Das Programm beginnt mit den wichtigsten Exponenten der 20er und 30er Jahre wie Mossolov und Deshov, den Speerspitzen eines sowjetischen Avantgarde-Begriffes, der eindeutige Züge eines eigenständigen Futurismus’ hatte. Viele der Werke sind damals nicht verstanden worden, blieben unaufgeführt oder unvollendet. Die jungen Komponisten Alexei Sioumak, Alexander Khubeev, Boris Filanovski, Kirill Umanski und Alexei Sysoev nehmen sich nun dieses “explosiven” Kapitels russischer Musikgeschichte an und versuchen sich an der Rekonstruktion der damaligen Avantgarde und verknüpfen sie mit unserer Gegenwart – unter der Leitung von Feder Lednov: ein unvergleichlicher Konzertabend für alle jene, die sich für das zeitgenössische Musikpanorama Russlands interessieren. Die musikalische Entdeckungsreise des MCME beginnt mit einem der berühmtesten Werke von Alexander Mossolov (1900-1973) „Four newspaper Advertisements from ‚Izvestia‘“. In vier Teilen strukturiert, zählt das Werk zur kompositorischen Frühphase des russischen Meisters und überträgt den Inhalt von vier Anzeigen aus der wichtigsten Moskauer Tageszeitung in Musik. Darauf folgt die Uraufführung der epischen Komposition von Alexander Khubeev, die einer Gießerei gewidmet ist, „Zavod (Foundry)“, nach einem der bedeutendsten Beispiele futuristischer Musik von Mossolov, bei dem die kontinuierliche Wiederholung einer musikalischen Figur gut zum Ausdruck kommt, einem der Hauptmerkmale des Komponisten. Khubeev ist der Komponist der zweiten Uraufführung des Abends, „Rails“ (1926) von Vladimir Deshevov. In Anlehnung an die urbane Ästhetik von Mossolov wird die Version von Deshevov mit anderem Instrumentarium (nur einem Klavier) realisiert. „Die Idee der Rekonstruktion konkretisiert sich hier anders“, erklärt Khubeev, „das Stück wird drei Mal mit unterschiedlichem Instrumentarium aufgeführt. Jede Version trägt dazu bei, das Hauptthema aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Dadurch erhält man einen besseren Gesamteindruck.“ Eine Reflexion über die russische Avantgarde der 20er und 30er Jahre bis zur Musik von heute, bietet der junge Komponist Alexej Sioumak mit „Parovoz Structures for chamber ensemble“ (2005). “Pavoroz” ist der russische Name für Dampfmaschine, die, laut Sioumak, die utopische Idee der sowjetischen Avantgarde symbolisiert, in der sich Vitalität und Energie mit Technik verbindet. Die Reflexionen führen manchmal auch zur Rekonstruktion: wie beispielsweise bei „Contra-relief for ensemble“ (2005) von Dmitri Kourliandski: die Komposition ist ein Versuch, Vladimir Tatlins Monument für die 3. Kommunistische Internationale zu rekonstruieren. Das Stück ist Teil des Programms "Reconstruction" der Structural Resistance Group (StRes), ein Programm, das sich der Rekonstruktion verlorener Monumente oder utopischer Projekte der russischen Avantgarde der 1920er Jahre widmet.Boris Filanovski hat in den vergangenen Monaten „0,10 suprematism for ensemble (2010)“ komponiert, das sich auf die berühmte Ausstellung der letzten russischen Futuristen in St. Petersburg, bei der „The Black Square“ erstmals öffentlich gezeigt wurde, gemeinsam mit weiteren 38 suprematistischen Bildern von Malevich. Vor einem Jahr hat Alexej Sysoev den Text des Projektes Flying Cities des russischen Architekten George Krutikov in Musik übersetzt: „Over moons“ for big ensemble, female voice and live electronics (2009).Mit einem anhaltende Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit endet die Spurensuche mit dem Ballett „Le Pas d’Acier” von Sergei Prokofiev, kuratiert von Kirill Umanski.