Das Waaghaus am Bozner Kornplatz lebt. Das wurde mir vor Kurzem, während des Bozner Filmfestivals so richtig bewusst. Junge, ältere Menschen, Leute aus dem Ausland, Studenten, Filmemacher waren vor Ort, es wurde diskutiert, Filme liefen, die Stimmung war international – ich hatte das Gefühl, da entsteht etwas. Richtig aufgefallen war mir das schon während der Bolzano Art Weeks im vergangenen September: Im Keller des Waag, wie das Haus sich nennt, gab es eine Soundinstallation, unterm Dach haben Professoren der Fakultät für Design und Kunst der Freien Universität Bozen Fragen zu Kunst aufgeworfen. Und morgen findet zum ersten Mal die „Waagfesta“ statt. Zeit, mit dem Präsidenten des Vereins Waag, der das Haus mehr als nur „verwaltet“, ein Gespräch zu führen. <BR /><BR /><b>Waag ist ein Haus für einen Kaffee, Kunst- und Ticketshop, Kulturinformation- und kommunikation, Meet & Work für Besprechungen und Seminare, Keller für Konzerte, Lesungen, Performances und vieles mehr. Waag ist ein lebendiger Ort für freie Geister, gegründet am 6. November 2018. Sie sind der Vorsitzende und koordinieren inhaltlich das darin angesiedelte Kulturpotenzial. Wie schwierig ist es da, immer das Gleichgewicht zu halte?</b><BR />Klaus Widmann: (Lächelt) Meine wichtigste Aufgabe war es ursprünglich, Partner zu suchen, die zusammenpassen und zu vermitteln zwischen deren Interessen. Das scheint gelungen.<BR /><BR /><b>Das Waaghaus wurde renoviert, und wie es fertig gestellt war, kam Covid. Heute ist es ein lebendiger Ort, wo Kultur entsteht. Sie haben es als Präsident sozusagen aus dem Dornröschenschlaf geweckt…</b><BR />Widmann: (Lächelt wieder) Als ich 2014 Mitglied des Verwaltungsrates der Stiftung Sparkasse wurde, habe ich mich immer wieder mit diesem Haus im Zentrum von Bozen beschäftigt. Damals nutzte im Parterre die „Weigh Station“ das Haus als ein Zusammenschluss der „cooperativa 19“, des Fotoforum und der Cooperativa Leitmotiv. Viele junge Leute hielten sich da auf, Konzerte wurden veranstaltet, Workshops usw. Da wurde mir klar, welches Potenzial das Haus hat, welche Sichtbarkeit und, dass man dies nutzen sollte. Ich verlegte das Ticketbüro des Jazzfestivals dorthin und wollte, dass weitere Kulturinstitutionen sich ansiedeln, um gemeinsam ein Kulturprojekt zu starten.<BR /><BR /><b>Und 2018 wurden Sie dann zum Präsidenten des Kulturvereins Waag ernannt. Was waren Ihre ersten Aufgaben, welche Ziele verfolgten Sie?</b><BR />Widmann: Zu Beginn gab es inhaltliche als auch finanzielle Probleme, denn die Führung des Hauses kostet Geld. Die Stiftung hatte schon 8 Millionen für den Kauf und die Renovierung ausgegeben... Ich habe mir gedacht, wenn Kulturinstitutionen ihren Sitz ins Haus verlegen würden, dann könnten mit den Mieteinnahmen die laufenden Kosten finanziert werden. Außerdem bringen diese Institutionen einen Teil von ihrer schon finanzierten kulturellen Tätigkeit mit ein und sie könnten Gemeinsamkeiten entwickeln. Der Trägerverein kann zudem Gastveranstaltungen im Haus aufnehmen. Diese Idee wurde in der Stiftung genehmigt, die das Haus in einem Leihvertrag dem Verein übergab. <BR /><BR /><b>Danach begannen Sie mit der Suche der einzelnen Veranstalter, die im Waaghaus nun beheimatet sind...</b><BR />Widmann: Ja, das war aufwändig. Am Ende hat sich das Südtirol Jazzfestival im 2. Stock angesiedelt, dann das Filmfestival Bozen, das Bolzano Film Festival Bozen, die Fondazione Busoni-Mahler Stiftung und der Verein Weigh Station, Community junger Fachleute aus Kultur und Kreativität in Südtirol. Das 1. Stockwerk war noch frei, da wurde das Euregiobüro untergebracht. Da die einzelnen Kulturinstitutionen überregional tätig sind, so etwa das Jazzfestival mit der Euregio-Jazzwerkstatt oder das Filmfestival mit der Euregio-Schülerjury, waren die Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit gegeben. Nun hat das Euregio-Büro mehr Anbindung an Kultur und die Kulturveranstalter an die Euregio-Idee. Ich dachte mir immer: Alle Institutionen und der Kulturverein Waag bilden das Hirn, wo entwickelt wird, und Parterre wird das sichtbar. Deshalb war auch wichtig, dass dort ein kulturaffiner Partner die Bar betreibe, sonst würde das Waaghaus als Ort der Kultur nicht funktionieren. Dieses Zusammenspiel ist jetzt ideal. <BR /><BR /><b>„Waag ist Raum für Kultur in Bozen, wo Kultur geschaffen, gelebt und verbreitet wird. Waag ist im steten Wandel. Die Bewohner des Hauses leben von und für die Kultur, und lassen sie in verschiedenen Formen entstehen“, steht auf der Homepage. Was wurde seit Beginn der Tätigkeiten im Haus schon realisiert?</b><BR />Widmann: Viel (lächelt). Wir sind Anfang 2020 eingezogen. Die Pandemie hat uns natürlich massiv abgebremst, irgendetwas gemeinsam zu planen. Nach den Covid-Beschränkungen ist das Haus immer stärker bespielt worden. Dadurch konnten wir zwar die Kosten der Führung des Hauses decken, aber für die Eigentätigkeit des Hauses war kein Geld vorhanden. Im Vergangen Jahr habe ich dann um einen Beitrag für das Haus angesucht, dieser hat es ermöglicht, ein interessantes Programm zu veranstalten, und wir haben erkannt, wie groß das Potenzial von Waag ist. Es finden Poetry Slams statt, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Workshops, die Euregio-Kulturdonnerstage… Während des Filmfestivals wurden Filme gezeigt, Diskussionsrunden werden veranstaltet...<BR /><BR /><b>Kann man also sagen, alle Institutionen sind glücklich vereint unter einem Dach: Welche Berührungspunkte gibt es?</b><BR />Widmann: Da gibt es einige. So sind in allen Gremien unseres Vereins Mitglieder dabei, die zum Haus gehören, wodurch wir in den Entscheidungsfindungen schnell gemeinsame Sache machen. Und dann gibt es Berührungspunkte was das Organisatorische anbelangt und die Richtlinien, die man sich gibt. Außerdem besteht der künstlerische Beirat zum Großteil aus Mitgliedern der Kulturparter im Haus. Da gibt es immer wieder künstlerische Kooperationen. Und einoperatives Team von 3 Leuten organisiert die Veranstaltungen.<BR /><BR /><b>Und was wünschen Sie sich für die Zukunft von Waag ? </b><BR />Widmann: Es wäre schön, wenn das Waaghaus noch mehr zum Drehpunkt wird – auch für Südtiroler im Ausland. Wichtig wäre, dass Kulturtreibende außerhalb von Bozen das Waaghaus als ein Schaufenster für ihre Anliegen sehen würden. <BR /><BR /><b>Ich habe schon einige Gespräche mit Ihnen geführt, damals als Künstlerischer Leiter des Südtirol Jazzfestivals. Immer habe ich Ihren Enthusiasmus für die Sache, Ihre sprudelnden Ideen, Ihre totale Überzeugung für das, was sie machen, gespürt. Im vergangenen Dezember sind Sie „doppelt in Pension gegangen“ als Basisarzt und nach über 30 Jahren als Präsident des Südtirol Jazzfestivals. War es schwer loszulassen?</b>Widmann: Ich habe immer gesagt, wenn ich gehe, gehe ich ganz. <BR /><BR /><b>Vor einigen Tagen haben die 3 neuen künstlerischen Leiter des Südtirol Jazzfestivals das Programm 2023 bekanntgegeben. Steckt da noch ein wenig Ihre Handschrift drin?</b><BR />Widmann: Das haben Stefan Festini Cucco, Roberto Tubaro und Max von Pretz zusammengestellt. <BR /><BR /><b>In einem Interview haben Sie mir einmal geantwortet: „Jazz ist eine Lebenseinstellung.“ Warum Jazz, was hat Jazz, was andere Musikgenres nicht haben?</b><BR />Widmann: Jazz ist immer auf der Suche nach Neuem und beschäftigt sich nur teilweise mit Bekanntem. Die Jazzer sind die Abenteurer unter den Musikern, die ein nicht so großes Sicherheitsbedürfnis haben, Vertrautes zu machen oder zu hören. Sie riskieren auch Unlust zu bewirken, sich vom Wohlklang zu entfernen. Wer sich darauf einlässt, kann neue Dimensionen der Musik entdecken. Insofern ist Jazz für mich eine Lebenseinstellung.<BR /><BR /><b>Jazz hat in Südtirol keine lange Tradition, und doch ist mit dem Jazzfestival Südtirol im Land ein „Jazz-Fieber“ entstanden. Wie konnte das gelingen?</b><BR />Widmann: Ein wesentlicher Faktor war die Tatsache, dass es in mir brannte, etwas, das ich so sehr liebe und von dem ich überzeugt bin, dass es bereichernd ist, anderen zu vermitteln. Außerdem war mir nicht nur die Musik wichtig, sondern auch der Kontext, in dem sich die Musik abspielt. Ich wollte immer junge Musiker miteinbeziehen, die experimentieren durften, wodurch eine Community entstand. In meinem Leben spielen auch Sport, Landschaft und Natur eine wichtige Rolle. Das Zusammenspiel von Musik und der Atmosphäre, die von Orten ausgeht, haben die Authentizität des Festivals ausgemacht, und genau dies hat die Menschen erreicht. <BR /><BR /><b>Wer waren bei den „Jungen“ die aufregendste Entdeckung?</b><BR />Widmann: Die Musiker, die hierher kamen, hatten schon alle ein gutes Niveau, standen aber am Anfang ihrer Karriere. Viele sind dann über Projekte, die hier entstanden sind, weltweit herumgekommen: Die Sängerin Leila Marcial, der Sänger und Komponist Andreas Schaerer, der Gitarrist Francesco Diodati, die Saxophonisten Dan Kinzelman oder Pauli Lyytinen und die Sängerin und Komponistin Anni Elif, um nur einige zu nennen. Wichtig war mir immer, dass die Musiker bereit waren, mit mir zusammen kreativ zu arbeiten. Ich habe nie Musiker von Managern gebucht, sondern habe sie persönlich kontaktiert und versucht zu verstehen, was sie gerade machen und in welche Richtung sie sich entwickeln. <BR /><BR /><b>In den vergangenen 10 Jahren war das Jazzfestival eine Entdeckungsfahrt durch Europa, was bleibt diesbezüglich Ihren Nachfolgern?</b><BR /> Widmann: Ein riesiger Fundus von Musikern, Kollektiven und ein Netzwerk mit anderen Veranstaltern. Wenn ich etwa einen Länder-Schwerpunkt festgelegt habe, so habe ich über Youtube recherchiert, habe mir Programme angeschaut und bin so auf neue, unverbrauchte Musiker gestoßen außerhalb der üblichen Szene.<BR /><BR /><b>Eine wichtige Veranstaltungsreihe Ihres Jazzfestivals war auch „Culture meets Economy“. Da wurde über den Mehrwert der Kultur für die Wirtschaft nachgedacht, was heute Dauerthema ist. Welche Erkenntnisse konntest Sie daraus gewinnen?</b><BR />Widmann: Als ich nach dem Studium von Wien nach Südtirol zurückkehrte, stellte ich mir vor, hier etwas Zeitgenössisches entstehen zu lassen, ein Produkt, das so eine Leuchtkraft und Qualität hat, dass es im Ausland wahrgenommen wird. Südtirol sollte mehr sein als das übliche Klischee.<BR /><BR /><b>Blicken wir über den Tellerrand: Welches Echo hat das Südtirol Jazzfestival im Ausland erlangt, wie stellt es sich im internationalen Kontext auf?</b><BR />Widmann: Es war immer meine Absicht, internationales Publikum nach Südtirol zu bringen, was zu Beginn nicht einfach war, doch mittlerweile kommen 60 Prozent der Besucher aus dem Ausland. Auch Leiter von anderen Jazz Festivals sowie viele Journalisten aus New York, Helsinki, London oder Schweden besuchen das Festival. <BR /><BR /><b>Experimente eingehen, das war sicherlich auch ein fixer Bestandteil Ihrer Programmgestaltung: In der „Saslonch Suite“ etwa ging das Südtirol Jazzfestival neue Wege, „die sich an der 1000 Meter hohen Saslonch-Wand in den Grödner Dolomiten kreuzen“, sagten Sie 2014. Kletterer, Slackliner, Basejumper und Jazzmusiker gingen eine Verbindung ein: Berg und Musik verschmolzen zu einem Spektakel, das mit natürlichen Soundeffekten und Echoklängen arbeitete – begleitet von Weltklassemusikern...</b><BR />Widmann: Den Berg, den Sport und die Musik zusammen zu bringen, hieß, meine 3 Welten zu vereinen. Für solch ein Abenteuer einzelne Musiker zu finden, war eine Herausforderung. In diesem Projekt steckt alles drin, was das Jazz Festival ausmachte. <BR /><BR /><b>„Chaordisch“ ist ein schönes Wort. Der Kreditkarten-Tycoon Dee Hook hat es vor fast 30 Jahren erfunden, um die fruchtbare Koexistenz von Chaos und Ordnung zu beschreiben. So haben Sie vor 10 Jahren das Eröffnungskonzert als ein Wild Thing beschrieben. Ist das vielleicht Ihr Vermächtnis?</b><BR />Widmann: (Lacht) Könnte man sagen... etwas Wildes, wo es aber Struktur und Vorbereitung gibt, wo man seine Emotionen leben darf, wo es keine Regeln gibt, sondern der Moment des musikalischen Kreierens gilt. Interaktion, sich auf den Moment einlassen, das kann eigentlich nur Jazz.<BR /><BR /><BR /> <a href="https://waaghaus.eu/de/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Hier alles zum 1. Waagfesta.</a>