„Nozze di Figaro“ von Mozart hatten in seiner Kindheit eine große Bedeutung, Schönheit hat für den Musiker mit Wahrhaftigkeit zu tun und von den Kunstkritikern wünscht er sich, dass sie zu Botschaftern der Kunst werden.<BR /><BR />Von Manuel Lavoriero<BR /><BR /><BR /><b>Können Sie sich an Ihr erstes Werk erinnern, das Sie erschaffen haben?</b><BR />Antonius Widmann: Ja, natürlich! Es war ein Klavierstück mit dem Titel „kleine Melodie“, stand in A-Dur und war ungefähr 3 Seiten lang. Ich hatte damals nicht die geringste Ahnung von Harmonielehre usw. und habe quasi alle Zusammenklänge einzeln ausprobiert und damit sehr lange gebraucht, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war. Trotzdem strotzt es vor Fehlern und ist zudem weder von der Textur noch vom harmonischen Geschehen her in irgendeiner Weise spannend. Es hängt aber bei uns daheim in Wien an der Wand, damit ich mich immer an meine bescheidenen Anfänge erinnere. <BR /><BR /><BR /><b>Welches Werk hat Sie bewogen, diesen Weg einzuschlagen?</b><BR />Widmann: Ich war in meiner Jugend ein sehr leidenschaftlicher Mozart-Fan. Ich verehre seine Kunst nach wie vor, habe aber meinen Horizont natürlich mit der Zeit und den Studien wesentlich erweitert. „Nozze di Figaro“ war die Oper meiner Kindheit, und wenn ich mal alleine daheim war, habe ich mir immer wieder die Inszenierung von den Wiener Festwochen 2001 aufgelegt, die meine Eltern auf Videokassette aufgenommen hatten. Daher war es viele Jahre lang mein Hauptziel, eines Tages so eine Oper zu komponieren. Starken Einfluss hatte auf mich damals auch die Erzählung in Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ von der Entstehungsgeschichte des Messias von Händel. Eher schwärmerisch aus heutiger Sicht, aber damals hat mich das ungeheuer fasziniert. <BR /><BR /><BR /><b>Gibt es ein Ereignis, das Ihr Weltbild total verändert hat?</b><BR />Widmann: Ein einzelnes Ereignis eigentlich nicht. Aber ich halte es doch für normal, dass man mit der Zeit, mit dem Älter- und Reiferwerden und gewissen Veränderungen in der Lebensrealität doch auch gewisse Ansichten und Einstellungen adaptiert. Als Jugendlicher war ich sehr schwärmerisch und fast schon romantisch begeisterungsfähig in Sachen Musik. Später entwickelte ich im Studium fast eine Art Avantgarde-Snobismus. Inzwischen sehe ich Musik in erster Linie als Beruf, den man eben ausübt. Sie ist mein liebstes Hobby, aber auch nicht das Einzige und Wichtigste auf der Welt und v.a. ist sie es sicher nicht wert, dass man sich mit irgendwem darüber streiten sollte, welche Musik irgendwie besser oder wertvoller ist oder nicht. Jede Musik hat als Ausdruck eines Lebensgefühls, als Beschäftigungstherapie, als kreatives Spiel, egal als was, seine Berechtigung. <BR /><BR /><BR /><b>Mehr denn je hat sich in dieser Zeit gezeigt, dass die Gesellschaft Kultur braucht, weil…</b><BR />Widmann: Natürlich könnte man jetzt ins Feld führen – wie es viel zu viele meiner Kolleginnen in letzter Zeit immer wieder getan haben –, dass jeder Song und jeder Film, mit dem man sich in den letzten Monaten die viele Zeit zu Hause vertrieben hat, das Resultat professionell künstlerischer Betätigung sind. Umgekehrt sollte man aber schon auch die Bescheidenheit haben einzusehen, dass natürlich Gesundheit, Sicherheit, ein Dach überm Kopf, ein finanzielles Grundauskommen und Nahrungsmittelversorgung noch einmal weit wichtiger sind. Musik – speziell zeitgenössische Musik oder sagen wir hoch artifizielle Kunstrichtungen und -produkte – sind eben doch irgendwo ein Luxus. Das muss man aber ohnehin wissen, bevor man sich für diesen Weg entscheidet. <BR /><BR /><BR /><b>Wer ist für Sie der bedeutendste Künstler der Geschichte?</b><BR />Widmann: Das kann ich unmöglich beantworten. Vielleicht bin ich in dieser Sache zu stark vom akademischen Musikwissenschaftsstudium beeinflusst, in dem Qualitätsurteile ein rotes Tuch sind. Ist es Guido von Arezzo, der die Notenschrift erfunden hat? Ist es Jacopo Peri als Erfinder bzw. Wegbereiter der Oper? Ist es Schönberg, der die Dissonanz gegenüber der Konsonanz emanzipiert hat? Jede dieser Persönlichkeiten hat ihren berechtigten Platz in der Geschichte und leider erinnert man sich gemeinhin an viel zu wenige Einzelne. Es wären noch so viele andere erwähnenswert, deren Namen heute kaum jemand kennt. Leider beschränkt sich die Rezeption viel zu oft auf eine viel zu eng bemessene Art „Best-of“-Auswahl.<BR /><BR /><BR /><b>Welche Frage würden Sie diesem Künstler gerne stellen?</b><BR />Widmann: Die Frage erübrigt sich ja aufgrund meiner Antwort oben irgendwie. Ich würde vielen Komponisten und Künstlern der Vergangenheit gerne Fragen stellen. <BR /><BR /><BR /><b>Was bedeutet für Sie Schönheit?</b><BR />Widmann: Schönheit hat mit Wahrhaftigkeit zu tun. Wenn etwas echt ist, etwas Echtes darstellt, ausdrückt oder zumindest auf etwas Echtes anspielt. Diese Eigenschaft ist, glaube ich, auch wesentlich, damit ein Kunstwerk über die Zeiten aktuell bleibt und somit nicht auf der Müllhalde der Geschichte landet, wie Werke, die ganz einfach nicht „stimmen“. Gekünsteltes mag ich nicht. Nur leider ist es viel zu einfach, Echtheit in ihrem äußeren Erscheinungsbild nachzuahmen und so zu tun, als wäre die eigene Kunstproduktion von irgendeiner Relevanz.<BR /><BR /><BR /><b>Der französische Poet Théophile Gautier prägte den Begriff “L’art pour l’art“ (Kunst der Kunst willen) und machte so 1835 erstmals die Kunst selbst zum Thema. Einen Luxus, den man sich heute noch leisten kann?</b><BR />Widmann: Da kann ich gut bei der oberen Antwort anknüpfen. Die Einstellung, dass Kunst ein Selbstzweck wäre, ist meiner Meinung nach ein hochnäsiger Versuch, die eigene Irrelevanz zu überspielen. Natürlich gibt es einen Markt und eine Szene und eine Community, in der andere Regeln gelten als im Verhältnis von Kunst zur Gesellschaft außerhalb der Kunst-Community. Aber sich nur noch auf letztere zu beziehen, halte ich für verfehlt. Daraus entsteht allzu leicht ein Mode-orientiertes Produkt, das sich an der momentanen Nachfrage einer ganz kleinen Eingeweihtenkaste orientiert und eben nichts die Zeiten Überdauerndes bzw. „Echtes“ an sich hat. Ich wage sogar die Unterstellung, dass Abkehr vom Publikum und völlige Eigenreferenzialität häufig aus einer kleinkindlichen Kränkung heraus entstehen: Viele von uns Kunstschaffenden haben einmal davon geträumt, mit der eigenen Kunst die Leute zu begeistern. Wenn man dann sieht, dass der absolute Durchbruch nur einer ganz kleinen Spitze des Eisbergs beschert ist, kann das den kleinen Narzissten in uns schon einmal enttäuschen.<BR /><BR /><BR /><b>Und was würden Sie gerne einmal einem Kunstkritiker sagen?</b> Widmann: Kunstkritikerinnen sollte man ebenso wenig über einen Kamm scheren wie irgendwen sonst. Ich kenne Leute von inspirierender Treffsicherheit in ihrem Urteil. Andere natürlich kommen weniger gezielt aufs Wesentliche zu sprechen. Insgesamt denke ich, dass sich auch Kunstkritik zu oft am Kennerdiskurs entlang handelt. Für Fachzeitschriften mag das berechtigt sein. Aber auf massenmedialen Plattformen sollte öfter von weniger Insiderwissen ausgegangen werden. Stattdessen könnte man versuchen, auch bei einem unbedarfteren Publikum Interesse für Kunst zu wecken. Und das gelingt sicher nicht, wenn man stattdessen die Erbse unter der Prinzessin beanstandet. Alles, was sehr gut ist, wird so erst gar nicht erwähnt, sondern es werden nur minimale Makel hervorgehoben, die vielen gar nicht erst aufgefallen wären. Da kann es nicht verwundern, dass kein breites Interesse an „Hochkultur“ besteht. Kunstkritiker haben da ja meistens auch eine wie auch immer gelagerte Leidenschaft dafür. Dann könnten sie sich doch als Botschafter verstehen und zwar nicht alles durchgehen und unkommentiert lassen, aber doch auch ein bisschen werben.<BR /><BR /><BR /><b>Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?</b><BR />Widmann: Im Vaterschaftsurlaub vielleicht? Beruflich kann ich das nicht im Geringsten vorhersagen. Eine Anstellung im Kulturmanagement wäre nett. <BR /><BR /><BR /><b>Harmonie beudeutet für mich…</b><BR />Widmann: Die korrekte musiktheoretische Anwendung eines satztechnischen Regelwerks. <BR /><BR /><BR /><b>Mein Ort der Harmonie ist…</b><BR />Widmann: zu Hause in Wien mit meiner Freundin Daniela und unseren Katzen. <BR /><BR /><BR /><b>Die „Whos“ des Künstlers…</b><BR /><BR /><b>Name:</b> Antonius Widmann<BR /><b>Alter:</b> 28 <BR /><b>Abstammung:</b> halb Südtiroler/halb Wiener, geboren in Wien, Schulzeit in Südtirol (Oberbozen und Bozen), Studium in Wien<BR /><BR /><BR /><b>Wo Sie überall gelebt haben:</b> Geboren bin ich in Wien, wo ich meine ersten 4 Lebensjahre verbrachte. Bis zur Matura habe ich dann in Oberbozen am Ritten gewohnt. Seither wohne ich in Wien. Zwischenzeitlich gab es für Praktika u.a. mehrmonatige Aufenthalte u.a. in Vorarlberg und im Schwarzwald. <BR /><BR /><BR /><b>Wo Sie jetzt leben:</b> Wien<BR /><BR /><BR /><b>Wie war Ihr Werdegang zum Künstler:</b> Wir haben in der Familie früher viel gesungen und meinen Eltern war es immer wichtig, dass meine Brüder und ich je ein Instrument lernen. Mit 5 oder 6 habe ich in der örtlichen Musikschule angefangen, Blockflöte zu lernen. Nach etwas über einem Jahr habe ich Klavier bei einer Privatlehrerin dazu genommen, die in der Nähe gewohnt hat. Bei ihr habe ich dann bis zur Matura studiert. Ich war als Kind andauernd am Kreieren, habe Grundrisse für Häuser entworfen, Gedichte und Theaterstücke verfasst, Bilder gemalt usw. Mit ungefähr 15 Jahren habe ich dann quasi als logisch folgenden nächsten Schritt angefangen, auch Melodien aufzuschreiben und sehr einfache Kompositionen zu entwerfen. Bald darauf wurde an unserer Schule ein Wahlfach „Grundlagen des Komponierens“ angeboten, das ich mit Begeisterung belegt habe. Daraus wurde Privatunterricht in Tonsatz und Gehörbildung beim Südtiroler Komponisten und Chorleiter Armin Thomaser. In derselben Zeit habe ich auch angefangen, Orgel zu spielen und den Kirchenchor Oberbozen ab und zu bei Festmessen zu begleiten. <BR /><BR /><BR /><b>Was haben Sie studiert:</b>: Nach der Matura ergab sich die Frage nach einem Studienort und -fach. Ich wollte damals die Aufnahmeprüfung für Komposition an der Wiener MdW versuchen, der Prüfungstermin fiel aber mit meiner schriftlichen Matura zusammen und so ergab es sich nicht. Ich habe dann altgriechische Philologie an der Wiener Hauptuni und gleichzeitig Komposition am privaten Franz Schubert Konservatorium in Wien bei Roumen Dimitrov belegt. Nach einem Jahr habe ich Altgriechisch gegen Musikwissenschaft getauscht und am FSK Klavierpädagogik als zweites Hauptfach dazu genommen. 2015 habe ich dann mit dem Kompositionsstudium an der Wiener MUK (Musik und Kunst Universität der Stadt Wien) bei Christian Minkowitsch begonnen. Im Frühling 2019 habe ich bei Dirk D'Ase meinen Bachelor in Komposition gemacht und im selben Jahr meinen Master in Musikwissenschaft abgeschlossen. Der Masterabschluss in Komposition an der MUK ist für Juni 2021 vorgesehen.<BR /><BR /><BR /><b>Wo sind Sie schon überall aufgetreten:</b> Davon gab es in all der Zeit natürlich einige. Ein paar denkwürdige kann ich aber erwähnen: Zunächst fällt mir da der „Orch.ideen Walzer“ ein, den ich zur Eröffnung meines Maturaballs im Meraner Kursaal 2011 komponiert habe. Aus heutiger Sicht ist mir die Komposition fast schon peinlich in ihrer Banalität und Undurchdachtheit. Aber ich war damals natürlich wahnsinnig stolz, meinen Walzer im Radio bei den Ballankündigungen und dann im Saal vor großem Publikum zu hören. Ein weiterer Meilenstein war für mich, wie eine der Hauptrollensängerinnen bei den Bregenzer Festspielen 2016, Dshamilja Kaiser, von mir am Klavier begleitet bei einer Afterparty eine Liedkomposition von mir uraufgeführt hat. Von besonderer Bedeutung waren für mich außerdem eine Uraufführung bei den Sterzinger Osterspielen 2017 durch das Ensemble Chromoson auf Einladung von Hannes Kerschbaumer, eine Uraufführung bei Wien Modern 2018 und eine Uraufführung beim Festival „Two days and two nights of new music“ 2019 in Odessa. Abgesehen davon waren alle Uraufführungen von Eigenkompositionen bei der Veranstaltungsreihe „Musik und Wien“, die ich seit 2018 mit Aaron Chauvet-Kümpfel leite, Highlights. Als Ausführender waren speziell alle Auftritte mit dem von mir gegründeten und geleiteten Chor X Höhepunkte. <BR /><BR />Ein tolles Erlebnis war es auch, im Januar 2018 als Vertretung für André Comploi mit dem Chor „Cantus iuvenis“ im Wiener Stephansdom aufzutreten. Und als Pianist bzw. Ensembleleiter waren besonders die Auftritte bei Wien Modern denkwürdig. Einen speziellen Platz in meiner Erinnerung haben auch die beiden Kirchenkonzerte, die ich 2018 und 2019 beim Europäischen Forum Alpbach initiiert, programmiert und als Organist/Ensemblesänger unterstützt habe. Über kommende Auftritte kann ich leider aufgrund der momentanen Situation der Kunstbranche weltweit nicht viel sagen. Im Raum stehen die Uraufführung eines Klavierwerks, das ich für den Südtiroler Pianisten und Komponisten Mathias Schmidhammer für einen Klavierabend im Wiener Mozarthaus komponiert habe, außerdem die Uraufführung eines Auftragswerkes für Cembalo, Viola da Gamba, Bratsche und Saxophon, und eventuell – wenn Corona es zulässt – ein kleines Orchesterwerk im Radiokulturhaus Wien. <BR /><BR />