In Zusammenarbeit mit dem Germanisten Roland Innerhofer ist dabei eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit Norbert C. Kasers berühmt-berüchtigter „brixner rede“ entstanden, die ein neues Licht auf diese „Geburtsstunde“ einer neuen Tiroler Literatur werfen will. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1203513_image" /></div> <BR /><BR />Im Heft wird nicht nur der Originaltext dieser am 27. August 1969im Rahmen der Studientagung der Südtiroler Hochschülerschaft von Kaser in Brixen gehaltenen Rede abgedruckt, sondern auch eine ganze Reihe von Reaktionen und Schmähschriften aus der Lokalpresse. <BR /><BR /><BR />Dazu Roland Innerhofers Essay „Das Schlachtfest wird grandios werden“. „Norbert C. Kasers Brixner Rede im zeitgenössischen Kontext“, in dem der Autor nicht nur wichtige und bis heute kaum rezipierte Hintergründe aufdeckt, sondern auch auf Kasers Schreiben und Literaturverständnis eingeht. <BR /><BR /><BR />Matthias Breit selbst geht in seinem Aufsatz „Selten liest man so etwas Verschrobenes, Borniertes und Falsches“ auf den Ton dieser und die unmittelbaren Reaktionen auf die Rede ein, ohne aber darauf zu verzichten, Kasers „brixner rede“ aus den 1960er-Jahren zu entkoppeln und Entwicklungslinien unserer Literatur bis heute aufzuzeigen. <BR /><BR /><BR />Roland Innerhofer erklärt im Gespräch, welche Relevanz die „brixner rede“ heute noch hat.<BR /><BR /><BR /><b>Was führt Sie zu Kaser? Haben Sie sich in der Vergangenheit mit Kasers Werk auch wissenschaftlich beschäftigt?</b><BR />Roland Innerhofer: Das Werk von Norbert C. Kaser hat mich schon seit meiner Studienzeit fasziniert. Das war eine neue, ungewohnte Stimme aus Südtirol, in der sehr genau die Stimmung widerhallte, in der sich damals viele junge Südtirolerinnen befanden. Sie empfanden die kulturelle Situation in Südtirol ähnlich wie Kaser als prekär, beherrscht von einer stickigen Atmosphäre, geprägt von bornierten, verknöcherten, engstirnigen und eingeschliffenen Seh- und Denkweisen. Der dominante Heimatbegriff erschien als hohl und politisch missbraucht, die Heimatpflege als touristische Kulisse kommerzialisiert. Kaser wurde von einer aufmüpfigen jungen Generation als jemand wahrgenommen, der die Dinge beim Namen nennt und frischen Wind in eine muffige Kulturlandschaft bringt. Als ab 1979 postum Sammelbände von Kaser erschienen, hatte sein Werk kaum an Aktualität verloren. Ich habe die Südtiroler Literaturszene und insbesondere Kasers Texte kontinuierlich als Leser, aber nicht als Forscher verfolgt. Als aber Matthias Breit mit der Anfrage an mich herantrat, anlässlich ihrer Neuausgabe einen Essay zur „brixner rede“ beizusteuern, habe ich begeistert zugestimmt.<BR /><BR /><BR /><b>Gibt es einen bestimmten Anlass, dieses Dokument aus den 1960er-Jahren unseren Leserinnen und Lesern heute in einer neuen Interpretation zu präsentieren? Hat Kasers „brixner rede“ Ihrer Meinung nach heute noch jene Relevanz, die sie ohne Zweifel für die Literatur der 1960er- und 1970er-Jahre in Südtirol hatte?</b><BR />Innerhofer: Kasers „brixner rede“ ist ein kultur- und zeithistorisches Dokument. Ihre Rhetorik des „zornigen jungen Mannes“ ist ein Phänomen, das weit über die Grenzen Südtirols hinaus als zeittypisch betrachtet werden kann. Zweifelsohne ist die Südtiroler Literatur heute nicht tot, im Gegenteil, sie ist äußerst lebendig und vielfältig, wie etwa die Aktivitäten der in der SAAV und der GAV-ST organisierten Autorinnen unabweislich zeigen. Was wir in ganz Europa und darüber hinaus nach wie vor beobachten können, ist die Instrumentalisierung einer affirmativen, sterilen „Heimatkunst“ für antidemokratische, autoritäre politische Zwecke. Der Heimatbegriff wird dabei als Mittel der Exklusion alles Andersartigen missbraucht. Kaser war ein durch und durch heimatverbundener Dichter, seine literarischen Texte beschäftigen sich unentwegt mit Südtirol. Doron Rabinovicis paradoxe Aussage: „Für uns heutzutage ist Heimat der Ort, an dem einem am fremdesten zumute ist“, trifft auch auf Kaser zu. Die vehemente Kritik an den Südtiroler Zuständen zeugt von einer innigen Verbundenheit: Zuhause ist man an dem Ort, wo man sich für das Verhalten seiner Bewohnerinnen, seiner Landsleute schämt. Für eine solche heimatverbundene und zugleich kritische Haltung ist Kasers Werk, seine polemischen Stellungnahmen inbegriffen, exemplarisch und nach wie vor unverzichtbar.<BR /><BR /><BR /><b>Das, zusammen mit Matthias Breit herausgegebene Buch trägt den Haupttitel „bei goethe ist stop“. Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Goethe und Kaser, über Kasers Stadtstich zu Weimar hinaus?</b><BR />Innerhofer: Kaser hat sich mit seinem Satz „bei goethe ist stop“ nicht gegen das literarische Werk Goethes gewendet, sondern gegen eine sich auf die Autorität Goethes berufende epigonale Literatur- und Kunstauffassung, die die klassisch-realistische Tradition als einzig gültige Norm etabliert. Goethe gerinnt in dieser Auffassung zur Ikone, zu einem Heiligtum, dem man sich nur mit Andacht nähern könne. Kasers Bruch mit der Tradition steht im Kontext (neo-)avantgardistischer Strömungen und der experimentellen Literatur nach 1945. Um den zum Monument und unhinterfragten Kulturgut erstarrten Goethe wieder zum Leben zu erwecken, müsse man ihn gegen den Strich bürsten – so die Haltung der antitraditionalistischen Literatinnen, zu denen Kaser zu zählen ist.<BR /><BR /><BR /><b>In Ihrem Essay „Das Schlachtfest wird grandios werden“ gehen Sie nicht nur auf die Entstehung von Kasers programmatisch so bedeutender „brixner rede“ und auf die Rezeption dieser Rede 1969/1970 ein, sondern auch auf die ästhetische und rein literarische Komponente dieser Rede. Sind Ihrer Meinung nach Kasers Prosaschriften wie auch die Briefe immer auch im Zusammenhang mit seinem Schreibprozess zu sehen, seien sie reine Polemiken oder auch Pamphlete?</b><BR />Innerhofer: Kaser gehört zu jenen Autoren, für die Schreiben nicht bloß eine Profession ist, deren Werk und Leben vielmehr unauflöslich und aufs Innigste miteinander verflochten, ja verschmolzen sind. Protest ist dabei nicht nur eine politische Geste, sondern die Grundhaltung einer widersetzlichen Lebensweise. Daher ist eine scharfe Trennung zwischen literarischen und polemischen Texten im Falle Kasers ebenso wenig sinnvoll wie die zwischen Egodokumenten und fiktionalen Werken.<BR /><BR /><BR /><b>Buchtipp:</b><BR />Roland Innerhofer, Matthias Breit, „bei goethe ist stop norbert c. kasers brixner rede 1969“, aus der zeithistorischen Reihe „marginalien“ bei Haymon 2025, 72 Seiten<BR /><BR /><h3> Zur Person</h3><BR />Roland Innerhofer wurde 1955 in Meran geboren. Nach Besuch des humanistischen Gymnasiums studierte er Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Uni Wien, wo er 1980 mit der Dissertation Hans Magnus Enzensbergers „Mausoleum“. Zur „dokumentarischen“ Lyrik in Deutschland zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. Von 1987- 89 führte er Forschungsprojekte durch, sodann habilitierte er 1995 mit der Schrift Deutsche Science Fiction 1870-1914. Ab 1995 war er am Germanistischen Institut der Uni Wien Dozent und ab 2011 Professor für Neuere Deutsche Literatur und von 2016-18 Vorstand des Instituts für Germanistik. 2021 trat er seinen Ruhestand an. Zahlreiche Publikationen.