In unseren Köpfen ist Beethoven vor allem der Schöpfer von vollendeten Meisterwerken und daher eine Lichtgestalt, sagt Ausserhofer. Dabei müssten Komponist und Persönlichkeit von einander getrennt werden, denn der Charakter Beethovens habe seine Schattenseiten. <BR /><BR /><BR /><b>Über Beethoven scheint wirklich alles erforscht, geschrieben und verfilmt zu sein. Was hat Sie bewogen, noch einmal über dieses Genie zu forschen?</b><BR />Giovanni Ausserhofer: Das „Beethoven - Jubiläumsjahr 2020“ war für mich der Anlass, jenen Komponisten, dessen Werke mich seit der Jugendzeit begleiten, auch als Menschen näher kennen zu lernen. Und so habe ich in Wien und Umland, wo er fast 35 Jahre lebte und wirkte, jene noch vorhandenen Spuren aufgesucht und nach Berichten von Zeitzeugen gesucht, die Beethoven erlebt und gesprochen haben. Denn das, was sie berichten, sind für mich als Historiker Quellen, die Charakteristisches im Verhalten und Denken Beethovens aufdecken. <BR />Wie ich feststellte, gibt es keine aktuelle Publikation, die die recht verstreuten Zeitzeugen-Aussagen in einem Buch gesammelt vorlegen. Meine „Spurensuche – Beethoven“ ist ein ernsthafter Versuch, anhand <BR />von Dokumenten das facettenreiche Charakterbild des Komponisten zu präsentieren.<BR /><BR /><embed id="dtext86-56477626_quote" /><BR /><BR /><b>Sie sagen facettenreich – wir haben von Beethoven viele Klischees im Kopf: Welche müssten wir wegräumen?</b><BR />Ausserhofer: Da Beethoven mit seinen Symphonien, Konzerten und den kammermusikalischen Kompositionen vollendete Meisterwerke geschaffen hat, die jede Generation begeistern, wird mit den genialen Werken auch die Person Beethoven ungewollt zu einer Lichtgestalt erhoben, an der man Schattenhaftes nicht erkennen möchte. Darin sehe ich das stärkste vorhandene Klischee, da fast deckungsgleich Komposition und Person betrachtet werden. Dies kann man nicht nur in privaten Gespräch erfahren, selbst in öffentlichen Diskussionen kommt eine getrennte Sichtweise kaum vor.<BR /><BR /><b>Sie sprechen von Schattenhaftem: Mit welchem Charakterzug können Sie sich wenig anfreunden?</b><BR />Ausserhofer: Mit seinen emotionalen, unkontrollierten Ausbrüchen, seinem Spucken und den lautstarken Beschimpfungen, häufig mit den Worten „Schurke“ und „Lump“, die manchmal noch mit einer aggressiven Aktion verstärkt wurden. So warf er Eier, wenn diese nicht richtig zubereitet waren, der Dienstperson hinterher. Fühlte er sich <BR />gereizt oder man widersprach seinem Vorhaben, dann konnte er, wie berichtet wird, wie ein „wildes Tier“ werden, so bei dem peinlichen Vorfall auf Schloß Grätz, als ihn sein Förderer Fürst von Lichnowsky bat, nach dem gemeinsamen Abendessen den Gästen am Klavier vorzuspielen und Beethoven nach einem Stuhl griff, um diesen auf den Kopf des Fürsten zu schlagen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="821498_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was finden Sie an Beethoven wiederum faszinierend?</b><BR />Ausserhofer: Es sind zwei Aspekte, die mich an der Persönlichkeit Beethoven faszinieren. Zunächst etwas kindlich Rührendes, wie sein Brief an das Mädchen Emilie zeigt, als er den ihm zugesprochenen Lorbeerkranz zurückweist, denn dieser gehöre Händel, Haydn und Mozart - ihm noch nicht. Und eine mitfühlende Zuneigung, die er gegenüber der erkrankten Fürstin Erdödy erkennen lässt, als er ihr über eine Stunde <BR />am Klavier wohltuende Melodien vorspielte, die wie Balsam ihre Psyche streichelten. Ferner sein unerbittlicher, fester Entschluss, trotz der zunehmenden Taubheit, – die persönliche wie soziale Tragödie seines Lebens – , den eingeschlagenen Weg des Komponieren weiter zu gehen – und so schuf er, auch für uns, diese genial-herrlichen Werke.<BR /><BR /><b>Welches seiner Werke ist aus Ihrer Sicht „Beethoven pur“?</b><BR />Ausserhofer: Das ist nicht einfach. Angesichts seines tragischen Lebenslaufs finde ich die f-Moll Klaviersonate, die „Appassionata“ als d i e Komposition, in der Beethoven sich mit seinem tragischen Schicksal zu erkennen gibt. Die Sonate ist wie ein Psychodrama. Sie beginnt mit unbändigen Ausbrüchen von Angst und Verzweiflung als würden dunkle Mächte herrschen, denen man nicht entrinnen könnte. Man vernimmt dann hoffnungsvolle Töne mit zuversichtlicher Klangfarbe, die aber von einer mächtigen orchestraler Musik verdrängt werden, und mit einem verzweifelten Aufschrei endet die Sonate. Mein Eindruck ist, als ließe Beethoven uns mit der „Appassionata“ in sein Inneres blicken, in sein verzweifeltes Ringen mit dem Schicksal, mit seiner Taubheit.<BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="821501_image" /></div> <BR />Giovanni Ausserhofer, in Bozen geboren und aufgewachsen, beendete sein Studium der Germanistik und Geschichte in Bonn mit einer Promotion über Joseph Roth. Beruflich war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Rheinland tätigt, dann als Gymnasiallehrer, zuletzt als Dozent am Staatlichen Studienkolleg an der Universität Bonn.<BR />Er veröffentliche eine Reihe von Berichten zu literarischen und zeitgeschichtlichen Themen, interviewte u.a. Yehudi Menuhin, Elisabeth Schwarzkopf, Günter Grass, Otto von Habsburg. Als Fotograf hat er namhafte Persönlichkeiten der Literatur und Musik porträtiert und in Ausstellungen präsentiert. <BR /><BR />Mit seiner „Spurensuche - Beethoven“ nähert er sich dem Menschen Beethoven und lässt Zeitzeugen zu Wort kommen, die über ein facettenreiches Charakterbild des Komponisten berichten. Diese Publikation mit 80 Bildern ist im Buchhandel für ca. 18 Euro erhältlich.<BR /><BR />ZU GAST IN SÜDTIROL<BR /><BR />Auf Einladung der Südtiroler Volkshochschule hält Giovanni Ausserhofer 2 Lichtbilder-Vorträge zum Thema „Spurensuche - Beethoven“, und und zwar am <b>25. Oktober um 19.00 Uhr</b> im Waltherhaus (Schlernstraße 1) in <b>Bozen</b> und am <b>27. Oktober um 20.00 Uhr</b> in der Stadtbibliothek in <b>Brixen</b> (Peter-Mayr-Straße 9)<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />