Nach dem ersten Weltkrieg hielten es viele junge Musiker für angeraten, eine gewisse (deutsche) Schwere abzuschütteln, nicht nur, was die Orchestrierung betraf (man denke an Wagner, Bruckner, Mahler, Strauss und Reger), sondern ganz im allgemeinen, was das Verhältnis zur Kunst anging. Man fand wohl, Musik müsse nicht immer eine Frage weihevollen Einherschreitens sein und immer und überall philosophische Probleme wenn nicht lösen, so doch wenigstens aufwerfen.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Frankreich</b><BR /><BR />Besonders in Frankreich gab es eine Auflehnung gegen philogermanische Tendenzen, die trotz der bitteren Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 Ende des Jahrhunderts bereits wieder im Vormarsch waren und sogar eine viel gelesene „Revue wagnérienne“ gezeitigt hatten. 1918, nach weiteren zwanzig Jahren, war nicht nur Wagner bei der jungen Generation eindeutig out, sondern hatten auch die Aktien von Claude Debussy – der Anfang jenes Jahres gestorben war – sehr an Wert verloren. Jean Cocteau (1889-1963) befand in seinem Pamphlet Le coq et l’arlequin (Der Hahn und der Harlekin, 1918), jede Art von Musik, die man “mit dem Kopf in den Händen“ anhöre, sei suspekt, und zog die Music hall Wagner vor; er liebte wie sein deutscher Kollege Frank Wedekind die Zirkusmusik und den Jazz. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="635531_image" /></div> <BR /><BR />Um Cocteau scharte sich in jenen Jahren eine Reihe junger Musiker, die später Groupe de six, die Gruppe der Sechs genannt wurden, weil sie eben aus sechs Komponisten bestand, die sich ein wenig selbstironisch mit der berühmten Gruppe der fünf Russen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verglichen (Borodin, Cui, Balakirev, Musorgskij und Rimskij-Korsakov). Leben heute Louis Durey (1888-1979), Germaine Tailleferre (1892-1983) und Georges Auric (1899-1983) de facto einzig in Form von Lexikon-Artikeln weiter, da ihre Werke nahezu ganz vergessen sind, gehören die anderen drei, Arthur Honegger (1892-1955), Darius Milhaud (1892-1974) und Francis Poulenc (1899-1963), zu den wichtigsten Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bzw. der Jahrhundertmitte. <BR /><BR /><BR /><b>Francis Poulenc</b><BR /><BR />Der Komponist debütierte mit 18 Jahren mit einer Rhapsodie nègre für Gesang, Flöte, Klarinette, Streichquartett und Klavier (1917) und setzte sich bald als einer der begabtesten Komponisten seiner Generation durch; als sensibler Pianist trat er in nahezu allen relevanten Konzertsälen auf, zumeist als Begleiter seines Partners Pierre Bernac, der als Liedsänger und zumal als Interpret seiner Chansons und Mélodies Maßstäbe setzte. <BR /><BR />Poulenc schließt teils an den Impressionismus, an Debussy und Ravel an, doch fand er bald zu einer eigenen, unverwechselbaren Musiksprache, die zwar eindeutig tonal, doch ebenso eindeutig modern, ironisch und gleichzeitig melancholisch war, einen bezwingenden Charme besaß und sich durchweg durch eine beneidenswerte Klasse und Eleganz auszeichnete – kurzum: französisch vom Feinsten. <BR /><BR />Er blieb seinem Stil zeitlebens treu und komponierte für alle Gattungen und Besetzungen: drei Opern, drei Ballette, Solo-Konzerte, Orchesterwerke, Chormusik (sowohl Kirchenmusik als auch weltlich), Lieder, Klavierwerke und Kammermusik, wobei ein Sextett für Bläser und Klavier (1932) sowie die Sonaten für Flöte (1956) und für Oboe bzw. Klarinette und Klavier (1962) besonders zu erwähnen sind. <BR />Poulenc fühlte sich nicht berufen, Manifeste zu verfassen und seine Ästhetik gegen wen auch immer zu verteidigen, doch hatte auch er offenbar kein Interesse daran, der deutsch-österreichischen Schule zu folgen und lang(atmig)e Symphonien zu verfassen.<BR /><BR /><BR /><b>Sinfonietta</b><BR /><BR />Poulencs einziges symphonisches Werk größeren Umfangs ist die heute gespielte Sinfonietta pour orchestre aus dem Jahre 1947. Sie wurde dem Kollegen Georges Auric gewidmet und für ein nicht allzu großes Orchester geschrieben, das aus je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten, Hörnern, Trompeten, Harfe, Pauken und Streichern besteht.<BR />Auf ein Allegro con fuoco, in dem sogleich die Motivzelle fis-g auftritt, die den ersten Teil des Satzes beherrscht, bevor ein zweites, fast romantisches Thema der Streicher erscheint und einen Hauch Nostalgie verbreitet, was durch kleine Ohrfeigen à la Prokof’ev unterbrochen wird, läßt Poulenc ein neoklassizistisch-distanziertes Molto vivace, in dem Rimskij-Korsakovs Shéhérazade beiläufig zitiert wird, und ein Andante cantabile, wo die Bläser und besonders die Klarinette zu ihrem Recht kommen, folgen, bevor im Finale jedwede Nostalgie sich verflüchtigt und Prestissimo et très gai der Satz fast mendelssohnisch vorüberfliegt, bis der Komponist das Pastiche aus Mozart und Stravinskij zugunsten des Café concert und des Jazz aufgibt.<BR />(Johannes Streicher)<BR /><b><BR /><BR />Vita</b><BR /><BR /><BR /><b>Marco Mandolini,</b> 1968 in Montréal (Kanada) geboren, studierte am Conservatoire de musique seiner Heimatstadt bei Raymond Dessaints und Johanne Arel, wo er 1990 sein Diplom mit Auszeichnung in den Fächern Violine und Kammermusik erwarb. Er gewann diverse nationale Wettbewerbe und erhielt staatliche Stipendien in Kanada und in den Niederlanden. <BR /><BR />Sein Studium setzte er in Utrecht bei Philippe Hirschhorn, an der Mozart-Akademie in Prag und an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien bei Günter Pichler fort; Meisterkurse besuchte er bei Boris Belkin an der Accademia Chigiana in Siena, bei Viktor Liberman, Gerhard Schulz und dem Alban Berg Quartett. <BR /><BR />Mandolini war Mitglied des European Community Chamber Orchestra und des Wiener Kammerorchesters. Als erster Geiger und Konzertmeister trat er u.a. er mit folgenden Orchestern auf: Orchestra des Teatro alla Scala, Filarmonica della Scala, Festival Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, Orchestra del Teatro di San Carlo di Napoli, Orchestra del Teatro Comunale di Bologna, Orchestra del Teatro La Fenice di Venezia, Orchestra del Teatro Lirico di Cagliari, Tiroler Symphonieorchester Innsbruck, Orquésta Filarmónica de Gran Canaria.