><BR /><b>Sie singen bei Ihren Lesungen und schreiben fürs Theater. Ihre Krimi-Komödie „Krieg und Katze“ wird gerade in Innsbruck gespielt. Was können Sie nicht?</b><BR />Aichner: Da gibt es vieles. Aber alles Kreative war mir schon immer wichtig. Trotzdem muss man sich irgendwann entscheiden, auf was man sich konzentrieren will – so wie Jannik Sinner, der sich zwischen Skifahren und Tennis entscheiden musste. Ich habe mich für das Schreiben entschieden. <BR /><BR /><embed id="dtext86-68484625_quote" /><BR /><BR /><b>In Ihren Büchern sind oft Frauen die Mörderinnen, und Rache ist ein häufiges Motiv …</b><BR />Aichner: Die Frau als Täterin habe ich bewusst gewählt, weil im realen Leben die Mörder fast immer Männer sind. Das umzudrehen, fand ich irgendwie gut. Und Rachegeschichten lieben doch alle. Wenn das Unrecht groß genug ist, etwas vom Rechtsstaat nicht geahndet wird, weil die Beweise nicht reichen oder weil der Täter zu schlau war – da einzugreifen, das selbst in die Hand zu nehmen... macht wahrscheinlich nicht glücklich, und in der Realität geht das gar nicht. Aber in der Fiktion ist alles erlaubt. Das ist das Schöne: Nichts ist verboten, ich kann machen, was ich will. <BR /><BR /><b>Auch auf die Gefahr hin, dass es zu unrealistisch wird? In „Yoko“ legt sich eine junge Frau mit der Chinesen-Mafia an...</b><BR />Aichner: Das ist nicht unrealistisch. Ein Kripo-Beamter liest meine Texte immer, und der hält das für durchaus plausibel. Natürlich braucht es Glück, das hat Yoko im Buch. Und sie hat mich. Deshalb klappt das auch. <BR /><BR /><b>Wie oft sind Sie noch in Osttirol?</b><BR />Aichner: Mein Bruder und mein Vater leben in Heinfels. Deshalb bin ich immer wieder mal hier. Mittlerweile finde ich es ganz nett. Als Jugendlicher wollte ich nur weg. Hinaus in die große Welt. Gekommen bin ich bis Innsbruck. Aber dort bin ich immer noch sehr gerne. Weil es nicht so groß und nicht so laut ist.