34 Kandidatinnen und Kandidaten wurden für den Busoni-Wettbewerb 2025 ausgewählt, wie er seine Position als Präsident der Jury sieht und warum auch das Auge mitentscheidet, erklärt Sir David Pountney CBE im Gespräch.<BR /><BR /><b>Sie haben sich eingehend und differenziert mit der Frage nach Qualität bei der Bewertung musikalischer Leistungen auseinandergesetzt. Was ist für Sie zentral, wenn Sie Pianistinnen und Pianisten beurteilen?</b><BR />Sir David Pountney CBE: Nun, zunächst sollte ich sagen, dass ich kein Pianist bin. Ich habe als sehr junger Mensch ein wenig Klavier gespielt, aber keineswegs auf hohem Niveau. Trotz meiner Funktion als Präsident bin ich also nicht der ausgewiesene Experte. Aber vielleicht kann gerade ich eine wertvolle Perspektive beitragen: Ich arbeite in der Musik – Musik ist mein Leben – aber als Opernregisseur im dramatischen Bereich. Und sehr vieles davon hat nicht nur mit der Musik an sich zu tun, sondern auch mit Persönlichkeit und Kommunikation. <TextHBlau>Ich denke, alle großen Aufführungen überschreiten eine reine Exzellenzskala und kommunizieren sich durch Persönlichkeit, durch menschliches Einlassen auf das Material und dessen Übersetzung ans Publikum.</TextHBlau> In diesem Feld fühle ich mich sicher, weil ich dort tatsächlich Expertise habe. Meine Rolle ist daher wohl, die Jury mit wohlwollendem Respekt vor ihrer fachlichen Kompetenz in Sachen Klavierspiel zu begleiten – und vielleicht eine breite, kultivierte Diskussion darüber anzuregen, was uns überzeugt und was nicht.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1205406_image" /></div> <BR /><BR /><b>Es ist noch nicht lange her, da spielten zwei junge Russinnen und ein junger Ukrainer das Orchesterfinale beim Busoni. Im Moment scheint sich ein Trend abzuzeichnen hin zu „asiatisch, männlich“. Ertappen Sie sich dabei, sich manchmal mehr ethnische oder geschlechtliche Vielfalt zu wünschen?</b><BR />Pountney: Ich glaube, hier gibt es zwei Ebenen. Jede Organisation – ob Klavierwettbewerb oder Opernhaus – muss ihre unvermeidlichen Vorurteile kritisch prüfen und sicherstellen, dass sie das offenste, fairste Spielfeld schafft, das irgend möglich ist, damit alle teilnehmen können. Das sollte unser Ideal sein: Wir wollen spüren, dass der Wettbewerb – oder im anderen Fall die Opernproduktion – wirklich jedem Talent offensteht. Und wir müssen sicher sein, dass wir nicht unbemerkt versteckte Barrieren errichtet haben. Das geht nämlich sehr schnell: Wir sind soziale Wesen; wir merken, wenn wir irgendwo „nicht hingehören“ oder uns unwohl fühlen. Sie haben ein interessantes Wort benutzt: Sie sagten, der „Trend“ verschiebe sich von russischen Pianistinnen hin zu asiatischen Pianisten. Wenn das so ist, dann schwingt das Pendel eben gerade in diese Richtung. Solange wir für ein offenes Spielfeld sorgen, müssen wir auch akzeptieren, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich gerade so präsentiert, und dass wir solchen Trends unterliegen. Vielleicht sollten wir sie sogar bewusst wahrnehmen. Wir sollten uns auch fragen: Was ist mit den russischen Pianistinnen passiert? Wo sind sie geblieben? Warum kommen sie nicht? Liegt es am Krieg? An der Situation in Russland? Ich weiß es nicht – das könnten sehr interessante Gründe sein.<BR /><BR />Letztlich bin ich aber äußerst skeptisch gegenüber Versuchen, an dieser Stelle manipulativ einzugreifen; das führt in allerlei Verwicklungen und Probleme. Ich weiß, diese Meinung entspricht nicht unbedingt der aktuell vorherrschenden Philosophie und geht eher gegen den Trend, aber ich glaube wirklich an Qualität als das letztgültige Kriterium. Es ist sehr wichtig, dass wir nicht andere Faktoren wie Geschlecht oder Herkunft einführen. Wenn am Ende die besten Pianisten asiatische Männer sind – nun ja, dann ist das eben die Karte, die man uns zugeteilt hat.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1205409_image" /></div> <BR /><BR /><b>Würde es Wettbewerben – zumindest in einzelnen Runden – manchmal nützen, wenn man die Interpretinnen und Interpreten nicht sieht?</b><BR />Pountney: Das ist ein sehr interessanter Punkt – und er ist ja im Orchesterbereich durchaus geläufig. Probespiele finden normalerweise hinter einem Vorhang statt, diese Art der Anonymisierung ist also nichts Unbekanntes. Wenn ein Wettbewerb ernsthaft Sorge hätte, dass unausgesprochene Voreingenommenheiten wirken, wäre eine anonyme Runde ein vollkommen respektabler Schritt. Gleichzeitig ist natürlich auch der visuelle Auftritt von Bedeutung. Es geht nicht nur um die Noten; wieder geht es um Kommunikation mit dem Publikum. Und manchmal spielt auch die Art, wie jemand am Instrument „erscheint“, eine Rolle – die Präsenz einer Persönlichkeit, die sich auf das Klavier und auf das Publikum einlässt. Das ist ein unvermeidlicher und wesentlicher Teil des Musizierens.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1205412_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie haben Musikerinnen und Musiker mit Spitzensportlern verglichen. Wie weit trägt dieser Vergleich – und wo stößt er an Grenzen?</b><BR />Antwort: Mein hauptsächliches Anliegen, wenn ich über Spitzensport spreche, ist es, eine gewisse Heuchelei offenzulegen: Man darf angeblich nicht sagen, dass eine Person besser tanzt als eine andere, weil „doch jeder tanzen kann“. Nein – nicht jeder kann tanzen. Tut mir leid. Es gibt dieses merkwürdige Vorurteil in der Kunst, oder in der Kunstkritik, dass eine Betonung von Qualität und echten, herausragenden Leistungen – spieltechnisch wie interpretatorisch – unfreundlich, unzulässig oder irgendwie „undemokratisch“ sei. Aber nein: Kunst ist überhaupt nicht demokratisch.Mein Vergleich mit dem Sport soll sagen: Schauen Sie, Sie würdigen doch die unglaublichen Leistungen von Spitzensportlerinnen völlig selbstverständlich – und das Wort „Elite“ ist im Sport kein Tabu. Ich möchte, dass Pianistinnen denselben Respekt erfahren. Sich hinzusetzen und ein Rachmaninow-Klavierkonzert zu spielen, ist eine gewaltige körperliche Herausforderung. Natürlich gibt es da quasi „überentwickelte“ Fähigkeiten – etwa extrem viel und extrem schnell spielen zu können. Das lässt sich mit einem Stabhochsprung vergleichen, oder mit einem Außenstürmer im Fußball: eine physische Höchstleistung. Ohne diese körperliche Basis ist der philosophische oder interpretative Anspruch gar nicht erreichbar. Zuerst muss man am Instrument überhaupt bestehen können – das ist die Eintrittsvoraussetzung, wie beim Läufer. In diesem Sinne gehören beide in dieselbe Kategorie.<BR /><BR />Was danach kommt, unterscheidet sich allerdings erheblich – und darum habe ich auch über mein Problem mit der Praxis geschrieben, in der Kunst „Gewinner“ zu küren und damit implizit „Verlierer“ zu erschaffen. Im Sport ist das zu 100 Prozent zulässige Praxis, in Sieger und Verlierer einzuteilen. In den Künsten geht das aber überhaupt nicht. <BR /><BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie einen Fehler gefunden? Geben Sie uns bitte Bescheid.</a>