Ein Gespräch mit Dorothee Oberlinger.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199088_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie kennen die Szene der Alten Musik aus jeder Perspektive: Zieht die Musik dieser besonderen Epoche einen bestimmten Typ von Interpretinnen oder Musikern an?</b><BR />Dorothee Oberlinger: Ich beobachte bei der jüngeren Generation generell, dass sie sehr offen ist, über die historisch informierte Aufführungspraxis zu lernen und den Wunsch hat, neue Erkenntnisse einzubringen. Die Grenzen zwischen der Alten Musik und der modernen Orchesterszene sind fließender geworden. Bei den Berliner Philharmonikern ist es mittlerweile sogar sehr erwünscht, sich mit Alter Musik beschäftigt zu haben. Als Violinistin etwa sollte man Erfahrung mit der Barockgeige vorweisen. Diese Neugier spüre ich auch bei modernen Orchestern, mit denen ich als Dirigentin arbeite – eine jüngere Generation kommt, die offener und flexibler geworden ist. Die verschiedenen Bereiche der „klassischen“ und „Alten“ Musik beeinflussen sich mittlerweile gegenseitig positiv. Früher hob sich der Typus des „Alte-Musik-Musikers“ ab, man trug langes Haar, Strickpulli und Birkenstocks. Das Interesse für Alte Musik kam ja in den 1960er-Jahren mit der Flower-Power- und Love-and-Peace-Bewegung auf.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199091_image" /></div> <BR /><b>Hippies und Alte Musik, wie passt das zusammen?</b><BR /> Oberlinger: Man wollte sich eben von hierarchischen Strukturen lösen, auch in der Musik sollten demokratischere Prozesse möglich sein. Man interessierte sich wieder verstärkt für Kammermusik und stellte die sehr hierarchisch funktionierende Orchesterstruktur infrage – mit dem Dirigenten auf der einen und den ausübenden Musikerinnen und Musikern auf der anderen Seite. Ich glaube, die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges machte den Wunsch umso größer, alte Strukturen aufzulösen oder zu verändern. Auf der anderen Seite begann man, anders darüber zu denken, wie man sich einem Werk nähert, mit dem Kolorit seiner Zeit oder mit dem Wissen um die historisch informierte Aufführungspraxis. Mittlerweile hat sich der Alte-Musik-Betrieb professionalisiert – mit festen, staatlich geförderten Ensembles. Das bringt mehr Sicherheit. Aber es geht dabei vielleicht auch ein Stück von diesem ersten experimentierenden Geist wieder verloren.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199094_image" /></div> <BR /><BR /><b>Ist das dennoch eine positive Entwicklung?</b><BR />Oberlinger: Auf jeden Fall – wenn Barockorchester sich mehr professionalisieren, bedeutet das auch mehr Absicherung für Institutionen und Musikerinnen. Trotzdem ist man in der Alten Musik heute ja meist Freelancer. Diesen Weg muss man gehen wollen. Ich bewundere junge Leute, die heute ein Barockinstrument studieren und sagen: Ich will nicht in eine feste Institution, sondern meinen eigenen Weg gehen, frisch bleiben, experimentieren, ein eigenes Ensemble mit eigener Ausrichtung gründen. Dieser Mut erinnert ein bisschen an die freie Szene der Neuen Musik. Und ja, vielleicht gibt es insofern auch heute noch einen gewissen „freigeistigen“ Typus des „Barockmusikers“ – aber die Grenzen sind längst fließend geworden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199097_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Sie stehen als Dozentin für historisch informierte Aufführungspraxis – was bedeutet das konkret für Ihr Instrument?</b><BR />Oberlinger: Logischerweise komme ich aus der historisch informierten Praxis, denn das Repertoire der Blockflöte liegt überwiegend in der Alten Musik – auch wenn es inzwischen ein bedeutendes modernes Repertoire gibt, das ich sehr fördere. Ich spiele selbst viele Uraufführungen Neuer Musik, auch Projekte mit Elektronik. Aber aus der Klassik und Romantik gibt es kaum Werke, deshalb habe ich mich früh sehr intensiv mit der Alten Musik beschäftigt und finde es heute interessant, mit diesem Wissen von „hinten“ etwa auf Beethoven zu schauen. Das bedeutet aber nicht, dass man in der Folge überall nur noch Verbotsschilder stehen hat – im Gegenteil: Es macht mich freier, weil ich die Sprache des Barock gut verstehe. Wie besetze ich einen Basso Continuo? Wie verziere ich? Wie gestalte ich den Bogenstrich? All das wollte ich immer genau wissen. Und nach vielen Jahren Praxis geht man ganz selbstverständlich damit um.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199100_image" /></div> <BR /><b>Spielen Sie auch auf neueren Entwicklungen Ihres Instruments?</b><BR />Oberlinger: Gelegentlich – zum Beispiel auf der sogenannten Helderflöte, die mit einem beweglichen Windkanal fast wie eine Klarinette funktioniert und viele Klappen hat. Damit kann man sehr leise ins hohe Register wechseln. Ich setze sie manchmal ein, aber eigentlich schätze ich an der Blockflöte ihre Direktheit – auch wenn es manchmal komplizierter ist, bestimmte klangliche Ergebnisse zu erzielen, man muss oft mit den Löchern und der Luftgeschwindigkeit lavieren, um Intonationsprobleme auszugleichen. Diese Flexibilität macht mein Instrument aus und gefällt mir – deshalb greife ich meist zu historischen Nachbauten von Blockflöten, nicht zur modernen Klappenversion.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199103_image" /></div> <BR /><BR /><b>Ihr Auftritt in Bozen ist Teil Ihrer ersten Tournee mit dem EUBO, dem European Union Baroque Orchestra?</b><BR />Oberlinger: Genau, das ist ein großartiges Projekt, das unbedingt weiter gefördert gehört. Im Juni hat das Ensemble des EUBO, mit dem ich nun arbeite, mit dem japanischen Barockgeiger Shunske Sato bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci gespielt, wo ich seit 2019 Intendantin bin – ein fantastisches Konzert, vom Publikum begeistert aufgenommen. Mit genau dieser Gruppe bin ich nun auf Tournee – und ich freue mich riesig darauf, mit ihnen zu arbeiten. Das Niveau in der Alten Musik hat sich enorm entwickelt – das zeigt sich auch bei solchen Ausbildungsorchestern.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199106_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie sind beim EUBO gleichermaßen Solistin wie Dirigentin, gibt es historische Vorbilder? Hat ein Telemann etwa als Interpret auch dirigiert?</b><BR />Oberlinger: Telemann hat die verschiedensten Instrumente gespielt, war also Autodidakt. Und man merkt, dass er Flöte gespielt hat – so wie er für das Instrument schreibt: Es liegt gut und hebt sich klar vom Orchester ab, er lässt die Flöte strahlen, fast trompetenhaft, wie er selbst in seiner Autobiografie schreibt. Ursprünglich gab es ja keine Dirigenten im heutigen Sinn. Geleitet wurde meist vom Cembalo, vom Basso Continuo oder vom Soloinstrument aus.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199109_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wie sind Sie ursprünglich zum Dirigieren gekommen? Ergab sich das aus Ihrer Lehrtätigkeit am Mozarteum?</b><BR />Oberlinger: Zum Dirigieren kam ich eigentlich über die Leitung meines eigenen Ensembles, des Ensemble 1700. In Potsdam produzieren wir, seit ich dort Intendantin bin, jedes Jahr eine große Barockoper. Seitdem dirigiere ich auch zunehmend an modernen Opernhäusern. Wie bei vielen Karrieren in der Alten Musik hat sich das organisch entwickelt – aus der Rolle der Prima inter Pares. Man kommt mit einem anderen Zugang zum Dirigieren als von der klassischen Kapellmeisterausbildung. Es geht auch um gutes Proben, das Wissen um die Parameter der Alten Musik zu vermitteln: Artikulation, Tempi, Charakteristik der Tanzsätze, Takthierarchien, Ornamentik – all diese Feinheiten der barocken „Sprache“, die nicht in der Partitur stehen. In dieser Funktion bin ich dann quasi Coach – und werde als solche auch von modernen Orchestern eingeladen.<BR /><BR /><BR /><b>Termin:</b> 10.8., 20.30 Uhr, Schloss Maretsch Bozen<BR /><BR />Beim <a href="https://www.bolzanofestivalbozen.eu/de/veranstaltungskalender-antiqua/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Festival Antiqua</a> spielt das European Union Baroque Orchestra mit unter der Leitung der 1969 in Aachen geborenen Dorothee Oberlinger.