Matthias Mayr war schon als künstlerischer Leiter der Klangfeste (seit 2011) auf Schloss Runkelstein und Schloss Maretsch sowie von Pauls Sakral (seit 2018) in St. Pauls tätig. Welche Schwerpunkte will er als Leiter des Bozner Konzertvereins setzen?<BR /><BR /><b>Was war das Wichtigste, was Sie von Ihren bisherigen Erfahrungen als künstlerischer Leiter mitnehmen können?</b><BR />Matthias Mayr: Noch wichtiger waren für mich die Erfahrungen, die ich seit 1997 für 15 Jahre beim Kammermusikfest Lockenhaus gesammelt habe. Im Dimensionsvergleich sind das 50 Stunden Musik gegenüber den Klangfesten mit 8 Stunden. Was ich von Lockenhaus und auch den Klangfesten gelernt habe, ist die Tragweite des Einfühlvermögens eines künstlerischen Leiters, der selbst ein Musiker ist. Es ist zwar keine absolute Dringlichkeit, aber ein solcher Zugang birgt viele Vorteile bei der Organisation.<BR /><BR /><b>Ihr Vorgänger, Josef Lanz, hat verstärkt auf junge viel versprechende Künstler gesetzt. Werden Sie da anknüpfen?</b><BR />Mayr: Das muss auch weiterhin so sein. Ich glaube, es ist wichtig, sich auf die Fahne zu schreiben, dass wir jungen Künstlern eine Bühne bieten. Aber es geht um mehr. Wir müssen die richtige Balance zwischen arrivierten Künstlern und denjenigen, die es erst noch zu entdecken gilt, finden. Mittlerweile ist der Konzertverein Bozen aber so breit aufgestellt, dass der Inhalt eine im Vergleich wichtigere Rolle einnimmt. Da spreche ich dann von der eigenen Handschrift. Als künstlerischer Leiter möchte ich ein einzigartiges Angebot liefern. Dabei ist eine Synergie mit anderen Veranstaltern notwendig.<BR /><BR /><b>Da Sie von Synergien sprechen: Wie steht es um Kooperationen mit anderen Kultur- und Musikveranstaltern in Südtirol?</b><BR />Mayr: Nicht nur innerhalb Südtirols – der Konzertverein bildet einen Grenzpunkt vom Norden in den Süden und umgekehrt. Es gilt, Türen aufzumachen, nicht nur durch Zusammenarbeit mit Konzertveranstaltern in Südtirol, sondern auch über die Grenzen unseres Landes hinweg. Im Jahr 2023 gelingt das dem Konzertverein Bozen durch eine Zusammenarbeit mit der musikalischen Jugend in Gröden und mit dem Südtiroler Kulturinstitut in Bruneck. Für die nächsten 3 Jahre haben wir uns vorgenommen, mindestens 3 Konzerte pro Saison gemeinsam mit den beiden anderen Kulturveranstaltern zu organisieren.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57011405_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Was sind nun Ihre Vorhaben für die neue Saison des Bozner Konzertvereins, bzw. was wollen Sie anders machen?</b><BR />Mayr: Wir als Konzertverein wollen uns mehr der Sensibilisierung von jungen Musikern widmen, indem wir einen weiteren Schritt auf Schulen und andere Institutionen zumachen, wo junge Menschen bereits ein Instrument erlernen: Mittel- und Oberschulen mit musikalischer Ausrichtung, Musikschulen und das Konservatorium. Bozen sehe ich als aufstrebende Studentenstadt, für die kulturell wichtige Inhalte musikalischer Natur organisiert werden müssen.<BR /><BR /><b>Dabei ist die Vermittlung von Kammermusik sicherlich nicht so einfach... Wie wollen Sie die Jugend für dieses Musikgenre begeistern und so mehr Zuschauer in den Konzertsaal locken?</b><BR />Mayr: Junge Menschen für Kammermusik zu begeistern ist ein langer und schwieriger Prozess. Da gehören viele Faktoren dazu, neben Veranstaltungen auch die Schule und das Elternhaus. In Südtirol gibt es bereits ein breites Angebot von Mischveranstaltungen und Avantgardefestivals, wo junge Menschen an diese Art der Musik herangeführt werden. Ich finde das auch überaus spannend. Das ist aber nicht der Konzertverein Bozen und das wird er auch nicht in naher Zukunft sein: Wir sind ein traditionsreicher und inhaltlich wertvoller Verein für Kammermusik.<BR /><BR /><b>Welchen Schwerpunkt haben sie auf das Programm 2023 gelegt?</b><BR />Mayr: Der Schwerpunkt bei meiner Arbeit ist immer die Entdeckung von Neuem, nicht nur in Bezug auf Künstler, sondern auch hinsichtlich des Inhaltes. Beim Konzertverein Bozen treffe ich dabei auf die Herausforderung, dass dessen Identität bereits gefestigt ist und ich das Programm nicht komplett umkrempeln kann. Stattdessen habe ich mich für den langsamen Übergang zu einem neueren Repertoire entschieden. Das muss aber mit den Klassikern der Kammermusik kombiniert werden. Ich will kein Programm, wo für „alle“ etwas dabei ist. Dies widerspricht der Kernidentität eines Kammermusik-Konzertes. Was das Programm 2023 anbelangt, so werden wir ein preisgekröntes geistliches Konzertformat in Bozen spielen, das seit 2 Jahren im Umlauf ist: Die Johannespassion mit nur 3 Musikern. Mitbeteiligt ist hier auch Philip Lamprecht, ein Südtiroler Schlagwerker, der international als Solist unterwegs ist. Ein weiteres Projekt wird mit dem Ensemble „Desiderio“ realisiert. Dieses wird 3 Mal in Südtirol im Rahmen der Synergie zwischen Südtiroler Kulturinstitut, Musikalischer Jugend Gröden und Konzertverein auftreten. Diese jungen Musiker kombiniere ich mit einem der Finalisten des Busoniwettbewerbs 2021, Lukas Sternath. Außerdem kann ich sagen, dass wir nicht nur das Konservatorium als Spielstätte nutzen werden, sondern auch das Cristallo-Theater mit einem Kinderkonzert. Neue Spielorte sind im Gespräch.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57011409_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sie selbst spielen Cello schon von Klein auf. Was hat Sie schon damals an der Kammermusik begeistert?</b><BR />Mayr: Das Erlernen und Spielen eines Instruments ist eine wunderbare Freizeitaktivität. Natürlich ist es mit viel Mühe verbunden, doch das Großartige daran ist, dass es Menschen zusammenbringen kann: Aus Gleichgesinnten können sich Trios, Quartette, usw. bilden, die zusammen viele Etappen in der Musikwelt erreichen können. Wir als Konzertverein haben in diesem Kontext die Aufgabe zu stimulieren: Deshalb gehen wir 2023 mit verschiedenen Musikern und Musikerinnen an Schulen, um vor Ort, Schüler mit dem „Profi“ zu konfrontieren. <BR /><BR /><b>Und wie sehen Sie die Rolle der sozialen Netzwerke wie etwa Instagram bei der Vermarktung von Kulturveranstaltungen?</b><BR />Mayr: Heutzutage braucht eine Kulturveranstaltung unbedingt soziale Netzwerke, wie etwa Instagram zur Imagepflege und um präsent zu sein. Ich zweifle aber manchmal daran, ob die Wirkung über eine oberflächliche hinausgeht. Auch auf Instagram, Facebook & Co. muss ganz genau überlegt werden, wie ich mich ins „Gespräch“ bringe. Das ist nach wie vor eine Herausforderung. Ich glaube, die beste Lösung ist es, sich bei dieser Aufgabe von jenen beraten zu lassen, die am meisten davon verstehen: der Jugend selbst.<BR /><BR /><b>Der Konzertverein Bozen ist der älteste Musikverein Südtirols. Fühlen Sie sich als solcher von der Landes- und Stadtpolitik genügend unterstützt oder würden Sie sich mehr erwarten?</b><BR />Mayr: In Südtirol gibt es ein großes Sammelsurium von Veranstaltungen im Kulturbereich. Hier muss von Seiten der Politik klar kommuniziert werden, was für sie wichtiger ist und was weniger. Aus diesem Grund bin ich kein Freund des Gießkannenprinzips. Als künstlerischer Leiter des Konzertvereins möchte ich aber festhalten, dass eine Veranstaltungsreihe wie unsere – immerhin gibt es uns seit fast 170 Jahren –, Anlass zu einem gewissen Stolz sein sollte. Vor allem von Seiten der Stadt! Deshalb werde ich die Kommunikation mit den Verantwortlichen vermehrt suchen.<BR /><BR /><b>Zuerst die Pandemie und nun auch der Krieg in der Ukraine haben die Kulturszene sehr getroffen – besonders finanziell...</b><BR />Mayr: Corona hat für mich persönlich zu einem Moment des Aufatmens geführt, in dem Kulturverantwortliche die Möglichkeit hatten, über neue Konzertformate zu diskutieren. Das traf sich gut, weil ich glaube, dass klassische Musikkonzerte sich wandeln müssen. Jetzt sehe ich die Zeit gekommen, sich im Konzertbetrieb neu zu erfinden. Dazu braucht es aber Mut!<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="833669_image" /></div> <BR />ZUM PROGRAMM<BR /><BR />+ von C.f.Pichler<BR /><BR />Es beginnt mit Musik im Spiegelsaal des Konservatoriums, wo der Präsident Anton von Walther am Klavier und der neue künstlerische Leiter Matthias Mayr mit dem Cello ein „Stück“ von Brahms musizieren und wenig später auch noch Rühriges von Pablo Casals. <BR />Das tut gut, hat Flair, aber naturgemäß gilt es dem Konzertprogramm von 2023, das Matthias Mayr als begnadeter Rhetoriker so a prima Vista ohne Pressetextvorlage und nur mit dem Programmfolder mit freudiger Begeisterung präsentiert oder besser beschreibt: „Es ist so fein hier zu sein, denn das Konservatorium führte uns zusammen und nun gehen wir auf Entdeckungsreisen!“ <BR />So Mayr, nachdem der Direktor Giacomo Fornari in seiner Begrüßungsansprache sich sehnlichst für das vielfältige Miteinander durch die Musik ausspricht, die unsere 3 Volksgruppen zusammenführt. Zu erwähnen ist auch, dass dem scheidenden künstlerischen Leiter Joseph Lanz, neben einem (Wein)Präsent mit viel anerkennendem Applaus gedankt wird. <BR />Mayr spricht nicht so sehr über die einzelnen Konzerte, die bis dato „nur“ bis Juni festgelegt sind, – die übrigen folgen wohl, ob der letztgültigen Planung, in einer späteren Vorstellung – sondern er erklärt mit lächelndem Enthusiasmus das Wichtige und vor allem die Zusammenarbeit, wobei er als künstlerischer Leiter naturgemäß explizit alles unter seiner Obhut sieht, was richtig, wichtig und sehr gut ist.<BR /> Die Konzerte sind jedenfalls von höchsten Graden, und zwar ob der neuen und oft sehr jungen Künstler, die Neues oder besser Unkonventionelles interpretieren werden in verschiedenen Lokalitäten. Wie wohl erstmals im „Waltherhaus“, wo das Streichquartett „Brooklyn Rider“ neben Schostakowitsch oder Dutilleux u.a. auch Arrangements spielen wird. <BR />Doch es beginnt „klassisch“ am 7.Jänner mit Werken W. A. Mozarts, Johannes Brahms' und Friedrich Gernsheims, wenn zum 1. Mal das „Mariani Klavierquartett“ reüssieren wird. Aber nur wenig später hören wir im noblem „Merkantilgebäude“, kaum zu glauben, den Harfenisten Joel van Lerber und Juris Azers am Vibraphon, die zusammen und solistisch Transkriptionen von Arvo Pärt, Debussy spielen. Doch mit der Fantasie über ein Thema aus der Tschaikowsky Oper „Eugen Onegin“ von Ekaterina Walter Kühne (1870-1930) gibt es Erlesenes auf der Harfe und nicht weniger aufregend wird das überwältigende Vibraphon – Solo „Mourning Dove Sonnet“ von Christopher Deane werden. <BR />Der Hamburger Pianist Alexander Krichel wird anlässlich des 150. Geburtstages von Sergej Rachmaninoff (1873-1943) Honoriges des traurigen Exilrussen spielen. Zusammen mit dem Kulturinstitut und der musikalischen Grödner Jugend hören wir die exzellente Jugend des „Ensemble Desiderio“, die uns mit dem Pianisten Lukas Sternath in die herzzeitliche Welt des Bartók Freundes Ernö Dohnányi, wie in die von Lous Spor und in die ausreizende von Leoš Janácek einführen wird. Na also!<BR /> Und was mehr? Ja, denn gen Ostern gib es in der Franziskanerkirche die Bach’sche „Johannes – Passion“ und zwar für Tenor allein, mit Cembalo, Orgel und Schlagzeug, gewiss einzigartig aber nicht für konventionell mürrische Kapazunder. Wenn anschließend das „Vokals Ensemble Rajaton“ Eigenkompositionen und Folklore singen oder das „Danish String Quartett“ mit Joseph Haydn, Dimitri Schostakowitsch und dänischer (bearbeitete) Folk Music ihr Bestes geben wird, dann sind wohl alle versöhnt, ehe das „Orchester Monteverdi“ mit einer noch nicht festgelegten Musik den 1. Programmteil beendet.<BR /> Und so sind wir zum 100. Todestag von Marcel Proust (Anm.18. November) nicht „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ sondern als Quittung des Erlebten auf der Suche zur neuen Zeit, weil wir so schön – ganz nach Proust – von der Gewohnheit in den Arm genommen werden. Gratulation!<BR />Infos: https://konzertverein.org<BR /><BR /><BR /><BR />